Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 13:40 Uhr, 15.11.2014

Linke in der SPD - Rot oder rosé?

 
15. November 2014 Eigentlich könnte sich die SPD-Spitze darüber freuen, dass die Linken um Vize-Parteichef Ralf Stegner eine neue Allianz gründen wollen. Denn der SPD schadet es gar nichts, wenn ein paar Leute fragen, ob es gut ist, dass sich die Partei entsozialdemokratisiert hat. Die müde SPD hat Zunder nötig. Ein Kommentar von Heribert Prantl.

Die SPD war einmal eine Partei, die stolz darauf war, dass sie um Positionen ringt. In dieser Partei wurde debattiert wie wild, es hat gedonnert und geblitzt. Es wurden Programmpapiere geschrieben und wieder zerrissen, Thesen entwickelt, verworfen und neu modelliert. Es war immer was los in der Geschichte dieser Partei; aber das ist schon länger her. Seit geraumer Zeit hat die SPD-Führung schon Angst vor dem Wort "links" und kriegt bei dem Wort "Sozialismus" Gänsehaut. Die lauten roten Lieder singt man nur noch, wenn man besoffen ist. Man will nicht mehr rot sein, sondern rosé. Das Rote überlässt man der Partei, die sich "Die Linke" nennt. Das ist töricht - aber ein Faktum.

Eigentlich könnte sich die SPD-Spitze darüber freuen, dass die Linken in der SPD am Wochenende eine neue Allianz, die "Plattform Neue Linke" gründen wollen. Denn die müde SPD hat Zunder nötig; es schadet ihr gar nichts, wenn ein paar Leute fragen, ob es gut ist, dass sich zwar die CDU sozialdemokratisiert hat, die SPD sich aber entsozialdemokratisiert. Man muss nicht gleich vor "Flügelkämpfen" warnen, wie das der SPD-Fraktionschef Oppermann tut, wenn da die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert wird. Und wenn die "Plattform Neue Linke" in ihrem Gründungsaufruf meint, dass neoliberale Denkmuster bis heute in die Partei einwirken, ist das kein "Unfug", sondern wahr - seit dem Schröder-Blair-Papier vom 8. Juni 1999.

Dieses Papier war die inoffizielle Regierungserklärung der Ära Schröder, es war ein Wörterbuch der neuen Herrschaftssprache ("Flexibilisierung, Modernisierung, Rationalisierung"); es verlangte von der SPD einen neuen Glauben in das "einwandfreie Spiel der Marktkräfte", der dann auch die Agenda 2010 prägte. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis die Nachrichten über Massenentlassungen und Milliardenpleiten die neoliberalen Verheißungen diskreditierten und die Sozialpolitik in der SPD rehabilitiert wurde.

Die zu matte Sozialdemokratie hat Zunder nötig

"Politik kann man in diesem Land definieren als die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung". Kurt Tucholsky, dessen 125. Geburtstag in Kürze gefeiert wird, hat diesen bissigen Satz geschrieben. Es ist nicht die Schuld der Linken in der SPD, wenn dieser Satz auch heute noch beißt.

Der damalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, ein Rechtsgelehrter von europäischem Rang, hat 1995 in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer geschrieben, dass die Sicherung unbegrenzter Eigentumsakkumulation nicht Inhalt der Eigentumsgarantie sei. Es ist eigenartig, wenn Sätze dieser Art in der SPD heute als unzulässige Kritik an Parteichef und Wirtschaftsminister Gabriel gewertet werden.

In der vergangenen Legislaturperiode hat die SPD den vergeblichen Vorstoß unternommen, die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in großen Unternehmen einzuführen - es also nicht bei Mitbestimmung nur in sozialen und personellen Angelegenheiten zu belassen. Das ist ein Jahrhundertthema. "Wir brauchen mehr demokratische Teilhabe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern", so die SPD. Wenn der Satz damals, als sie in der Opposition saß, richtig war, ist er dann heute falsch, nur weil sie regiert? Es wird der Partei gut tun, wenn eine SPD-Linke solche Fragen stellt.