Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 18.10.2014

Kultur: Weniger, aber richtiges Theater! - Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern

 
Die neue Landesregierung muss Sachsens Zukunft sichern. SZ-Redakteure analysieren die wichtigsten Herausforderungen. Heute: Die Kulturpolitik.

In welche Richtung marschiert die schwarz-rote Koalition: In die bisherige, bei der kleine Theater mit miesen Haustarifverträgen und Scheinfusionen noch kleiner gemacht wurden? Oder hat man den Mut, die Kräfte zu bündeln und wenigere, aber leistungsfähigere Theater und Kulturzentren zu fördern?

Die Kultur wird bei den sächsischen Koalitionsverhandlungen kein großes Thema sein. Man wird sich darauf einigen, das bestehende und prinzipiell funktionierende Kulturraumgesetz gegebenenfalls leicht zu modifizieren und mit ein paar Millionen mehr auszustatten. Das mag für den Moment nicht falsch sein, ein Bekenntnis ist es nicht. Mehr noch: Für die derzeitig Verantwortlichen ist Kultur nur noch ein Soft-Faktor. Obwohl jeder Politiker weiß: Investoren siedeln sich nur an, wenn es auch ein kulturelles Angebot in der Region gibt.

Fakt ist: Kultur ist ein harter Standortfaktor. Allein die Wertschöpfung ist beachtlich. Theater und Opernhäuser erreichen mehr Menschen als die Bundesliga. Der Beitrag der Kreativwirtschaft zur deutschen Bruttowertschöpfung ist erheblich höher als der der Energieversorgung oder der chemischen Industrie und nur unweit kleiner als der der Automobilindustrie – Tendenz steigend. Es gibt kaum Lebensbereiche, in denen Kultur direkt oder indirekt keine Rolle spielt. Demzufolge wäre es folgerichtig, dass der Kulturminister immer mit am Tisch sitzt, wenn in Dresden Regierungsentscheidungen getroffen werden und nicht der Premier- und Wirtschaftsminister die Dinge unter sich auskungeln.

Doch in Sachsen, dem Kulturland schlechthin, fehlt auf der politischen Ebene das Verständnis für diesen Schatz. Wohl sonnen sich die Entscheider bei Repräsentationen, denken quasi barock. Gern kombiniert der Ministerpräsident Staatsbesuche in die USA oder nach China mit Tourneen der Sächsischen Staatskapelle oder Ausstellungseröffnungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Eine Vision, wie man diesen Standortvorteil ausbauen könnte, gibt es nicht. Die Kultur als Thema fehlt fatalerweise bislang im Landesentwicklungsplan.

Mehr noch. Wohl startet Sachsen jetzt eine bildungspolitische Offensive – doch sie wird dazu führen, dass die kulturellen Angebote in den Schulen noch weiter abnehmen werden. Um die Pflichtstunden abzusichern, werden freiwillige Ganztagsangebote wie die Ensemblearbeit oder Theater-AGs weiter reduziert. Kunst- und Musikunterricht sind schon lange eine Art Verschiebemasse im Stundenplan. Sachsens Zukunft scheint nur als die einer großen Ingenieur-Schmiede gewünscht.

Dabei gibt es ideale Voraussetzungen und immense Herausforderungen. Mit einem besonderen Konstrukt, dem bundesweit einmaligen Kulturraumgesetz, hat der Freistaat lange Zeit Theater, Orchester und Museen erhalten können. Im Vergleich mit anderen Ländern, die ihre Ausgabe je nach Kassenlage und Kulturaffinität einfrieren oder reduzieren, reicht Sachsen festgelegte Summen an die Kulturräume aus. Derzeit sind das 86,7 Millionen Euro. Die Städte und Landkreise legen ihrerseits Mittel dazu. Das Solidarprinzip besagt: Je aktiver eine Region, je mehr Mittel bekommt sie vom Land. Das ist immens viel Geld, aber es reicht längst nicht mehr. Außer in Dresden und Leipzig haben alle Häuser mittlerweile Haustarifverträge, weil sie unterfinanziert sind. Teilweise ist der Lohnverzicht so groß, dass die Mitarbeiter vom Einkommen allein nicht leben können.

Im Gegenzug zum Lohnverzicht bekommen die Mitarbeiter mehr Freizeit. Das bedeutet, dass ihre Häuser weniger offen sind, weniger Zuschauer erreichen. Das Ziel müsste also sein, auch die Mitarbeiter von Kultureinrichtungen so zu bezahlen, wie jeder Landes- oder Kommunalbedienstete entlohnt wird. Doch selbst dann würden derzeitige Strukturen nur bewahrt. Ein Masterplan müsste her, wie die Kulturlandschaft künftig aussehen sollte.

Massive Probleme sind zu klären, die aber nur im Zusammenwirken von Landes- und Kommunalpolitik zu meistern sind. Angesichts des Rückgangs der Bevölkerung speziell im ländlichen Raum wird nicht nur die Finanzierung von Einrichtungen schwieriger, auch das potenzielle Publikum wird kleiner. Zugleich ändert sich das Freizeitverhalten. Theater- oder Museumsbesuche haben längst nicht mehr den Stellenwert wie noch vor Jahren. Zugleich wissen alle: Theater, Museum, Bibliothek sind identitätsstiftend. Sie sollten erhalten werden. Demnach müssten neue Schwerpunkte gesetzt und entsprechende Strukturen geschaffen werden. Ein Beispiel: Im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien gibt es drei große Theater, nur knapp 50 beziehungsweise 40 Kilometer voneinander entfernt. Zwei, die von Görlitz und Zittau, sind bereits vereint. Das in Bautzen mit einer sorbischen Sparte, bleibt trotz aller, teils jahrzehntealter Fusionspläne, krampfhaft selbstständig.

Das heißt: in der Lausitz gibt es ein Musik- und Tanztheater und zwei Sprechtheater. Überlebensfähig finanzierbar und wirklich überzeugend für die Aufführungsqualität ist das Modell nicht. Eine vereinte, besser finanziell ausgestattete und leistungsfähigere Bühne der Lausitz könnte die meisten der bisherigen Podien bespielen. Ähnliches gilt in Westsachsen. Ergo: Macht doch wieder richtig Theater, statt faule Kompromisse!

Dann wäre auch Kraft, zum Publikum zu fahren. Da der öffentliche Nahverkehr immer weiter reduziert wird, kommen viele interessierte Besucher gar nicht mehr zu den Theatern in den regionalen Zentren hin beziehungsweise wieder weg. Warum nicht spartenübergreifend denken und die noch existierenden Kulturhäuser für kleinere Veranstaltungsformen mehr nutzen?

Wenn also die Finanzmittel effektiver eingesetzt werden würden, dann bliebe mehr Geld für neue Offerten. Momentan verschlingen die Theater und Orchester, obwohl sie unterfinanziert sind, den Großteil aller Kulturraummittel. Weniger als zehn Prozent bleiben für die anderen Kreativen. Geld für Neues oder Experimente ist nicht da. Sachsen zementiert im 21. Jahrhundert eine Kulturlandschaft, wie sie vor Hunderten von Jahren entstanden ist.

Wohl nicht missachtet, aber völlig unterschätzt wird seitens der Politik, wie Kultur und Sport vom ehrenamtlichen Engagement profitieren. Ob Heimatstube oder Seniorenchor, ob Gymnastikgruppe oder Jugendfußball – Zehntausende Initiativen, die Heimatliebe und soziale Kompetenz fördern, gibt es nur, weil Bürger sie in ihrer Freizeit und faktisch ohne Entschädigung fördern. Zwar wird das Land den Etat fürs ehrenamtliche Engagement auf zehn Millionen Euro erhöhen – allerdings ist das Geld nur für Projekte bestimmt. Organisatoren, die regelmäßig Zeit und Kraft investieren, gehen leer aus. Zudem kommt: Sie haben zu wenige hauptamtliche Ansprechpartner, die sie beraten und motivieren. Ein Beispiel: Gut 8000 Sachsen singen in den weltlichen Chören des Freistaates. Es gibt aber nur eine halbe unterbezahlte Stelle beim Chorverband für ihre Betreuung.

Ein Fazit: Die neue Staatsregierung hat zur Zufriedenheit in Sachen Kultur keinen Anlass. Die Idee vom herkömmlich-starren flächendeckenden Kulturangebot hat ebenso ausgedient, wie es überfällig ist, die Förderung der Breitenkultur – und des Breitensports – ernst zu nehmen. Beides sind heikle Aufgaben, wie sie nur eine große, starke Koalition lösen kann.

Von Bernd Klempnow


Meine Wegweiser

■ Sachsens Zukunft ist nicht nur die einer Ingenieur-Kaderschmiede. Die Kultur , die in fast alle Lebensbereiche eingreift, müsste selbstverständlicher Teil der Tages- wie der langfristigen Politik sein.  Also: Weg vom Katzentisch , ran an den Tisch der Entscheidungen!

■ Mit Haustarifverträgen und Scheinfusionen versucht man krankhaft, die -über Jahrhunderte  entstandene Kulturlandschaft 'mit ihren Stadttheatern zu erhalten. Doch dieser Weg führt zum Aus, weil Mittel und Zuschauer weniger werden. Also: Mut zur bedarfsgerechten Anzahl von Theatern, die dann aber finanziell ausgestattet sind!

■ Völlig unterschätzt werden freiwillige Leistungen der Bürger etwa im Ehrenamt. Sie haben zu wenige hauptamtliche Ansprechpartner. Geld gibt es nur für einzelne Projekte Also: Mehr Aufmerksamkeit für jene, die für den sozialen Kitt der Gesellschaft sorgen!