Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 16.10.2014

Energiewende: Wind statt Dampf - Wohin geht Sachsen? Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern.

 
Wohin geht Sachsen? Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern. SZ-Redakteure analysieren die wichtigsten Herausforderungen. Heute: Die Energiewende.

CDU und SPD verhandeln über Sachsens Zukunft. Sie müssen neue Wege finden auf den Feldern Bildung, Finanzen, Energie. SZ-Redakteure analysieren in einer neuen Serie, welchen Weg Sachsen gehen sollte.

Was ist schlimmer: Dörfer bei Weißwasser abreißen wegen der Braunkohle - oder Dörfer bei Großenhain einkreisen mit Windkraft-Anlagen? Diese Entscheidung muss Sachsens neue Landesregierung aus CDU und SPD-Politikern fällen. Die werden sich vor dieser Entscheidung fürchten und lange streiten. Aber im Koalitionsvertrag muss ein klares Ergebnis stehen: ein grober Plan für einen Ausstieg aus der Braunkohle-Verbrennung in Sachsen. Und das ist noch nicht alles, was sich an Sachsens Energiepolitik ändern muss.

Sachsen hat in den vergangenen Jahren eine Politik der Abschreckung betrieben. Statt erneuerbare Energien stetig zu fördern, haben sich Landespolitiker Hindernisse überlegt - zum Beispiel Vorschriften über größere Abstände zu Windkraftanlagen. Vor allem FDP-Politiker machten diese Verhinderungsstrategie unter dem Schlagwort "Heimatschutz" zum Wahlkampfschwerpunkt. Nun hat die FDP in Landesregierung und Landtag nichts mehr zu sagen. Stattdessen bekommen Sozialdemokraten eine größere Rolle: die sächsischen unter Martin Dulig in Dresden und die schwedischen mit ihrem neuen Ministerpräsidenten Stefan Löfven in Stockholm.

Von den Schweden kommt ein neuer Anstoß zur Energiewende in Deutschland: Sie wollen ihren Staatskonzern Vattenfall zur Öko-Firma machen. Vattenfall besitzt die Kraftwerke in der Lausitz und lässt dort nach Braunkohle graben. Weil die Verbrennung schädlich fürs Weltklima ist und die Schweden daran nicht schuld sein wollen, stellen sie künftige Tagebaue infrage.

Der Nachschub der Kohlekraftwerke wird zu Ende gehen, wenn die geplanten nächsten Gruben nicht gegraben werden. Die meisten vorhandenen Vattenfall-Tagebaue in Sachsen und Brandenburg werden bis Mitte des nächsten Jahrzehnts ausgekohlt sein. Der sächsische Tagebau Reichwalde kann das Kraftwerk Boxberg noch rund 30 Jahre füttern - genau voraussagen könnte das nur jemand, der den künftigen Kohleverbrauch kennt, aber der hängt wiederum vom Tempo der Energiewende ab. Der Wunsch aus Schweden passt zu den Ankündigungen der sächsischen SPD: Die Landespoliker um Dulig haben in ihrem Regierungsprogramm vorhergesagt, dass der Einsatz der Braunkohle reduziert wird. Deutlich heißt es da: Sachsens SPD will diesen "Strukturwandel aktiv fördern und sozial verträglich gestalten". So mutig steht das im Regierungsprogramm der sächsischen CDU nicht: Die Landespolitiker um Stanislaw Tillich betonen, dass die Braunkohle "eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung" sichere. Zwar hätten die Tagebaue die Landschaft verändert, heißt es im CDU-Programm. Aber dabei seien auch attraktive Seen in der Lausitz und der Leipziger Tieflandsbucht entstanden.
 
Doch Sachsen braucht nicht noch mehr Tagebaurestlöcher und mehr Umzüge ganzer Orte. Die geplanten nächsten Tagebaue würden etwa 3 700 Menschen in zwei Bundesländern zum Umzug zwingen, davon 1700 in sächsischen Orten wie Schleife. Die Landesregierung sollte den Anstoß aus Schweden nutzen. Dazu muss die CDU einen Teil ihres Regierungsprogramms aufgeben: Darin setzt sie unverändert "auf die energetische Nutzung der Braunkohle". Der Ausbau der erneuerbaren Energien solle gebremst werden, heißt es dort weiter. Doch Bremsen ist die falsche Aktion.

Bisher hat sich Sachsens Landesregierung zu niedrige Ziele gesteckt. In ihrem Energie und Klimaprogramm vom März 2013 steht, dass erneuerbare Energien "in den nächsten zehn Jahren auf 28 Prozent" Anteil am Stromverbrauch steigen sollen. Das wäre kein großer Zuwachs, derzeit sind es 21 Prozent. Das Ziel für ganz Deutschland, festgeschrieben im Energiekonzept der Bundesregierung von 2010: Im Jahr 2050 sollen erneuerbare Energien 80 Prozent Anteil am Stromverbrauch haben. Darauf muss sich Sachsen einstellen.

Der Ausstieg aus der Braunkohle hat allerdings auch schlimme Folgen, die sich nur schwer so "sozial verträglich" gestalten lassen, wie es im SPD-Programm steht. Allein in Sachsen arbeiten heute rund 3000 Menschen direkt in Kohlekraftwerken und Tagebauen, in Brandenburg mehr als doppelt so viele. Insgesamt hängen laut Vattenfall-Betriebsrat rund 30.000 Arbeitsplätze
 
Braunkohle-Kraftwerke sind Auslaufmodelle, denn ihr Kohlendioxid ist schlecht fürs Weltklima. Schweden als Besitzer des Vattenfall-Konzerns will den Ausstieg-Sachsen sollte das als Anstoß für einen Plan nutzen. Er muss über mehr als zehn Jahre gehen.
 
Konkurrenz belebt das Geschäft. Sachsen sollte die Forschung an erneuerbaren Energien und Speichern fördern, auch wenn es ähnliche Projekte in Schwaben und Korea gibt Aus Ideen werden Firmen, Arbeitsplätze und Exportprodukte entstehen.
 
Wenn alle 16 Bundesländer eigene Energie und Klimaziele anstreben, gibt es am Ende eine Überproduktion an Windstrom oder es droht Knappheit.

Abstimmung untereinander ist nötig, aber keine Planwirtschaft mit zu festen Vorgaben. Wer in erneuerbare Energien in Sachsen investieren will, sollte dazu ermutigt und beraten werden, nicht abgeschreckt. (SZ/mz) in der Lausitz von der Braunkohle ab. Wenn nun gut bezahlte Arbeitsplätze wegzufallen drohen, überdenken Händler die nächste Investition in ihre Kaufhalle, Immobilienpreise fallen - und Eltern werden zweifeln, ob ihre Kinder einen Ausbildungsplatz mit Zukunft finden. Die Landesregierung muss sich weiter anstrengen, neue Betriebe in die Lausitz zu holen und das Wachstum vorhandener zu stärken. Doch das war bisher schon schwer und wird mit der Aussicht auf ein Ende der Kohleindustrie nicht leichter. Das werden die Koalitionspartner ehrlich sagen müssen.

Die Braunkohle ist auch eine wichtige Steuerquelle für Sachsen. Allerdings erlebten die Gemeinden wie Boxberg jährliche starke Schwankungen ihrer Gewerbesteuer-Einnahmen. Wenn 2019 der Solidarpakt endet und die neuen Länder schon deshalb weniger Geld bekommen, dürfen nicht noch gleichzeitig große Steuereinnahmen aus Bergbau und Industrie wegfallen.

Der Ausstieg aus der Braunkohle muss also mit langem Anlauf geplant werden. Er wird jedenfalls länger als zehn Jahre dauern. Erst 2012 hat Vattenfall seinen jüngsten Kraftwerksblock in Boxberg eröffnet - mit dem Ziel, ihn jahrzehntelang zu betreiben. Das Kraftwerk Jänschwalde in Brandenburg erreicht zwischen 2020 und 2030 laut einem Prognos-Gutachten das Ende seiner Lebensdauer, nach 2030 wird Kohle voraussichtlich immer stärker durch erneuerbare Energien verdrängt. Sachsens Nachbar Brandenburg hat die gleichen Herausforderungen zu bestehen. Im Brandenburger Koalitionsvertrag vom vergangenen Freitag hat die Potsdamer Koalition aus SPD und Linken klar gemacht, dass sie kein rasches Ende der einträglichen Kohle-Industrie will. Von "Brückentechnologie" ist dort die Rede: Braunkohlekraftwerke werden zur Überbrückung für die Zeit benötigt, in der erneuerbare Energien noch nicht zu jeder Tageszeit genutzt werden können und hohe Kosten für die neue Technik anfallen.

Bei der Planung müssen sich also viele Partner zusammensetzen: Sachsen und Brandenburg müssen sich über die Zukunft der Kohleverstromung einig werden, außerdem müssen die Unternehmen beteiligt werden. Es geht nicht um eine Enteignung, sondern um Abschätzungen des künftigen Bedarfs und der Preise, zu denen sich Kohle noch lohnt. Vattenfall mit seiner neuen Ausrichtung auf mehr Öko-Energien dürfte offen für Gespräche sein. Mitreden will mit Sicherheit auch die Mibrag, die im Mitteldeutschen Braunkohlerevier bei Leipzig arbeitet und Tschechen gehört.

Bei allen Plänen zur Energiepolitik müssen die Sachsen beachten, dass nicht alle 16 Länder und der Bund unterschiedliche Ziele verfolgen können. Denn das würde entweder dazu führen, dass die Energie nicht für alle reicht - oder dass es an Tagen mit viel Wind und Sonne zu viel Strom gibt. Schon jetzt wittern nördliche Länder das Geschäft mit Windstrom an der Küste, können aber den Strom mangels Leitungen nicht nach Süddeutschland liefern. Sachsen hat den Vorteil, nicht direkt vom Streit über große Hochspannungstrassen von Nord nach Süd betroffen zu sein.

Sachsen gehört auch nicht zu den großen Windkraft-Ländern: Im Freistaat stehen etwa 870 Flügeltürme, dieses Jahr kommen voraussichtlich gerade mal elf Anlagen hinzu. In Sachsen-Anhalt stehen über 2 500 Windanlagen, Brandenburg hat mehr als 3 300. Trotz Energiewende ist der Zuwachs an Windkraft in Sachsen fast zum Stillstand gekommen, während die lange verspottete Sonnenenergie in den vergangenen drei Jahren kräftig aufgeholt hat.

Fotovoltaik-Anlagen, Windräder und Biogas liefern jetzt fast etwa gleich viel Strom in Sachsen - jeweils rund sechs bis sieben Prozent der Elektro-Energie. Dabei hat jede dieser drei Quellen ihre Nachteile: Sonnenenergie gibt es nur tagsüber, Windenergie nicht bei Flaute. Biogas wiederum lässt sich gut speichern und jederzeit abrufen, braucht aber Ackerpflanzen zur Erzeugung. Die ideale Ökostromquelle gibt es nicht; Sachsen muss weiter auf eine Mischung setzen. Wind ist ergiebig und wird dazugehören, der Dampf aus Großkraftwerken wird nachlassen. Wenn die Energiewende gelingen soll, muss Sachsen Investoren ermutigen und nicht abschrecken. Im Wahlkampf haben Landespolitiker versucht, Bürgerinitiativen gegen Windparks auf ihre Seite zu ziehen. Im Raum Großenhain beispielsweise sorgen sich viele Menschen wegen geplanter Anlagen. Der Protest ist stark. Wer Wind erntet, wird Sturm säen. Doch Politiker haben die Aufgabe, das Gespräch zu suchen und für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen. Dabei kann Vattenfall mit seinen Erfahrungen helfen: Das Unternehmen ist beispielsweise in Dänemark dabei, in einem Windpark 35 ältere Turbinen durch 21 höhere zu ersetzen. Gerne verweist Vattenfall darauf, dass dort mindestens 20 Prozent der Windpark-Anteile den Anwohnern angeboten werden müssen.

Wenn die Nachbarn von Windkraft-Anlagen Mitbesitzer sind, kommen ihnen wenigstens die Einnahmen zugute. Allerdings sind die meisten Sachsen nicht vermögend. Der Staat kann aber Gemeinschaftsanlagen, auch Bürgersolaranlagen, ermöglichen und zur Beteiligung mit kleineren Beträgen ermutigen. Immerhin hat sich Sachsens Landesregierung in ihrem Energie und Klimaprogramm vorgenommen, "gesellschaftliche Akzeptanz" für den Ausbau der Energie-Infrastruktur in einem "kontinuierlichen und systematischen Prozess" herzustellen. Stattdessen stellten Wahlkämpfer in jüngster Zeit lieber Probleme der Energiewende heraus. Eine Zeit lang haben Landespolitiker noch gerne für Solaranlagen geworben, vor allem, wenn die aus sächsischer Produktion kamen. Doch nach einigen Pleiten von Solarmodulfabriken ließ die Begeisterung nach. Dabei sind allein bei Solarworld in Freiberg weiterhin 1400 Menschen beschäftigt, 150 bei Solarwatt in Dresden und Hunderte bei anderen Herstellern und Zulieferern. In Sachsen kann die Solar-Industrie also bei der Zahl der direkten Arbeitsplätze fast mit der Braunkohle-Industrie mithalten.

Auch in der Energie-Forschung sind viele Sachsen beschäftigt - allein neun Fraunhofer-Institute im Freistaat haben eine energietechnologische Ausrichtung. Sie untersuchen Wärmespeicher und Batterien, Erdwärme und Brennstoffzellen. Vieles davon wird auch anderswo in Deutschland und auf der Welt erforscht, aber Sachsen muss diese Ansätze trotzdem weitertreiben. Aus den Erfindungen können neue Produkte werden und neue Arbeitsplätze.

Zur Energiewende gehört nicht nur die Umstellung der Strom-Produktion. Mindestens genauso wichtig: Der Energieverbrauch muss kräftig sinken. Das Ziel von 80 Prozent erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Jahr 2050 ist laut Bundesregierung nur zu erreichen, wenn der Stromverbrauch in Deutschland um ein Viertel sinkt. Das ist viel. Noch schwieriger: Die Nutzung von Primär-Energie, darunter Rohstoffen wie Kohle, soll sogar halbiert werden im Vergleich zu 2008. Das ist nur mit enormen Anstrengungen zu schaffen, zu denen auch Sachsens Landesregierung deutlicher als bisher aufrufen muss.

Energiesparlampen reichen nicht, auch der Verzicht auf Standby-Betrieb des Fernsehers ist nur ein kleiner Beitrag zum großen Ziel. Doch selbst dafür muss der Staat immer wieder Interesse wecken - von alleine werden die Sachsen kein Volk von Energiesparern. Der Freistaat hat immerhin eine kleine Landesfirma gegründet, die Sächsische Energieagentur Saena. Sie klärt Schulklassen auf, hat eine digitale Bauherrenmappe, ins Internet gestellt und informiert über Wärmepumpen und Blockheizkraftwerke. Künftig müssen diese Informationen aber stärker verbreitet werden.

Noch immer passiert bei den größten Energieverschwendern zu wenig: Das sind die Heizungen. Natürlich darf niemand im Winter frieren, und neue Vorschriften für Wanddicken und Fenster würden laut Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften zu hohen Mieten führen. Doch technisch ist noch viel zu verbessern: Die Bausubstanz der sächsischen Gebäude gehört zu den ältesten in Deutschland. Nicht einmal ein Drittel ist wärmegedämmt.

Sachsen stellt sich zwar gerne als Land der Ingenieure dar - aber wer versteht schon etwas von seiner Heizungsanlage? Auch der bisherige Umweltminister Frank Kupfer (CDU) räumte ein, dass seine Heizung jahrelang falsch eingestellt war. Selbst mancher Installateur braucht anscheinend Nachhilfe, denn zu starke Umwälzpumpen gehören zu den größten Energieverschwendern in Wohnhäusern. Die neue Landesregierung wird viel Energie für Aufklärung aufwenden müssen.

von SZ-Wirtschaftsredakteur Georg Moeritz

Wohin geht Sachsen? Ein Wegweiset'

• Braunkohle - Kaftwerke sind Auslaüfmodelle, denn ihr Kohlendioxid ist -
schlecht fiirs Weltklima. Schweden als Besitzer des Vattenfall-Konzerns will den Ausstieg - Sachsen sollte das als Anstoß für einen Plan nutzen. Er muss : über mehr als zehn Jahre gehen.

• Konkurrenz. belebt das Geschäft: Sachsen sollte die Forschung an erneuerbaren Energien und Speichern fördern, auch wenn es ähnliche Projekte in Schwaben und Korea gibt. Aus Ideen werden Firmen, Arbeitsplätze und Exportprodukte entstehen.

• Wenn alle 16 Bundesländer eigene Energie- und Klimaziele anstreben, gibt es am Ende eine Überproduktion an Windstrom oder es droht Knappheit. Abstimmung untereinander ist nötig, aber keine Planwirtschaft mit zu festen Vorgaben. Wer in erneuerbare Energien in Sachsen investieren will, sollte dazu ermutigt und beraten werden, nicht abgeschreckt (SZ/mz)