Karl Nolle, MdL
spiegel online, 06:46 Uhr, 06.11.2014
Rot-Rot-Grün-Talk bei "Anne Will" - Lafontaine gegen alle
Zur rot-rot-grünen Koalition in Erfurt ist eigentlich alles gesagt. Doch Edmund Stoiber und Oskar Lafontaine fällt natürlich noch was ein. Bei Anne Will laufen die beiden Polit-Oldies zu Hochform auf.
Weshalb eigentlich hat ein früherer Pfarrer aus dem Osten etwas dagegen, dass ein Christ und Gewerkschafter aus dem Westen Ministerpräsident in Thüringen wird, wo doch bereits eine frühere FDJ-Sekretärin Kanzlerin werden konnte? Wenn in einer Diskussion über Rot-Rot-Grün solche Töne angestimmt werden, ist klar, dass es etwas schärfer zur Sache geht. Gewährleistet wurde dies bei Anne Will durch einen gewissen Oskar Lafontaine. Und da außerdem noch Edmund Stoiber zugegen war, war eine nicht unbedingt erkenntnisträchtige, aber höchst unterhaltsame Sendung garantiert.
Mag auch zur anstehenden Koalitionsbildung in Erfurt das meiste bereits gesagt sein, so hatten die beiden kampferprobten westdeutschen Duellanten doch kein Problem damit, die Kontroverse noch einmal auf die Ebene besten Polit-Entertainments zu hieven.
Bemerkenswert burschikos - man könnte auch sagen: ziemlich polemisch - knöpfte sich der Alt-Linke den Bundespräsidenten vor. Der lebe "immer noch in der DDR" und sei obendrein nicht mal ein richtiger Bürgerrechtler gewesen. Das konnte Stephan Hilsberg, unstrittig echter Ex-Bürgerrechtler und Mitbegründer der Ost-SPD, so natürlich nicht stehen lassen.
Edmund Stoiber als DDR-Erklärer
"Ehrabschneidung" lautete denn auch prompt der Vorwurf gegen Lafontaine, der somit die Wahl hatte, mit wem er sich härter anlegen sollte - mit dem Sozi-Genossen vergangener Tage oder dem Konservativen. Eine dritte Möglichkeit, die er auch mehrfach nutzte, bestand darin, die ganze Debatte als "völlig absurd" zu deklarieren.
Der Bayer gefiel sich derweil in der Rolle des DDR-Erklärers und scheinheilig besorgten Kümmerers um das Heil von SPD und Bündnisgrünen. "Unglaublich, unmöglich" sei das SED-System gewesen, sprudelte es förmlich aus ihm heraus, und dann war man plötzlich mittendrin in den alten, immer noch und wieder zum Streit taugenden Fragen: der von der westlichen Übernahme der Block-CDU (Hilsberg: "Ein schwerer Fehler Kohls"), vom Erbe, das die Linke angeblich mit sich herumschleppt (Hilsberg: "Im Kern die ehemalige SED"), und vor allem jener unvermeidlichen, wie es mit der Benennung der DDR als "Unrechtsstaat" zu halten sei.
Ob denn das Bekenntnis zu diesem Begriff mittlerweile zu einem etwas selbstgefällig markierten "Prüfstein für demokratische Gesinnung" geworden sei, wollte die Moderatorin wissen, und spätestens an dieser Stelle war dann bei aller sonstigen Hitzigkeit der Kontroverse ein bisschen semantische Feinarbeit fällig.
Von einer "unnötigen Debatte um ein einzelnes Wort" sprach Anke Domscheit-Berg, Netzaktivistin mit Vergangenheit als oppositionelle Studentin in der DDR, Bündnisgrüne und Piratin. Wichtiger sei es, die Fakten des strukturellen Unrechts zu benennen, das niemand leugne. Das war eine Formel, auf die sie, die entschiedene Rot-Rot-Grün-Befürworterin ("Ich finde diese Koalition großartig"), sich mit Linken-Kritiker Hilsberg verständigen konnte, dem sie im Übrigen zugestand, sie verstehe seine Verletzungen aus der DDR-Zeit. ´
Für sein Pochen auf intensive Aufarbeitung des Unrechts bekam dieser auch von Lafontaine Respekt gezollt. Interessanterweise fand der nichts dabei, eine historische Parallele zur Auseinandersetzung der alten Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit zu ziehen.
"Wenn wir heute in Frankreich, wenn wir in Europa, äh..."
Apropos Nazis: Frau Domscheit-Berg sah gerade in den aktuellen Umtrieben der Rechtsradikalen ein besonderes Argument für die neuen Thüringer Koalitionsverhältnisse, abgesehen von der zunehmenden Überwachung, die sie weit mehr ängstige als ein linker Ministerpräsident. Gemessen an der vergleichsweise harmlosen Titelfrage, ob Deutschland 25 Jahre nach dem Mauerfall bereit für einen solchen sei, war schon erstaunlich, welch weite Bögen geschlagen wurden, welche unterschiedlichen, teils subtilen Konfliktlinien sich zeigten und wie sich das alles zu einer Art zeitgeschichtlich-weltanschaulichem Kessel Buntes vermischte.
Einer in der Runde allerdings hatte ein Generalthema gefunden, das ihn offenkundig derart faszinierte, dass er es mehrfach zur Sprache brachte. Edmund Stoiber konnte wohl einfach nicht anders und musste Oskar Lafontaine wiederholt ein bisschen stichelnd fragen, ob es denn nicht ein Triumph für ihn sei, es endlich geschafft zu haben, die SPD nun zum Juniorpartner der Linken zu machen. Doch der Gefragte winkte nur ab: "Leider kann ich gar nicht triumphieren." Denn in Wahrheit sei es ihm immer nur um die Bewahrung des Sozialstaats gegangen, und der sei heute mehr gefährdet denn je.
Das wiederum gab Stoiber Gelegenheit, das Ansehen des "neuen Deutschland" dank seiner Wirtschaftskraft zu loben ("Wenn wir heute in Frankreich, wenn wir in Europa, äh...") - und das alles dank Schröders Agenda-Politik. Lafontaine konterte mit den Problemen des Mindestlohns und überhaupt der fortbestehenden Ungerechtigkeit. Und als Zuschauer hätte man sich beinahe an Zeiten im älteren Deutschland erinnert gefühlt.
Von Mathias Zschaler
URL: http://www.spiegel.de/kultur/tv/anne-will-oskar-lafontaine-und-edmund-stoiber-zu-gast-in-ard-talkshow-a-1001307.html