Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 21.10.2014
Wirtschaftsförderung: Mehr Mut zu weniger Risiko! - Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern.
Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern. SZ-Redakteure analysieren die wichtigsten Herausforderungen. Heute: Wirtschaftsförderung.
Sachsens alter und mit großer Sicherheit auch neuer Ministerpräsident hat einen Traum: „Ich bin überzeugt, dass es in spätestens zehn Jahren einen sächsischen Konzern geben wird, der im wichtigsten deutschen Aktienindex Dax notiert ist“, hatte er mir mal in einem Interview gesagt. Das war 2010. Damals hatte gerade seine zweite Amtszeit begonnen – und er sich nach der schwarz-roten Koalition mit der FDP in einen neuen Partner verguckt. Der lebt nach dem Grundsatz „Der Markt wird‘s richten“. Jetzt ist Stanislaw Tillich (CDU) nach der Liaison mit den Liberalen zur alten Ehe zurückgekehrt – und er bei fast der Hälfte des vorgegebenen Zeitfensters mit seiner Idee keinen Schritt weiter. Der Markt allein richtet es nicht, es braucht den Staat. Es braucht gute Wirtschaftsförderung.
Dafür hat Sachsen eine landeseigene Tochter, die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH (WFS). Deren 50 Mitarbeiter sehen sich als Brückenbauer: für hiesige Unternehmen auf dem Weg in die Welt und für Investoren auf dem Weg nach Sachsen.
Förderschwerpunkte sind Mobilität (Autoindustrie, Bahn, Logistik), Maschinenbau, Mikroelektronik, Energie- und Umwelttechnik sowie Biotechnologie und andere Lebenswissenschaften. Die fünf Sparten gelten lange als Orientierung wenn es darum geht, mit Förderkohle „eigene Stärken zu stärken“, statt mit der Gießkanne zu agieren. Und doch ist der Katalog nur scheinbar eine Konzentration, denn fast alle Wirtschaftsbereiche lassen sich zuordnen. Der Mensch braucht eben Ordnung.
Die WFS hilft bei der Suche nach Kooperationspartnern, Absatzmärkten, Standorten, Zulieferern. 2013 wurden dafür über acht Millionen Euro ausgegeben: gut die Hälfte als Gesellschafterzuschuss, der Rest als Geschäftsbesorgung mit Ministerien und Behörden. In der Größenordnung erwirtschaftet das Unternehmen seit Jahren stabile Umsätze. Doch die Zeit großer Ansiedlungen ist vorbei, die Zahl der Akquisitionen rückläufig. Mit Wehmut erinnert sich mancher an die Chip- und Solar-Euphorie und Leipzigs DHL-Luftfracht-Kreuz.
Sachsens Anschieber müssen umdenken. Es geht zuerst um Erhalt und Erweiterung. Es geht – auch in Tillichs Sinn – um Wachstum. Schon heute sind gut ein Drittel der Förderfälle Erweiterungsinvestitionen. Es zählt doch die Größe – kein Machospruch, sondern bittere Erkenntnis. 25 Jahre nach der Wende gibt es in Sachsen und den anderen Beitrittsländern (neu sind sie ja nicht mehr) nur wenige Großbetriebe mit ein paar Tausend Mitarbeitern, geschweige Konzernsitze. Wie es scheint, hat man sich mit der Rolle des Ostens als verlängerte Werkbank abgefunden.
Im jüngsten Standortbericht Sachsens freut sich der scheidende Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) über „vordere Plätze zum Beispiel beim Standortranking, Bildungsmonitor oder der Pisa-Studie sowie Spitzenplätze im aktuellen bundesweiten Schulleistungsvergleich“. Im Vergleich von 79 europäischen Regionen sei Sachsen beim Innovationsindex 2012 auf den 14.Platz vorgerückt und lasse Frankreich und Italien hinter sich.
Bei aller Freude über das Erreichte: Sachsen bewegt sich beim Bruttoinlandsprodukt, der Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen, pro Kopf auf dem Niveau von Slowenien und noch hinter Malta, nicht gerade ein wirtschaftliches Schwergewicht, und bei nur gut zwei Dritteln der alten Bundesrepublik. Und die Produktivität von Sachsens Industrie fällt gegenüber der Westdeutschlands seit 2009 sogar zurück: um satte zehn Punkte auf unter 78 Prozent. Und das 25 Jahre nach der Einheit. Das relativiert die Aufholjagd!
Dennoch erhält der Freistaat künftig weniger europäische Fördermittel. Standen ihm in den vergangenen sieben Jahren noch vier Milliarden Euro für die Förderprogramme zur Verfügung, so sind es von 2014 bis 2020 nur 2,75 Milliarden Euro. Diese Strukturfondsmittel gilt es, effektiver zu verteilen – und sich von Dingen zu trennen, die sich nicht bewährt haben.
Wenn sich etwa ESF-Mikrodarlehen für Investitionen im kleinteiligen Bereich wie zuletzt in Jahresfrist fast halbieren, gehören sie auf den Prüfstand. Aus Verantwortung vor dem Steuerzahler muss die Regierung nachweisen, dass die mit den Programmen beabsichtigte Ziele erreicht. Schwerpunkte des Programms zur regionalen Entwicklung (EFRE) sind in dieser Förderperiode Forschung und Innovation, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen sowie die Verringerung der CO2-Emission. Im Fokus der Förderung via Sozialfonds stehen Aus- und Weiterbildung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, Berufsorientierung und die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.
Vor dem Hintergrund muss oberste Devise sein: Aus dem Vorhandenen mehr machen, und keinen von der EU oder vom Bund in Aussicht gestellten Euro verfallen lassen! Da ist es nur legitim, bei einem Förderverhältnis von 1:3 zuerst das Geld aus Brüssel abzugreifen und umzuschichten. Denn für Bundeszuschüsse muss der Freistaat die gleiche Summe beisteuern.
Die Erfahrungen zeigen: Abgestufte Förderquoten haben keine Lenkungsfunktion. Für Investoren sind andere Dinge wichtiger. Sachsen punktet vor allem mit Technologieförderung. Die findet anders als die Investitionszulage auch mehr Fürsprecher bei den Wettbewerbshütern in Brüssel. Bei Verhandlungen mit potenziellen Investoren gehören alle Trümpfe in eine Hand: top ausgebildete Fachkräfte, Hochschuldichte, Investitionsförderung und eben jene Technologieförderung. Vor fünf Jahren wohl ohnehin nur Verschiebemasse im schwarz-gelben Postengeschacher gehört sie vom Wissenschaftsministerium zurück ins Wirtschaftsressort.
Gute Förderung muss nicht immer nur mehr Geld bedeuten. Oft hilft schon das Bemühen um bessere Rahmenbedingungen. Und die sind nicht besser geworden. Zumal Deutschland und Sachsen in den Beschränkungen mitunter über EU-Vorgaben hinausschießen. Wenn etwa jedes Unternehmen höchstens fünfmal eine Investitionsförderung bekommen darf, werden die zu größeren Happen genötigt. Die Regelung gehört abgeschafft. Man muss sich nicht selbst Handschellen anlegen! Eine Hilfe wären schon Bürokratieabbau und bessere Kontrolle der Arbeit der Sächsischen Aufbaubank (SAB) als „Geldverteiler“ und Lieblingsfeindbild manches Landespolitikers. Der jüngste Bericht des Landesrechnungshofs liefert ihnen neue Argumente.
Die Aufbaubank gewährte 2013 Fördermittel im Umfang von gut 1,5 Milliarden Euro – mehr als zwei Drittel davon als Zuschuss, der Rest als Darlehen und Bürgschaft. Obwohl das Gesamtvolumen der Hilfen trotz der Hochwassergelder um rund zehn Prozent sank, legten die kassierten Provisionen von 30 Millionen auf über 52 Millionen Euro zu. Antragsteller monieren zudem „überbordende Bürokratie“ und „undurchsichtige Vergabepraxis“.
Die Förderbank verwaltet und bearbeitet nach eigener Aussage 169 Förderprogramme – 27 davon für die Wirtschaft. Der Zugang zu diesen muss einfacher werden – und ist nicht zu verwechseln mit laxem Umgang. Etwa derart, wie laut Landesrechnungshof die Stadt Coswig bei der SAB eben mal per E-Mail 720000 Euro für die Erschließung eines Gewerbegebiets orderte – zusätzlich zum Millionenprojekt – und gleich bewilligt bekam: per Mail.
„Der Freistaat Sachsen hat 2013 das dritte Jahr infolge höhere Einnahmen aus Steuern und steuerinduzierte Einnahmen als geplant erzielt. Für die nächsten Jahre hat der Arbeitskreis ,Steuerschätzungen‘ ein stabiles wirtschaftliches Umfeld und weiter steigende Steuereinnahmen prognostiziert.“ So steht’s im Prüfbericht. Sachsen rühmt sich gern seiner milliardenschweren Haushaltsrücklagen. Aber: Sparsamkeit ist gut, Geiz schlecht. Die Investitionsquote ist seit 2000 von 31 auf 18Prozent gefallen. Das liegt zwar über dem Mittel der Republik, ist angesichts des Nachholbedarfs aber zu wenig. Wer mit weniger als einem Viertel des Bundesschnitts in der Kreide steht, darf sich ruhig mal was leisten – und in Zeiten billigen Geldes das auch borgen: für bessere Straßen, Brücken und Schienen, ein zeitgemäßes Breitbandnetz, ... Und sei es, um den eigentlichen Eignern und Verantwortlichen von Bahn oder Telekom durch Vorleistung auf die Sprünge zu helfen. Mehr Mut zu weniger Risiko!
Sachsen will laut seines alten und auch neuen Premiers Vorreiter sein bei der Industrie 4.0. Für viele Unternehmer, speziell auf dem Land, klingt das wie ein schlechter Witz. Vor allem im Erzgebirge, der Region mit der höchsten Industriedichte, und in Mittelsachsen können sie kaum richtig telefonieren, geschweige ins schnelle Internet. Immerhin: Die Regierungskoalition in spe hat den Breitbandausbau als Querschnittsthema für alle Ressorts und infrastrukturelle Grundvoraussetzung erkannt.
Gute Wirtschaftsförderung braucht Augenmaß. Die Stärken zu stärken ist gut, aber es darf keine Region abgehängt werden. Ebenso falsch wäre es, weitere Hilfen dort zu verweigern, wo es gut läuft. Und bei aller Förderung von Leuchttürmen und Existenzgründern darf man sich gern seines Rückgrats, des Mittelstands, erinnern.
„SAXONY!“ – mit großen Lettern weiß auf grün wirbt die Wirtschaftsförderung. Genauso, mit Ausrufezeichen, muss der Freistaat Flagge zeigen. Sachsen ist arm an natürlichen Ressourcen, aber es besitzt den wichtigsten Rohstoff überhaupt zuhauf: Grips. Das selbst ernannte „Land der Ingenieure“ hat es nicht nötig als Billigheimer um Investoren zu betteln und niedrige Lohnkosten als Standortvorteil zu preisen.
Laut dem jüngsten Standortbericht haben nur sieben Prozent der Erwerbstätigen keinen Berufsabschluss, weniger als der halbe Bundesschnitt. Dafür liegt der Freistaat bei Lehrausbildung, Fach- und Hochschulreife weit über dem Mittel. Doch bei Löhnen von noch immer kaum 80 Prozent des Westniveaus zieht es viele, und nicht die schlechtesten, „nach drüben“.
In Zukunft werden die Regionen erfolgreich sein, die Fachkräfte nicht nur gut ausbilden sondern auch halten. Der Kampf um die besten Köpfe beginnt schon in der Schule. Darauf muss sich die Wirtschaftspolitik einstellen. Der Standort braucht ein gesundes Verhältnis von akademischer und beruflicher Bildung. Bei rückläufigem Leiharbeiteranteil von insgesamt weniger als drei Prozent ist Panikmache fehl am Platz. Aber: Die zur Überbrückung von Auftragsspitzen gedachte Hilfe darf nicht missbraucht und nicht noch belohnt werden. Wer reguläre Arbeit zu 30 und mehr Prozent durch prekäre Beschäftigung ersetzt, fällt durchs Raster: bei öffentlichen Geldern und Aufträgen.
Nicht nur deshalb gehört ein Vertreter von Sachsens DGB in den Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderung. Bislang sitzen dort nur Minister und Staatssekretäre involvierter Ministerien. Schließlich sind Arbeitnehmergesandte in Kontrollgremien von Unternehmen Usus und am dichtesten dran, wenn es um die Kontrolle gegebener Versprechen für Jobs und deren Qualität geht.
Angesichts der stagnierenden Exportquote von unter 36 Prozent braucht Sachsen weiter eine Außenwirtschaftsförderung. Gut dass sich die WFS nicht von der Anti-Russland-Hysterie anstecken lässt. Wirtschaftssanktionen waren und sind nie zielführend. Im Gegenteil: Die EU-Beschlüsse kommen als Bumerang zurück. Immerhin ist Putins Reich Sachsens zweitwichtigstes Lieferland und Nummer sechs bei den Ausfuhren. Handel ist Wandel. Das reimt sich nicht nur, es ergibt Sinn. Verweigerung bedeutet hingegen Stillstand.
Pläne, die WFS mit dem Tourismusmarketing der TMGS zu fusionieren, sind zu Recht vom Tisch. Zu klein die Schnittmenge, zu unterschiedlich die Eigner: hier das Land, dort Verbände und Kammern. Kooperieren lässt sich dennoch. Auch der Freistaat sollte sich beim Bohren dicker Bretter im Bund verbünden: etwa wenn es darum geht, gegen zu hohe Netzentgelte und damit Strompreise im Osten vorzugehen oder für steuerliche Anreize zu Investitionen zu werben – als Alternative zu Zuschüssen. Förderung muss nicht teuer sein. Es gibt sie sogar zum Nulltarif: indem man für ein Klima sorgt, dass Unternehmertum achtet und würdigt, statt Neiddebatten zu entfachen. Das täte auch der Gründerstatistik gut.
Die schwarz-rote Koalition muss das Fahrrad nicht neu erfinden. Die Zukunftsthemen liegen auf der Hand: Energie- und Materialeffizienz, Elektromobilität, Innovationstransfer, Unternehmensnachfolge. Es gibt Bewährtes wie die WFS, Liegengebliebenes aus der letzten gemeinsamen Ehe wie die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Auch Nachbarn geben Denkanstöße. So heißt es in Brandenburgs rot-rotem Koalitionsvertrag: „Wir ... haben verstanden: Wirtschaftlicher Erfolg, sozialer Fortschritt, ökologische Modernisierung und demokratische Teilhabe gehören zusammen und bedingen einander.“
Und was ist mit Stanislaw Tillichs Dax-Traum? Träume erfüllen sich nicht von allein, man muss auch etwas dafür tun.
Von Michael Rothe
Wohin geht Sachsen? Ein Wegweiser ...
• Sachsen darf sich nicht länger als Billiglöhner der Nation gerieren und das noch als Standortvorteil für Investoren preisen. Stattdessen sollte das „Land der Ingenieure" selbstbewusst wahre Stärke zeigen: mit seinen bestausgebildeten Fachkräften. Nur gute Bezahlung holt und hält die Leute im Freistaat.
• Förderung muss Technologie offen, Branchen offen, Regionen offen sein. Und sie braucht einen langen Atem. Neben Leuchttürmen und Gründern - steht vor allem der Mittelstand; das Rückgrat der Wirtschaft, im Fokus. Aus vorhandenen Fördermitteln gilt es, mehr herauszuholen. Allein ein Bürokratieabbau wäre schon hilfreich.
• Sparen ist gut, aber Mit zu viel Geiz verbaut man sich die Zukunft. Wer die mit Abstand niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland aufweist, kann sich wieder mal was leisten und investieren: in Bildung, Verkehrsanbindungen und Breitbandausbau. (SZ/mr)