Karl Nolle, MdL
SAX Dresdner Stadtmagazin Nr. 8/2014, 30.07.2014
Landtagswahl Sachsen 2014: Scheitert die CDU an der 45-Prozent-Hürde?
Auch nach der Landtagswahl bleibt alles ganz anders
Ein bisschen ist es noch so wie in der verwichenen DDR: Am letzten Sommerferientag sind die sächsischen Werk- und Untätigen aufgerufen, die Partei- und Staatsführung - seit 24 Jahren identisch - zu bestätigen. Mit dem Unterschied, dass das jetzt nicht mehr die Genossen sind, sondern die Unionsfreunde. Denn für das einzige Häppchen Aufregung im sogenannten Wahlkampf sorgt nur noch die Frage, wer in der kommenden Legislaturperiode für die CDU die Blockpartei spielt oder ob sie gar allein regieren kann, wenn zu viele kleine Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Auf diese Weise kann man in unserem Wahlsystem schon mit weniger als 45 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze erreichen.
Das ist ein Problem, das sich angesichts der zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft mehr und mehr zeigt: Bei der Bundestagswahl im vorigen September fiel jede sechste Stimme unter den Wahlurnen-Tisch. Die Freien Wähler haben deshalb schon Mitte Juli angekündigt, das Ergebnis der Landtagswahl anzufechten. Denn die Fünf-Prozent-Klausel ist nicht in der sächsischen Landesverfassung festgeschrieben und gilt bei Kommunalwahlen auch nicht. Ermutigt fühlen sich die Freien Wähler durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Europawahlen. Ihr stellvertretender Landesvorsitzender Steffen Große war übrigens bis 2013 als Sprecher im Kultus-und im Innenministerium und als Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit in der Staatskanzlei lange ein Herold der CDU-Politik.
Mit bloßem Auge ebenfalls nicht in der Landesverfassung zu lesen ist der ungeschriebene Artikel Null, dass die CDU in Sachsen das Sagen hat. Alle anderen Parteien, die dahinter um die Ränge zwei bis x mehr oder weniger kämpfen, haben sich auch auf unabsehbare Zeit mit diesem Primat abgefunden. »Es bleibt alles ganz anders«, lautete in der DDR eine der kabarettistischen Mailosungen. Liegt das an der Union, an den anderen oder gar an den Sachsen als solchen?
Nichts ist dem Standardsachsen, als Prototyp von Lene Voigt über Bernd Lutz Lange bis zu Tom Pauls geformt, mehr zuwider, als beim Kaffeetrinken durch Politik gestört zu werden. Jede Art von Aufregung, gar Veränderung schadet dem Gemüt. Und wo es doch derzeit ganz leidlich geht und man auch im Bundesland mit dem zweitniedrigsten Durchschnittseinkommen sein Auskommen hat, warum sollten "de gemiedlichen Saggsn" ausgerechnet jetzt unerprobten Spinnern und Wirrköpfen die Stimme geben? »Keine Experimente«, gab Erstkanzler Adenauer schon vor 65 Jahren die Linie vor. Im »Sachsen-Brief«, einer in 1,84 Millionen Exemplaren verteilten Wahlzeitung der CDU-Landtagsfraktion, preist der scheidende Fraktionsvorsitzende Steffen Flath in gleicher Weise die Vorzüge der CDU-Dauerherrschaft für Jung und Alt.
Diesen Status-Quo-Sachsentyp findet man überwiegend im sogenannten »flachen Land«, wobei gerade das Erzgebirge in jeder Hinsicht alles andere als flach beschaffen ist. Hier holt die Union die Stimmen, auch in Regionen, die als abgehängt gelten. Nun steht das Beispiel München ja schon lange dafür, dass Großstädte mit intellektuell-aufgeklärten Milieus inmitten von Schwarzland rot schimmern können. Brot für Politikwissenschaftler schafft dennoch die Frage, warum die großen Städte im gesamten mitteldeutschen Raum bei den Kommunalwahlen im Mai zum Teil auffällig nach links gerückt sind. Sogar Dresden! In Jena beispielsweise ist die Linke jetzt mit 24 Prozent stärkste Kraft.
Das Lächeln der Sachsenpartei
So ganz sicher schien sich die CDU ihres erneuten Triumphes in Sachsen dennoch nicht zu sein. Zum Selbstbild der Saggsn gehört auch, dass sie gelegentlich »Dynamit im Blut« verspüren sollen. Sicherheitshalber hat die CDU den Wahltermin 31. August durchgesetzt, den letzten Sonntag in den Sommerferien, an dem eine geringere Wahlbeteiligung zu erwarten ist. Das nutzt erfahrungsgemäß den Mehrheitsparteien, und das Wähler umschmeicheln zuvor dürfte an den Stränden von Prerow oder der Costa Brava nur schwach gehört werden. Studenten und gefährliche Jungakademiker sind um diese Zeit ohnehin im Urlaub. Weshalb die Opposition besonders auf die Möglichkeit der Briefwahl hinweisen will. Brandenburg und Thüringen nebenan wählen zwei Wochen später.
Selbstverständlich hat auch die Union ein Wahlprogramm. Da gibt es gewissermaßen Eierschecke oder Freiberger Freibier für alle. Von Kita über Schule und Polizei bis zum Justizpersonal. Die schnell beleidigte Alternative für Deutschland war im April darob mächtig erbost und behauptete, das habe der Erzrivale CDU alles vom sechs Wochen zuvor verabschiedeten Programm der AfD abgeschrieben. Dabei habe doch die Union zuvor »genau jene Probleme geschaffen, für deren Eindämmung sie jetzt wieder gewählt werden will«.
Über dieses Wahlprogramm hinaus genießt die CDU den Bonus der tragenden Regierungspartei. So kann sie ein weiß-grünes Geschenkpaket mit persönlicher Widmung des Ministerpräsidenten schnüren. Wie passend: Anfang Juli war die Kabinettsklausur zum kommenden Doppelhaushalt 2015/16 dran. Eine herrliche Gelegenheit auch für den schwächelnden Juniorpartner FDP, Bonbons unters Volk zu werfen. Die löchrigen Kommunalhaushalte bekommen sofort 50 Millionen für ihre löchrigen Straßen, das Stiefkind ÖPNV wird wiederentdeckt, die Kita-Pauschale erhöht, tausend Lehrer und 400 Polizisten werden neu eingestellt - noch wird gestritten, ob unterm Strich nach Abzug der Altersabgänge wirklich ein Plus bleibt. Der Haushalt insgesamt lädt geradezu zur Wiederwahl ein. Ausgeglichen, selbstverständlich, wie seit zehn Jahren, mit 17 Milliarden Euro dank der überraschend guten Steuereinnahmen so hoch wie noch nie, und die Investitionsquote erreicht immerhin auch noch 17,4 Prozent
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Einer lächelt dazu. »Der Sachse« aus dem Wahlkampf 2009. Der Sorbe. Viel mehr als lächeln muss der smarte Stanislaw Tillich auch nicht. Der Laden läuft notfalls auch ohne ihn. Er weiß überall gut Bescheid, das spürt man in Hintergrundgesprächen. Aber er ist kein Frontmann, von Charisma keine Spur. Eher der Typ Staatssekretär, der im Hintergrund die Fäden spinnt, der geborene Opportunist eben. Es gibt im Landtag keine noch so heiße Debatte, in der er spontan das Wort ergreifen würde wie weiland die Vorgänger Kurt Biedenkopf mit hochrotem Kopf oder der cholerische Georg Milbradt. Es gibt kein ernst zu nehmendes Diskussionspodium, das er nicht meiden würde, ob es eine heikle Diskussion »Macht, Religion, Politik« am Rande der Leipziger Buchmesse oder das geplante TV-Duell vor der Wahl im MDR-Fernsehen ist. Staatskanzleichef Johannes Beermann macht das schon. »Ist doch nur klug, wenn er seine Stärken und Schwächen kennt, seine Grenzen wahrt und sich trotzdem gut verkauft«, interpretiert das einer seiner Minister. »Was bringt es mir, wenn ich Tillich einlade?«, fragt hingegen ein junger CDU-Abgeordneter aus dem schon erwähnten »flachen Land«. Aber vorzeigbar isser schon, der Stanislaw, der nette Typ potenzieller Schwiegersohn, und das genügt für die CDU.
Wir würden ja gern,wenn wir wollten
Auf der anderen Seite des Runds im Plenarsaal strampeln sie sich vergeblich ab. Na ja, es sieht nicht so aus, als ob sie wirklich strampeln. Wechselstimmung ist nicht zu spüren, und auch rechnerisch reicht es kaum für Rot-Rot-Grün. Und selbst wenn es reichen würde: Wollten Linke, SPD und Grüne wirklich miteinander? Andre Hahn, der ehemalige Linken-Fraktionschef, lief zur Hälfte der Legislaturperiode mit dem Vorstoß für ein Bündnis jenseits der CDU schon ins Leere. Dann kam Ende April 2012 heraus, dass sich bereits seit 2010 14 Partei- und Fraktionsmitglieder der Linken, der SPD und der Bündnisgrünen zu sogenannten »r2G«-Gesprächen trafen, von denen zum Teil nicht einmal die Parteispitzen etwas wussten. Ein Eklat. Der Grüne Johannes Lichdi betont bis heute auf seiner Homepage die Überfälligkeit eines »rot-rot-grünen Signals« und betont den Gesprächscharakter dieser Treffen. Auch Sebastian Scheel von der Linken hält solche inoffiziellen Sondierungen nach wie vor für wichtig, wenn es jemals zu einer Zusammenarbeit kommen soll.
Doch das muss die CDU nicht befürchten. Erst recht nicht, seit AfD-Landeschefin Frauke Petry »angedroht« hat, ein mögliches Linksbündnis zu tolerieren. Die AfD, die am erfolgreichsten in Sachsen vagabundierendes Protestpotenzial aller Parteifärbungen bis hin zu Schill-Resten und eingefrorenen SED-Kadern eingesammelt hat, strotzt trotz eines entsprechenden Programm-Patchworks und interner Konflikte vor Selbstbewusstsein. Die Europawahlergebnisse und die Wahlumfragen sehen sie mit acht Prozent sicher im Landtag. Man kann das höchstens als das kleinere Übel ansehen, wenn sie so die NPD eliminieren.
Wen aber wollte die AfD dort tolerieren? Die SPD besteht in diesem Wahlkampf nur aus Spitzenkandidat Martin Dulig. Der 40-Jährige guckt von allen 300 Großflächen mal verschmitzt, mal nachdenklich, mal entschlossen. Ein durchweg sympathischer Kerl, der als Lutheraner Trompete spielt und mit dem abgenutzten Küchentisch auf Wahlkampftour geht, an dem er sonst mit Frau und sechs Kindern speist. In 20 Jahren hätte der mal das Zeug zum Landesvater. Aber jetzt will er sich »mit bestimmten Wahlaussagen doch nicht lächerlich machen«. »Ein Lagerwahlkampf nutzt nur der Linken«, fügt der Vorsitzende einer Partei hinzu, für die 15 Stimmenprozente schon ein Erfolg wären.
»Irrtum«, heißt es dazu bei der Linken, die ihre erste Großfläche genau gegenüber der Staatskanzlei enthüllte. Deren goldene Krone ist darauf zu sehen und die Aufschrift »25 Jahre CDU sind genug«. »Wenn sich die anderen verweigern, gelten wir als die einzige Partei des konsequenten Wechsels«, heißt es nicht nur bei Parteichef Rico Gebhardt. Jeder künftigen Umarmung durch die CDU unverdächtig will die Linke mit ihren sozial und infrastrukturell dominierten Themen den Wahlkampf angehen, sogar lustvoll, wofür Kondome an den Ständen verteilt werden. Denn es ist ja nicht zu befürchten, dass man demnächst regieren muss. So, wie bei den netten jungen Piraten auf der Kamenzer, die als Technologiepartei vom Transrapid nach Prag träumen dürfen, in Sachsen noch für eine Million Neubürger Platz sehen und im Übrigen viel Zeit für einen nachhaltigen Parteiaufbau haben.
Die Grünen präsentierten ihre Plakate sinnigerweise erstmals auf einem Dresdner Spielplatz. Bildung, Bürgerrechte, neue Energien, Mobilitätsalternativen oder Massentierhaltung sind erkennbar grüne Themen. Wegen des fehlenden Rückenwindes aus dem Bundestrend dürften sie nicht gerade souverän, aber einigermaßen sicher wieder in den Plenarsaal am Elbufer einziehen. Fraktionschefin Antje Hermenau wird immer wieder ungern nach ihren Sympathien für ein Bündnis mit der CDU gefragt und antwortet zumindest offiziell immer ähnlich: »Wir kämpfen für unsere Ziele, und die werden mit jedem verhandelt, der infrage kommt.« Sollte das nach dem 31. August tatsächlich die Union sein, darf man allein schon beim Thema Braunkohle und Energiewende auf heftiges Quietschen gespannt sein. Gisela Kallenbach, mit ihrer Europaerfahrung und ihren 70 Jahren so etwas wie die Grande Dame der Bündnisgrünen-Fraktion, erlaubt sich zum Abschied aus der Politik den Hinweis auf die Versuchung der Machtteilhabe - wenn man also nach Jahren frustrierender Opposition im Glauben, als Juniorpartner in einer Koalition zumindest ein paar Pünktchen seines Programms durchsetzen zu können, bis an die Grenzen der Selbstverleugnung geht.
Nur nette Leute
»Keine Koalition für niemand!« aber lautet im Wahlkampf bei allen die Devise. Jeder will erst einmal für sich stark werden. Bei der Opposition hat das zwar seit 1990 noch nicht geklappt, aber zu viel Stärke könnte ja schlimmstenfalls sogar die CDU gefährden! Und Sachsen ist nicht Thüringen mit einem aussichtsreichen Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten-Alternative und einer SPD als 20-Prozent-Partei, die über ihren Schatten springt und einen Linken in die Staatskanzlei wählen würde.
Ach ja, da war doch noch eine Partei, die 2009 mit 10 Prozent fast die SPD erreichte, die in der Koalition neben der Oberschule auch noch die Sonntagsöffnung für Autowaschanlagen durchgesetzt hat und deshalb auf einen Wiedereinzug hoffen darf! »Die Liberalen haben schon aufgegeben«, meint ein Unionsabgeordneter, was diese heftig dementieren. »Was wäre denn der schlimmste Fall?«, orakelt allerdings auch ein FDP-Prominenter zurück.
Man trifft in diesem Wahl-Meinungsschlussverkauf eigentlich nur nette Leute. Und alle wollen irgendwie Spaß daran haben, was noch Kampf heißt, aber nicht danach aussieht. Seid nett zueinander - es geht außer um die Zukunft um nichts Wesentliches. Allenfalls noch um ein bisschen Demokratiehygiene. Und die würde tatsächlich nach 24 Jahren verlangen, dass der Hofstaat mal umgequirlt und Strukturen, Filze, Opportunitäten und müde Gewohnheiten durch ganz andere Mehrheiten zumindest vorübergehend aufgemischt werden.
Michael Bartsch