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zeit-online.de, 10.12.2014

Thüringen: Wie immun ist Bodo Ramelow?

 
Das Dresdner Amtsgericht will die Immunität von Bodo Ramelow aufheben lassen. Wegen einer Demo-Blockade im Jahr 2010. Was ist da los? Und: Was könnte passieren? von Steffi Dobmeier

Bodo Ramelow, erst seit wenigen Tagen Ministerpräsident in Thüringen, soll sich noch einmal wegen einer Demonstration gegen Neonazis im Jahr 2010 vor Gericht verantworten. Das Amtsgericht Dresden hat deshalb beim Thüringer Landtagspräsidenten die Aufhebung der Immunität des Linken-Politikers beantragt.

Was ist politische Immunität?

Politische Amtsträger sind vor Strafverfolgung geschützt. Durch die Regelung, die im Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes steht, soll die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichergestellt werden. Dort heißt es: "Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden."

Diese parlamentarische Immunität gilt nicht bei zivilrechtlichen Ansprüchen und schützt die Abgeordneten des Bundestags nicht vor Strafe. Der Schutz durch die Immunität kann vom Parlament aufgehoben werden. Nur dann darf der Abgeordnete "wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung" zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden.

Was wird Ramelow vorgeworfen?

Der Linken-Politiker soll am 13. Februar 2010 – am Jahrestag der Bombardierung Dresdens – zusammen mit Tausenden anderen Protestierenden einen Aufmarsch der rechten Jungen Landesmannschaft Ostdeutschland blockiert haben. Ramelow wird vorgeworfen, die friedliche Blockade "maßgeblich mitinitiiert" zu haben. Er selbst hat den Vorwurf wiederholt zurückgewiesen. Er sei dort als Vermittler aufgetreten, sagte Ramelow. Auch die Polizei habe das in Anspruch genommen.

Der angemeldete Aufmarsch war genehmigt. Die Staatsanwaltschaft hatte schon im Vorfeld Aufrufe zu einer Blockade als Straftat eingestuft und gegen zahlreiche Teilnehmer Ermittlungen eingeleitet.

Bisheriges Verfahren

Die Immunität von Ramelow wurde wegen des Verfahrens schon einmal aufgehoben, zu einem Prozess kam es bisher aber nicht. Gegen einen Strafbefehl des Amtsgerichts, demzufolge er wegen "grober Störung" im Sinne des Versammlungsgesetzes 20 Tagessätze zu je 170 Euro zahlen sollte, hatte er Einspruch eingelegt. Das Verfahren wurde im Mai wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Ramelow sagte dem Tagesspiegel, er habe der Einstellung des Verfahrens damals zugestimmt. Die Anwaltskosten habe er aber nicht selbst tragen wollen – und deshalb Widerspruch eingelegt. Diesen Einspruch habe er gewonnen. Die Entscheidung, das Verfahren einzustellen, wurde daraufhin aufgehoben. Seither ist das Verfahren wieder offen.

Nun soll es weitergeführt werden. Als Grund dafür nannte ein Sprecher des Amtsgerichts, dass inzwischen eine neue Wahlperiode begonnen habe. Deshalb müsse die Aufhebung der Immunität noch einmal neu beantragt werden.

Aus der Staatskanzlei in Erfurt heißt es, Ramelow bleibe dabei: Ein friedlicher Protest gegen rechtsextremistische, rassistische und antisemitische Demonstrationen dürfe nicht kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden.

Wie wird die Immunität aufgehoben?

Der Antrag auf Aufhebung muss beim Parlamentspräsidenten eingehen – in diesem Fall ist das der Landtagspräsident Christian Carius (CDU). In der Regel entscheidet das Parlament darüber, ob dem Antrag stattgegeben wird. Laut der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags überträgt das Parlament diese Entscheidungen auf den Justizausschuss. Betroffene können von dem Ausschuss angehört werden, an der Entscheidung beteiligen dürfen sie sich nicht.

Der Düsseldorfer Verfassungsrechtler Martin Morlok hält das Prozedere für einen Routinevorgang. "Ich gehe davon aus, dass die Immunität von Bodo Ramelow aufgehoben wird", sagte er ZEIT ONLINE. Erst dann könne strafrechtlich ermittelt werden. Er sehe keinen Grund, warum Abgeordnete in solchen Fällen einen Sonderstatus im Vergleich zu anderen Bürgern haben sollten.

Es bleibt zunächst offen, ob es zu einer formellen Aufhebung der Immunität überhaupt kommen kann. Ramelow will sein Landtagsmandat ohnehin abgeben. Laut den Regeln der Linken können Regierungsmitglieder nicht gleichzeitig Abgeordnete sein. Ramelow ließ offen, wann er das Mandat niederlegt. Wenn er kein Landtagsabgeordneter mehr ist, kann regulär gegen ihn ermittelt werden.

Welche Auswirkungen hätte die Aufhebung der Immunität für Ramelow?

Wird Ramelows Immunität aufgehoben, kann gegen ihn ermittelt werden. Im schlimmsten Fall droht ihm ein Prozess und eine Verurteilung. Das Verfahren kann aber auch eingestellt werden, wie es ja schon einmal der Fall war. Einen Schaden für das Ministerpräsidentenamt und Ramelows Arbeit sieht Verfassungsrechtler Morlok nicht. "Es sieht für mich eher danach aus, als würde hier der Staat auf merkwürdige Art und Weise seine Macht demonstrieren wollen."

Bislang ist laut einer Sprecherin des Amtsgerichts noch keine Entscheidung über die Eröffnung einer Hauptverhandlung gefallen.

Juristische Folgen der Blockade

Der Fall Ramelow ist nicht der einzige, bei dem die sächsische Justiz friedlich verlaufende Blockaden im Zusammenhang mit den Neonazi-Aufmärschen in Dresden als Straftat wertet. Die Blockaden hatten für viele Demonstranten ein juristisches Nachspiel. Wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz bekamen die Linken-Fraktionschefs aus Hessen, Willi van Ooyen und Janine Wissler, Strafbefehle über je 3.000 Euro. Das Amtsgericht Dresden hob sie im Dezember 2012 auf und stellte das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein.

Auch gegen den damaligen Linken-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, André Hahn wurde ermittelt. Dieses Verfahren wurde ebenso eingestellt wie im November dieses Jahres das Verfahren gegen Jenas Jugendpfarrer Lothar König, das bundesweit bekannt wurde.