Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.10.2014

Finanzen: Noch pleite oder schon reich? - Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern.

 
Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern. SZ-Redakteure analysieren die wichtigsten Herausforderungen. Heute: Haushalt & Finanzen.

Der Staat hat es doch!“ Wie oft haben wir diesen Satz schon gehört, ihn selbst auch mal laut und mit einem höhnischen Unterton ausgerufen. Geld ist immer ein Aufreger. Steuergeld sowieso, weil dabei der Bürger erst mal nur zahlt und andere – scheinbar beliebig – über die Verwendung entscheiden. Tatsächlich hat der Staat sehr viel Geld. Allein der jährliche Haushaltsetat des Landes Sachsen beläuft sich zurzeit auf sechzehn Milliarden Euro: 16.000.000.000 €. Zum Vergleich: Beginnt man damit, jede Sekunde einen Hunderteuroschein auf den Tisch zu legen, würde es mehr als fünf Jahre dauern, bis die Summe komplett ist.

Doch neben dem Zählen ist bei einem öffentlichen Haushalt etwas anderes genauso wichtig – das Verteilen. Wer bekommt wie viel, und wer geht leer aus? Wofür gibt es plötzlich mehr Geld, welche Zuschüsse werden dagegen gekürzt oder fallen weg? Welchen Teil ihres Tributs bekommen die Bürger als Staatsleistungen persönlich zurück, was von den eigenen Steuern sieht man nie wieder, weil es für andere Dinge in den „großen Topf“ fließt?

In wenigen Tagen wird dazu in Sachsen ein von CDU und SPD ausgehandelter Koalitionsvertrag die Richtung für die kommenden fünf Jahre vorgeben. Unmittelbar danach geht es ans Eingemachte. Nachdem sich die neue schwarz-rote Koalitionsregierung öffentlich zu den Grundzügen ihres Regierungsprogramms bekannt hat, wird um die Details gerangelt, sprich ums Geld. Schon seit dem Sommer liegt ein kompletter Entwurf für den Doppelhaushalt 2015/2016 in den Schubladen des Dresdner Regierungsviertels. Der trägt allerdings noch die Handschrift der bisherigen CDU-FDP-Koalition. Es wird viel geändert werden müssen, weshalb der ursprüngliche Zeitplan zur Verabschiedung des neuen Landesetats wohl nicht zu halten ist. Anstatt im Dezember dieses Jahres, kann es schlechtestens bis zum Frühjahr nächsten Jahres dauern, bis auch der letzte Cent von sechzehn Milliarden Euro neu verplant ist.

ES dürfte aber gar nicht schaden, wenn sich die beiden Regierungsparteien etwas mehr Zeit nehmen. Der Grund: Die Entscheidung, wofür das Land Sachsen künftig sein Geld ausgibt, ist diesmal mehr als das übliche Fingerhakeln zweier Koalitionspartner, es ist ein Kampf der politischen Philosophien. Die sächsischen Christdemokraten haben seit der Wende nämlich nicht nur ununterbrochen jeden Finanzminister gestellt, diese haben sich auch alle stur an eine eiserne Regel gehalten: So wenig Pump wie möglich, Sparen um jeden Preis! Das war sinnvoll, und die Vorteile dieser Politik lassen sich heute exakt messen. Sachsen steht zurzeit mit 11,43 Milliarden Euro bei seinen Gläubigern in der Kreide. Absolut eine gewaltige Summe, relativ gesehen ein äußerst guter Wert. Die Bundesstatistik setzt den Freistaat mit einer aktuellen Pro-Kopf-Verschuldung von 2829 Euro immerhin auf den ersten Platz. Das heißt, nirgendwo ist die Verschuldung eines Bundeslandes gemessen an seiner Bevölkerungszahl geringer als in Sachsen. Und der Spitzenplatz macht sich bezahlt. Hunderte Millionen Euro an Zinsen werden dadurch vermieden. Geld, das im Freistaat zusätzlich zur Verfügung steht, während es andere Bundesländer für die fälligen Raten ausgeben müssen. Für die sächsische CDU heißt das dann auch: Weiter so! Der Gürtel soll so eng wie möglich geschnallt bleiben.

Die SPD, die hierzulande bis Ende August noch in der Opposition stand, sieht das erklärtermaßen etwas anders. Ihr Motto: Sparen ja, aber nicht kaputtsparen, wenn uns der Laden dadurch in wichtigen Bereichen um die Ohren fliegt. Eine Auffassung, die unter den Bewohnern des Freistaats immer populärer wird, angesichts solch gravierender Probleme wie dem Mangel an Lehrern, Kita-Erziehern und Polizisten.

Und ja, das könnte mittlerweile tatsächlich der bessere Weg für dieses Land sein. Warum soll man sich nach 25 Aufbau-Jahren nicht für ein Umdenken entscheiden? Zum Umdenken wohlgemerkt und nicht zur Umkehr. Schließlich darf Sachsen auch in der Zukunft nicht mehr ausgeben, als es einnimmt. Umdenken bedeutet keine höhere Verschuldung, sondern den Willen, etwas abzuwägen: Die Probleme, die heute auf dem Land und seinen Bürgern lasten, gegen die finanziellen Spielräume, die sich der Freistaat inzwischen geschaffen hat.

Warum ist es aber notwendig, nicht nur stur zu sparen, sondern auch mal Geld auszugeben? Ganz einfach: Weil es sich lohnt. Besonders, wenn man sinnvolle Dinge damit finanziert. Wer erfolgreiche Politik allein am Guthaben auf der Bank festmacht, wird das sicher anders sehen. Dabei verkommt Sparen aber auch schnell zum Horten. Ich bin überzeugt, mehr Lehrer, Polizisten und Erzieher bringen dem Freistaat dagegen sogar eine höhere Dividende als jedes noch so gute Sparkonto. Es ist allerdings eine Investition, die sich anders rechnet. Sie ist gut für die Menschen, die hier leben und arbeiten, für deren Gegenwart und für die Zukunft ihrer Kinder.Investitionen in Menschen lassen sich natürlich nicht so gut abrechnen wie gebaute Straßenkilometer. Sie sind deshalb aber nicht weniger vernünftig und in dem Moment, wenn man sie sich ohne Pump leisten kann, sogar viel zwingender.

Können wir sie uns aber überhaupt leisten? Ja, einige solcher Investitionen kann das ostdeutsche Bundesland Sachsen inzwischen durchaus finanzieren. Wenn es gut prüft und exakt rechnet, was möglich ist und was nicht. Und wenn man sich nicht sofort wieder beirren lässt.

Weil Umdenken schwerfällt, werden die Befürworter eines weiteren strikten Sparkurses ordentlich dagegenhalten. Sie tun das aber auch aus honorigen Gründen. Mit dem Erfolg der vergangenen Jahre im Rücken weisen sie nun auf etliche Probleme hin, die dem Freistaat noch bevorstehen. Tatsächlich ist es richtig, dass Sachsen jedes Jahr 200 Millionen Euro weniger aus dem Topf des Solidarpakts II erhalten wird, bis diese Zahlungen nach 2019 sogar komplett wegfallen. Ebenso stimmt es, dass die Steuereinnahmen nicht auf ewig auf dem aktuellen Rekordniveau verharren werden. Auch kommt uns das Stichwort Demografie absehbar immer teurer: Weniger Junge, mehr Alte. Weniger Einnahmen, höhere Kosten. Allein für die Altersversorgung seiner Beamten muss der Freistaat künftig Milliarden in dem eigens dafür aufgelegten Generationenfonds zurückstellen.

Dazu kommt diese bittere Wahrheit: Die ohnehin hohen Personalkosten des Landes werden durch mehr Lehrer, Polizisten und Erzieher nicht geringer, im Gegenteil. Der SZ liegen aktuelle Berechnungen vor, was allein eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den sächsischen Kitas kosten würde. Betreut eine Krippenerzieherin nur noch fünf statt sechs Kinder, kostet das 65 Millionen Euro. Im Fall einer Kindergartengruppe – zwölf statt dreizehn Kinder – sind es 37 Millionen, und im Hortbereich kämen es noch einmal sieben Millionen dazu. Unterm Strich 109 Millionen Euro zusätzlich – pro Jahr wohlgemerkt.

Eine eindrucksvolle Rechnung, die zeigt, worum es geht. Und wer umdenken will, muss ihr etwas entgegensetzen: Die realen Möglichkeiten, die Sachsen hat, solche Mehrkosten aufzufangen. Im Fall der Kitas hilft zum Beispiel ein nüchterner Blick auf das, was der Landesrechnungshof in seinem jüngsten Prüfbericht herausgefunden hat. So ergaben Kontrollen in den sächsischen Finanzämtern, dass der Freistaat jedes Jahr freiwillig auf viel Geld verzichtet. 229 Millionen Euro, so rechnen die Kassenprüfer vor, gehen verloren, weil die Finanzämter Steuerschulden nicht vollständig eintreiben. Das Finanzministerium dementierte sofort, der Betrag sei niedriger, läge allenfalls bei knapp 200 Millionen Euro. Aber auch eine solche Zahl wiegt schwer. Und die erstaunte Öffentlichkeit ahnt dabei nicht einmal, dass die 250 in Leipzig ansässigen Mitarbeiter des Rechnungshofs über die Jahre immer nur einen Bruchteil der Staatsgeschäfte kontrollieren können.

Hilft uns also weniger Verschwendung weiter? Natürlich reicht das allein nicht. Man sollte seinen Blick deshalb auch einmal auf die aktuelle Kassenlage im Freistaat lenken. So verweist der Finanzminister oft darauf, dass dem Freistaat Geld fehlt, weil er zum Beispiel nur knapp 58 Prozent seiner Haushaltsausgaben aus dem eigenen Steueraufkommen deckt und ansonsten auf Zuschüsse aus dem Länderfinanzausgleich oder vom Bund angewiesen ist. Dass es mittlerweile trotzdem zu erheblichen finanziellen Reserven reicht, darüber redet die Staatsregierung allerdings weniger gern. Tatsächlich sind die Steuereinnahmen in den vergangenen vier Jahren fortwährend gestiegen, erheblich gestiegen. Zuletzt rechnete Sachsen mit zusätzlichen Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro. Und glaubt man seriösen Prognosen, wird dieser Trend zumindest bis 2018 anhaltend. Etwas skeptischer darf man dagegen die Dauererklärung aus dem Dresdner Regierungsviertel bewerten, wonach dieses gigantische Steuerplus längst für fällige Rechnungen verplant ist und somit praktisch überhaupt nichts übrig bleibt. Diese Aussage entspricht nicht ganz der Wahrheit. Bei einer der vermeintlich zwingend notwendigen Rechnungen handelte es sich jüngst um die Überweisung von Zusatzeinnahmen in Höhe von 188 Millionen Euro in den Spartopf des Freistaats, der offiziell Haushaltsreserve heißt. Und nun ist es nicht so, dass in diesem Topf gähnende Leere herrscht, im Gegenteil. Auf Anfrage kann man erfahren, dass dort mittlerweile 974 Millionen Euro liegen. Dazu kommt ein weiterer bekannter Spartopf, der sich Zukunftssicherungsfonds nennt und dieses Jahr auf 212 Millionen Euro aufstockt werden soll. Anders gesagt: Sachsen bunkert über eine Milliarde Euro.

Keine Angst, niemand, der umdenkt, will nun plündern. Aber noch einige Umstände sächsischer Finanzpolitik dürften alle Lehrer, Polizisten, Erzieher und jeden anderen Bürger interessieren. So konnte es sich der Freistaat zuletzt sogar leisten, Geld für Rechnungen beiseite zu legen, welche erst in zwanzig Jahren fällig sind. Konkret handelt es sich um die Anteile an der Finanzierung der Fluthilfen nach dem schweren Hochwasser vom Juni 2013. Mit 232 Millionen Euro muss sich der Freistaat daran beteiligen, diese Summe aber erst im Jahr 2033 komplett zurückgezahlt haben. Statt regelmäßiger Raten entschied man sich dafür, die Gesamtsumme schon heute vollständig dem Landeshaushalt zu entziehen und als Rücklage auf Eis zu legen. Das ist nicht ehrenrührig, gehört aber auch zum Thema Spielraum in der aktuellen Haushaltsdiskussion. Genauso wie der beklagenswerte Umstand, dass es um die Anlage dieses Geldes schlecht bestellt ist. Sachsens millionenschwere Finanzanlagen brachten im Vorjahr zum Teil nur 0,29 (!) Prozent Zinsen. Selbst Bundesländer wie das chronisch klamme Sachsen-Anhalt sind dabei erfolgreicher. Auch das gibt zu denken.

Sachsens Haushalt ist jedenfalls kein trockener Schwamm. Was in ihm steckt, zeigt allein schon der überraschend mögliche Umgang mit dem blamabelsten und kostspieligsten Fehler, den sich der Freistaat bisher geleistet hat. Die 2,75 Milliarden Euro, die nach der Beinahe-Pleite der früheren Landesbank abgezahlt werden müssen, sind bereits komplett gestemmt. Die eine Hälfte des Geldes wurde den Gläubigern ausgezahlt, die andere steht bereit. Zwei-komma-sieben-fünf-Milliarden, die zeigen, was alles geht.

Umdenken muss dann aber auch gehen. Statt nur die Angst vor kommenden mageren Jahren zu schüren, sollte man lieber die Chancen der fetten Jahre nutzen. Wann sonst? Zumal – man muss es mehrfach schreiben – es nicht um mehr Schulden geht. Die neue Koalitionsregierung von CDU und SPD muss allein die Verwendung vorhandenen Geldes auf den öffentlichen Prüfstand stellen. Ganz nebenbei steigt damit auch die Akzeptanz dafür, wenn es am Ende nicht für alle Wünsche reicht. Einen Grund, keinen Mut zum Umdenken aufzubringen, gibt es dann weder für die Politiker noch für die Bürger. Sachsen hat seiner Zukunft erst im Sommer vergangenen Jahres einen außerordentlichen Dienst getan. Als erstes Bundesland verankerte man ein seit Anfang 2014 gültiges Schuldenverbot in der Landesverfassung. Ein mutiger Schritt, ein richtiger Schritt. Es kann auch ein großer Schritt nach vorn werden, wenn man die daraus resultierenden Chancen nutzt, statt nur auf einen vermeintlich risikofreien Dauersparkurs zu setzen.

von Gunnar Saft                                                                                       
Meine Wegweiser

Spielraum nutzen. Sachsen verfügt übe gute Steuereinnahmen und hohe Finanzreserven. Dieses vorhandene Geld muß genutzt werden, um Defizite wie Lehrermangel oder fehlende Polizeistellen in den nächsten fiinf Jahren so weit wie möglich einzudämmen.

Festhalten an der roten Linie. Alle zu-sätzlichen Ausgaben im Doppelhaus-hallt 2015/2016 dürfen wie gehabt nicht über neue Schulden finanziert werden.

Mehr Eigenkontrolle. Sparen ist wichtig darf aber nicht zum Selbstzweck betrieben werden. Der Freistaat muss deshalb die Höhe seiner aktuellen Rücklagen kritischer prüfen. Dazu sind strengere und häufigere Kontrollen aller öffentlichen Ausgaben notwendig;