Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 02.10.2014

Deutsche Einheit: Jeder zweite Ossi sieht sich als Gewinner

 
Das gab's noch nie: Große Umfrage aller ostdeutschen Tageszeitungen zum "Leben im Osten"

Leipzig. 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution in der DDR und dem Mauerfall sieht sich jeder zweite Ostdeutsche als Gewinner der deutschen Einheit. Das hat eine repräsentative Allensbach-Studie im Auftrag der Leipziger Volkszeitung mit 14 weiteren Ost-Tageszeitungen, der SuperIllu und der Chemnitzer Werbegruppe Zebra ergeben. Die Meinungsforscher haben zum "Leben im Osten" im Juni und Juli 1573 Ostdeutsche befragt. Die Studie gilt damit als eine der wichtigsten und umfassendsten Analysen der vergangenen Jahre.

Positive Wirtschaftsbewertung

Demnach fühlt sich allerdings auch fast jeder vierte Ostdeutsche (23 Prozent) nach der Wiedervereinigung als Verlierer, 27 Prozent machten zu dieser Frage keine Angabe. Bei den Gründen, warum sie sich als Gewinner der Einheit sehen, nannten 85 Prozent der Befragten die gewonnene Reisefreiheit und 67 Prozent die freie Meinungsäußerung. Weit über die Hälfe der Ostdeutschen (61 Prozent) wertet die Wiedervereinigung als Erfolgsgeschichte, für fast jeden zweiten (40 Prozent) haben sich die Hoffnungen, die mit der Wiedervereinigung vor 24 Jahren verbunden waren, erfüllt. Jeder vierte gab dagegen an, dass dies nicht der Fall sei.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage wird von den Ostdeutschen zunehmend besser beurteilt. So bewerteten sie 18 Prozent als sehr gut oder gut, 61 Prozent mit teils gut, teils schlecht. Damit stimmen die Ostdeutschen mit den Westdeutschen weitestgehend überein. Allerdings gibt es zwischen Zinnowitz und Zittau teils erhebliche regionale Unterschiede. So ist Ost-Berlin mit 39 Prozent Spitzenreiter in der positiven Wirtschaftsbewertung, gefolgt von Thüringen (37 Prozent) und Sachsen (31 Prozent). Schlusslicht ist hingegen Sachsen-Anhalt, wo lediglich neun Prozent der Bevölkerung eine sehr gute wirtschaftliche Lage sehen. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg liegen dagegen im ostdeutschen Durchschnitt. Jeder Zweite im Osten schätzt seine berufliche Perspektive als gut ein.

Verglichen mit Allensbach-Umfragen in den alten Bundesländern gibt es eine große Ost-West-Übereinstimmung, wenn es um wichtige Lebensfaktoren geht. Ausreichend Geld (80 Prozent Ost, 81 Prozent West), die eigene Familie (79/79), gute Freunde (63/66) und der eigene Partner (62/63) sind die vier entscheidenden Punkte, die bei allen Deutschen in der persönlichen Werteskala ganz oben in der Rangliste stehen. Auch bei den Sorgen gibt es nur marginale Unterschiede. Das Gros in Ost und West (61 Prozent) hat Angst vor der eigenen Pflegebedürftigkeit, nur die Sorge um die zunehmende Kriminalität übertrifft dies noch.

Begriff "Ossi" sehen viele gelassen

24 Jahre nach der deutschen Einheit halten sich die berühmt-berüchtigten Vorurteile zwar weiterhin auf beiden Seiten. So schätzen weit mehr als die Hälfte der Ostdeutschen den Wessi nach wie vor als arrogant und geldgierig ein, während die Hälfte der Westdeutschen im Ossi ein mehrheitlich unzufriedenes und misstrauisches Wesen sieht. Immerhin: Zwei Drittel (65 Prozent) der Ostdeutschen findet die Bezeichnung "Ossi" nicht so schlimm, mehr als jeder zweite Ostdeutsche gibt sogar an, dass er die Begriffe "Ossi" und "Wessi" im Alltag für sich nutzt.

Niedersachsen richtet als Bundesland die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit aus. Gastgeber ist immer das Land, das im Jahr den Bundesratsvorsitz innehat. Am 3. Oktober spricht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Hannover. Bundespräsident Joachim Gauck empfängt Bürgerdelegationen aus 16 Bundesländern. Auch im Dresdner Landtag wird es eine Feierstunde geben, die Festrede hält die Regisseurin und Autorin Freya Klier. In Erfurt hält Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine Festrede.

Von André Böhmer

Leitartikel Von André Böhmer

Die Unterschiede Ost-West nehmen ab

Darf man eigentlich noch "Ossi" sagen und schreiben? Oder bedient man damit gerade als Tageszeitung altbekannte verbale Schubladen und nährt Vorurteile, die sich 25 Jahre nach dem Fall der Mauer eigentlich doch längst erledigt haben sollten? Für die Beantwortung dieser eher akademischen Frage genügt ein Blick auf die neueste Umfrage des Instituts Allensbach, die wir heute in einer großen Extra-Beilage veröffentlichen. Die Aussage ist eindeutig: Die Begriffe "Ossi" und "Wessi" gelten längst nicht mehr als Beleidigung und sind ganz entspannt in unserem Sprachgebrauch integriert.

Zwei Drittel der Ostdeutschen empfinden die Bezeichnung "Ossi" nicht mehr als schlimm, man kann das auch so deuten: Zwischen Rügen und Rennsteig sind das Selbstbewusstsein und der Stolz auf Herkunft und Identität gewachsen. Sicher auch deshalb, weil "Ossi" als westlich geprägtes Schimpfwort ("Jammerossi") mehr und mehr an Bedeutung verliert und stattdessen zunehmend als Synonym für Erfolg steht. Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Joachim Gauck, Fußball-Weltmeister Toni Kroos, Schauspieler Jan-Josef Liefers, Maler-Star Neo Rauch - alles große Persönlichkeiten, deren Erfolgsgeschichten nicht losgelöst von ihrer ostdeutschen Herkunft erzählt werden können.

Der zunehmend entspannte Umgang mit einstmals belasteten deutsch-deutschen-Klischees ist zum Jahrestag der Einheit eine gute Nachricht. Wie überhaupt die Allensbach-Umfrage einige überraschende Aussagen in petto hat. Wenn in großen Sonntagsreden immer gern das Zusammenwachsen von Ost und West beschworen wird - die Befragung zeigt jetzt, dass zumindest in den Köpfen schon bei vielen Dingen Übereinstimmung herrscht. Die Unterschiede Ost-West nehmen ab. Bei den Lebenszielen, die für die Deutschen am wichtigsten sind, ist die Angleichung quasi vollzogen. Freundschaften, harmonisches Familienleben, glückliche Partnerschaften, hohes Einkommen gelten als erstrebenswert, ganz gleich wo man wohnt.
Natürlich bleibt die völlige Angleichung gerade auf dem wichtigen Gebiet der Wirtschaft weiter eine Utopie. Zu viele Regionen im Osten sind industriell entkernt, das Gefälle ist unübersehbar. Wobei es zwischen Nord und Süd nicht anders ist, auch das sollte bei allen Ost-West-Vergleichen nicht unter den Tisch fallen.

Was sich aus der Umfrage noch klar herauslesen lässt, ist das starke Vertrauen der Sachsen und Thüringer in eine sich positiv entwickelnde eigene Wirtschaft. Das lässt hoffen, dass diese Regionen mit ihrem kreativen Potenzial den Anschluss an hochentwickelte westdeutsche Länder schaffen. Das wird womöglich nicht bis zur 25. Einheitsfeier klappen, aber auch nicht nochmal 25 Jahre dauern.
a.boehmer@lvz.de