Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 09.09.2014
Je t'aime - Wer mit wem? Regierungsbündnisse in Sachsen
Am Donnerstag wird es historisch: Erstmals in Ostdeutschland loten die Spitzen von CDU und Grünen die Möglichkeiten für ein schwarz-grünes Regierungsbündnis auf Landesebene aus. Am Freitag spricht die Union mit der SPD über eine Neuauflage von Schwarz-Rot. Tino Moritz analysiert Chancen und Risiken für beide Optionen.
Was spricht für eine Rückkehr zu Schwarz-Rot?
Schon einmal haben CDU und SPD in Sachsen zueinander gefunden. Beim Bündnis ab 2004 hat es zwar atmosphärisch und inhaltlich immer mal wieder heftige Auseinandersetzungen gegeben - fünf Jahre gehalten hat es aber dennoch, und das trotz zwischenzeitlicher Auswechslung des CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt und trotz Karl Nolle. Ein ähnlich unberechenbarer Störfaktor ist nach dem Abgang des SPD-Abgeordneten nicht in Sicht, die Mehrheit im Landtag mit 77 von 126 Abgeordneten mehr als solide. Und zudem kennt sich das Spitzenpersonal ziemlich gut: Die obersten Genossen Martin Dulig, Eva-Maria Stange und Dirk Panter sowie die drei führenden Unionsleute Stanislaw Tillich, Frank Kupfer und Michael Kretschmer hatten schon in früheren Koalitionsrunden miteinander zu tun - alle wüssten, woran sie beim anderen sind. Eine solche Sicherheit ist vor allem Tillich wichtig. Aber auch Dulig wäre an einer stabilen und fünf Jahre haltenden Koalition gelegen, könnte sich der SPD-Chef doch als Minister profilieren - und damit für den Wahlkampf 2019 warmlaufen.
Beide Seiten wollen regieren und haben das auch schon immer so gesagt. Die Spitzen von CDU und SPD erklärten sich schon am Montag nach der Wahl zu Sondierungen miteinander bereit. Professionell halten sich die Vorderleute seitdem auch mit Vorfestlegungen zurück, um die Geduld des Gegenübers nicht überzustrapazieren. Die letzten konkreten Ansagen stammen aus dem Wahlkampf: als Dulig versprach, dass er keinen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, in dem der Kita-Betreuungsschlüssel nicht verbessert wird; und als Tillich den Posten des Wirtschaftsministers für die CDU reklamierte. Beides lässt sich regeln.
Um Kompromisse dürften beide Seiten zwar hart verhandeln. Ein Themenfeld, das eine Einigung von vornherein unmöglich macht, ist aber nicht dabei. Zudem kann es nicht schaden, dass die eigenen Parteifreunde im Bund ebenfalls koalieren. Schließlich wird in den nächsten Monaten der Länderfinanzausgleich neu ausgehandelt - und das ist wohl die wichtigste Herausforderung der nächsten Sachsen-Regierung.
Was spricht gegen ein Bündnis von CDU und SPD?
Die CDU hat dieses mal die Wahl: Anders als 2004 gibt es•nach dem Ja der Grünen zur Sondierung für sie die Aussicht auf eine Alternative zur SPD. Die lohnt sich aus Unionssicht schon deshalb, weil die Grünen mit 5,7 Prozent weniger Zugeständnisse erwarten dürfen als die SPD mit 12,4 Prozent. Obwohl das gerade mal zwei Prozentpunkte mehr sind als 2009 und zu den Top Five der bundesweit schlechtesten SPD-Landtagswahlergebnisse aller Zeiten gehört, könnten die Sozialdemokraten vor Kraft kaum laufen, beschweren sich Unionsabgeordnete momentan zuhauf.
im Unterschied zu 2009 hat sich die CDU tatsächlich nicht mal intern auf ihren Lieblingspartner nach der Wahl festgelegt, falls die FDP aus dem Landtag fliegt. Fraktionschef Frank Kupfer verriet vor einer Woche im Nebensatz, dass man für Schwarz-Gelb vor fünf Jahren bereits vor der Wahl „schon viel vorbereiten" konnte - also während die CDU/SPD-Koalition noch regierte. Zwei Wochen nach der Wahl war der Koalitionsvertrag dann schon ausgehandelt. Dieses Mal wird zum gleichen Zeitpunkt noch nicht mal feststehen, welche Parteien die Koalitionsverhandlungen führen werden.
Dem aufstrebenden SPD-Chef Martin Dulig durch einen Ministerposten dabei zu helfen, zur nächsten Landtagswahl 2019 stärker abzuschneiden, gehört wohl ebenfalls nicht zur Planung der Union. Die SPD wiederum will Fehler in der alten Koalition von 2004 bis 2009 auf gar keinen Fall wiederholen. Man wisse jetzt, wie man mit der CDU verhandele, sagte Generalsekretär Dirk Panter vorige Woche: „Ganz so einfach, wie sich das manche vielleicht vorstellen, wird das nicht." Er betonte auch: ,,Wir werden nicht auf Teufel komm raus in die Regierung gehen." Dass sich die SPD aber wirklich in der Opposition profilieren will, ist unwahrscheinlich. Auch ihre Berliner Parteispitze befürwortet Schwarz-Rot in Sachsen. Für die SPD wird die Verhandlungsposition umso schwerer, je besser sich Grüne und CDU verstehen:
Was spricht für die Ost-Premiere von Schwarz-Grün?
Schon einmal haben sämtliche Vorzeichen gegen ein Landesbündnis von CDU und Grünen gesprochen - und dann ist es Ende 2013 in Hessen trotzdem genau dazu gekommen. Wenn sogar ein scharfzüngiger Landtagsredner wie Ta-rek Al-Wazir und ein von ihm attackierter Ex-Innenminister wie Volker Bouffier in Wiesbaden zueinander finden, könnten das dann nicht auch die um einiges besonnener auftretenden Parteivorsitzenden Stanislaw Tillich (CDU) und Volkmar Zschocke (Grüne) in Dresden?
Immer mehr CDU-Politiker freunden sich derzeit mit dem Gedanken an Schwarz-Grün an. Auch ihr Chef Stanislaw Tillich, der vor einem halben Jahr noch ganz anders über die Grünen sprach, ist darum bemüht, das nicht als taktisches Manöver abzutun, nur um die SPD-Forderungen in Grenzen zu halten. Beflügelt hat ihn dabei wohl auch eine Ermunterung durch die Berliner Parteispitze, der auf der Suche nach Partnern im Bund soeben die FDP verloren ging und ein zweites schwarz-grünes Landesbündnis ziemlich recht käme.
Die Grünen haben sich zwar lange geziert und Teile der Partei ihrer Spitze zwischenzeitlich sogar empfohlen, mit der Union nicht einmal zu sondieren. Aber dann entschied sich dei Parteirat am Samstag mit eindeutigem Votum (elf Ja, ein Nein, eine Enthaltung) für das Gespräch - und auch dafür, dass Antje Hermenau als eine von fünf Grünen teilnimmt. Die scheidende Fraktionsvorsitzende ist seit Jahren Anhängerin der schwarz-grünen Idee - und in der Gesprächen womöglich eine gute Vermittlerin. Die CDU, der ein schwächerer Koalitionspartner mehr eigene Inhalte und Posten einbrächte, scheint zu wissen, dass sie den Grünen etwas anbieten muss: Ob eine Abkehr von der Extremismusklausel bei Fördermittelanträgen von Demokratie-Projekten, mehr Öko-Landbau oder mehr mittel für den Öffentlichen Personennahverkehr - mit leeren Händen wird die CDU übermorgen nicht um die Grünen werben. Und eine Entscheidung zu einem ungeliebten Großprojekt wie einem neuen Tagebau in Sachsen steht derzeit nicht an, frohlockte gestern ein Unionsmann.
Was spricht gegen das Wagnis Schwarz-Grün?
Bündnis 90/Die Grünen sind in Sachsen wie auch in den anderen neuen Bundesländern noch längst nicht so im bürgerlichen Milieu verwachsen wie in alten Ländern. Von Herbst 1994 bis 2004 saß die nach der Wende neugegründete Partei nicht einmal im Landtag, während die CDU im Freistaat seit inzwischen 24 Jahren regiert. Der Union würde nach dem Scheitern der FDP eine neue Regierungsoption aus taktischen Gründen überaus nützen, Sachsens Grüne würden hingegen spätestens 2019 ihre Existenz im Landtag riskieren. Das befürchten auch bundesweit führende Vertreter des linken Flügels wie Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin. „Unsere Wähler akzeptieren Schwarz-Grün vielleicht als Notfalllösung, aber keinen schwarz-grünen Wahlkampf", sagte er jetzt dem ,,Spiegel".
Beide Parteien hatten Stimmenverluste hin- zunehmen, was ihnen das Label als „Koalition der Verlierer" einbringen würde. Der CDU erwächst mit der AfD ein neuer Konkurrent rechts von ihr - was eine gleichzeitige Hinwendung der Union zu klassischen Grünen-Ansätzen in Datenschutz, Flüchtlings- oder Familienpolitik unwahrscheinlich sein lässt Dazu kommt die auch noch nach der Wahl von Parteichef Zschocke erhobene Forderung nach einem „jetzt" zu vereinbarenden Plan zum Ausstieg aus dem Braunkohleabbau bis 2030 - hin ter die kämen die Grünen nur schwer zurück, ohne die eigene und sowieso schon rebellieren de Klientel zu verprellen. Für die CDU wäre ein solcher Plan aber ein Quantensprung.
Im neuen Landtag hätte Schwarz-Grün mit 67 von 126 Abgeordneten eine Mehrheit von drei Stimmen. Das ist eigentlich ausreichend - in Hessen ist der Vorsprung mit 61 von 110 Abgeordneten im Wiesbadener Landtag auch nicht viel größer. In Sachsen aber sind sechs der acht Grünen-Abgeordneten neu im Landtag und auch für manchen CDU-Abgeordneten wäre die Zustimmung zu einem Grünen-Anliegen wohl eine Zumutung.