Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 19.09.2014

SPD auf der Suche nach Identität

 
Leitartikel Von Anita Kecke

Wer denkt, Politik sei ein langweiliges Geschäft, den belehren Sachsen und Thüringen eines Besseren. Hier hat sich die politische Farbpalette nach den beiden Landtagswahlen verändert. In den Koalitionsgesprächen wird beherzt in den Farbtöpfen gerührt. Immer dabei sind die Sozialdemokraten, die in Sachsen wie in Thüringen 12,4 Prozent erhielten. Während die Sachsen-SPD dieses magere Resultat noch als Gewinn verkaufen kann, hilft der Thüringen-SPD kein Schönreden mehr. Sechs Prozentpunkte weniger sind eine gewaltige Ohrfeige.

Mit diesem Stimmenanteil kann die SPD sich verabschieden von dem Anspruch, eine Volkspartei zu sein. In großen Teilen Ostdeutschlands bestenfalls auf Platz drei zu landen, dürfte schwerer zu verdauen sein als so mancher Koalitionskompromiss. Das ist umso tragischer, als gerade Sachsen und Thüringen als Wiege der Sozialdemokratie gelten. 1863 gründete Ferdinand Lassalle in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, was als Geburtsstunde der Sozialdemokratie gilt. Der Gründungsparteitag 1869 in Eisenach, die Programme von Gotha 1875 und Erfurt 1891 ließen die SPD einst lebendig werden. Nun verliert sie gerade hier an Schlagkraft, wirkt orientierungslos. Wieder holt sie ein altes Problem ein: die Spaltung der linken Bewegung.

Die SPD in Sachsen ist insofern fein raus, als dass sie ohnehin nur eine Option hat: in einem CDU-geführten Kabinett mitzuregieren. Mit der Option Rot-Rot-Grün mussten sich die sächsischen Genossen gar nicht befassen, weil die CDU in Sachsen dafür zu stark und die Linke zu schwach ist. In Thüringen dagegen droht der SPD eine Zerreißprobe. Verhilft sie einem linken Ministerpräsidenten in den Sattel, verprellt sie mit diesem waghalsigen Experiment nicht nur die Bürgerbewegten in ihren Reihen. Sie kann sich auch selbst weiter überflüssig machen. Stützt sie weiter die CDU unter Christine Lieberknecht, ist der linke Flügel sauer, der mehr Gemeinsamkeiten bei Rot-Rot-Grün sieht.

Das grundsätzliche Dilemma der SPD besteht darin, dass sie in beiden Fällen nur Steigbügelhalter der Macht ist und zunehmend ihre Identität verliert. Bei den Sozialthemen schwankt sie zwischen Treue zur Großen Koalition und Gesellschaftskritik. Kein Wunder, dass Zehntausende Wähler in Thüringen gleich für die Linke votierten. Zudem lässt eine immer sozialdemokratischer agierende CDU mit modernem Familienbild, mit starken und noch dazu sympathischen Führungsfrauen wie Angela Merkel und Christine Lieberknecht der SPD auch nicht viel Entfaltungsspielraum. Hinzu kommen die innerparteilichen Streitigkeiten. Wenn die SPD die Wähler für ihre Politik begeistern will, schafft sie das nicht mit Kämpfen aus den Schützengräben von einst, sondern mit klarem, selbstbewussten Blick nach vorn und ansteckendem Gestaltungswillen.

a.kecke@lvz.de