Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 03.11.2014
Handwerk wirbt für Mindestlohn – und höhere Preise
Dresdens Kammer ruft die Gewerkschaften um Hilfe. Die Betriebe sind guter Dinge – noch.
Dresden. „Fachkräfte haben ihren Preis.“ Was wie eine Dauerforderung von Gewerkschaften in Tarifrunden klingt, kommt jetzt als Werbeslogan vom Handwerk – ergänzt um die Passage „Qualität auch“. Die Kampagne, für welche die Dresdner Kammer tellergroße Aufkleber verteilt, ist eine nicht ganz uneigennützige Reaktion auf den gesetzlichen Mindestlohn, wonach ab 2015 – spätestens aber 2017 – republikweit 8,50 Euro pro Stunde gezahlt werden müssen. Ausnahmen: Unter-18-Jährige, Lehrlinge, Langzeitarbeitslose im ersten Halbjahr ihres neuen Jobs, Pflicht- und bis zu drei Monaten auch freiwillige Praktikanten.
Das Handwerk habe sich „nie pauschal gegen Mindestlöhne gewehrt“, erklärt Kammerpräsident Jörg Dittrich. Es sei von der Regelung aber besonders betroffen. Auch wenn Ostsachsens Oberhandwerker regionale und branchenspezifische Untergrenzen weiter für die bessere Lösung hält, müssten sich die 23002 Mitgliedsbetriebe im Regierungsbezirk nun mit dem Bundeslimit abfinden und sich darauf einstellen. Mehr noch: „Wir wollen den Mindestlohn nicht unterlaufen, sondern gestalten“, so Dittrich. Und: „Am besten mit den Gewerkschaften“, fügt der Chef einer Dresdner Dachdeckerfirma hinzu.
Und wie soll das gehen? „So wie Gewerkschaften und Politik einst für den Mindestlohn getrommelt haben, müssen sie jetzt helfen, dass die dafür nötigen Preiserhöhungen von der Kundschaft akzeptiert werden“, plädiert Dittrich für eine gemeinsame Werbeaktion. „Haken dran, erledigt – so geht‘s nicht.“ Viele müssten „teilhaben, damit der ordnungspolitische Eingriff auch gelingt“. Höhere Preise seien nötig, um Entlassungen und Betriebsaufgaben zu verhindern. Von „Schulterschluss“ will Kammerchef Andreas Brzezinski nicht sprechen, aber „von gemeinsamer Verantwortung für die Folgen des Gesetzes“. Und die könnten aus Handwerkersicht fatal sein.
Die Kammer hat „keine belastbaren Daten“, wie viele Betriebe die Lohntüten mehr oder weniger deutlich auffüllen müssen. Dittrichs Auszug aus einer Branchenliste der Betroffenheit macht aber die Dimension deutlich: Danach zahlen Bäckermeister derzeit ihrem Personal an Ofen und Verkaufstresen sechs bis gut 8,50 Euro, Fleischer ähnlich, Schuhmacher ab 5,70 Euro, Friseure 6,50 Euro, Gebäudereiniger ab Januar 8,21 Euro, Metallhandwerker mindestens 7,11 Euro für Hilfskräfte.
Vor allem Betrieben nahe Tschechien und Polen, wo es mit 1,95 und 2,31 Euro niedrigere Mindestlöhne gibt, droht Ungemach. „Bei den Nachbarn kann man nicht nur billig tanken“, sagt der Präsident mit Blick auf Fleischer, Bäcker, Friseure, Kosmetiker. Sie, „am besten alle Betriebe bis 20 Mitarbeiter“, bräuchten Hilfe von der Politik – etwa durch niedrigere Sozialbeiträge. Bei der 2010 abgesenkten Mehrwertsteuer für Hoteliers sei es ja auch gegangen.
Allerdings gibt es auch Mindestlöhne, die schon jetzt deutlich über den 8,50 Euro liegen: 10,50 Euro am Bau, 11,55 Euro für Dachdecker, 10,25 Euro für Gerüstbauer, 12,78 Euro für Schornsteinfeger. Insgesamt darbt das Handwerk nicht wirklich – vom Kfz-Gewerbe mal abgesehen.
Bei der Beurteilung der Lage in Ostsachsen gibt sich die Kammerspitze aber uneins: „Konjunkturscheitel durchschritten“, „nicht schlecht“, „noch in einem Stimmungshoch“, „so etwas wie ein Normalzustand, der schon bald durch Mindestlohn und steigende Energie- und Rohstoffpreise bedroht sein könnte“ – so schlussfolgern Präsident Dittrich und Hauptgeschäftsführer Brzezinski aus der jüngsten Konjunkturumfrage unter rund einem Fünftel ihrer Pflichtmitglieder. Danach ist die Lage ähnlich der vor Jahresfrist, als ebenfalls neun von zehn Betrieben gute und befriedigende Bewertungen abgaben. Die Erwartungen gingen hingegen zurück. Kaum jeder zweite Handwerker rechnet in den nächsten Monaten noch mit guten Geschäften, mehr als jeder fünfte aber mit Verlusten.
Klarer als die Konjunkturanalyse ist dafür Jörg Dittrichs Aussage zum Amt des künftigen sächsischen Wirtschaftsministers. Für den Posten wurde er als einer der Kandidaten gehandelt. „Das ist vollkommener Unsinn“, sagt Dittrich zur SZ. Er sehe derart gestreute Gerüchte „weniger als Ehre denn als Test, wo ich parteipolitisch stehe“. Es habe keinerlei Anfragen gegeben, so der parteilose Dachdeckermeister. Und Dittrich ergänzt: „Als Präsident der Handwerkskammer habe ich viel mehr Gestaltungsspielraum als ein Landesminister.“
Von Michael Rothe