Karl Nolle, MdL

spiegel online, 16:03 Uhr, 11.12.2014

CIA-Folter: Für den Westen geht es jetzt um alles

 
Eine Kolumne von Jakob Augstein

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die USA sind ein Folterstaat. Es genügt nicht, die CIA-Verbrechen zu veröffentlichen. Wenn der Westen seine Würde wiedererlangen will, müssen die Täter vor Gericht.

Die USA sind ein Folterstaat. Wir wussten das. Jetzt können wir es nachlesen. Schwarz auf weiß. In einem Bericht des amerikanischen Senats. Man sieht an den Reaktionen weltweit: Es macht einen Unterschied, ob die Dinge bekannt sind oder bewiesen.

Für den Westen geht es jetzt um alles: seine Werte, sein Wesen, seine Identität. Die Veröffentlichung der Verbrechen der CIA war ein politischer Akt. Und ein Zeichen der Stärke des amerikanischen Systems. Aber das Zeichen der Stärke kann immer noch zum Zeichen der Schwäche werden. Wenn diese Veröffentlichung ohne juristische Folgen bleibt, wenn die Täter nicht vor Gericht kommen, dann bleibt vom Westen nur noch die Erinnerung.

Waterboarding, Kälteschocks, Prügel, Würgen, Aufhängen in der Zelle - die Liste der Foltermethoden der CIA ist lang. In den USA wurde Unrecht zum System und das System dadurch zum Unrechtsstaat. Die Verbrechen der CIA, die unter der Regentschaft von George W. Bush begangen wurden, haben das Antlitz Amerikas besudelt, das Antlitz des Westens. Das wird lange bleiben. Wer auch immer reflexartig auf noch brutalere Foltermethoden in anderen Unrechtsstaaten wie China oder Iran verweist, sollte es sich zweimal überlegen: Ist der Maßstab unseres Handelns inzwischen so niedrig?

George W. Bush, der sicher eine der größten Katastrophen ist, die den USA und dem Westen in den vergangenen Jahrzehnten widerfahren ist, schrieb im Jahr 2010 in seinen Memoiren, er habe die Wahl gehabt "zwischen Sicherheit und Werten".

Das ist Dummheit oder Hybris. Es gibt das eine nicht ohne das andere: Sicherheit und Werte hängen zusammen. Das ist das Wesen der Demokratie, das ist die Stärke des Rechtsstaats.

Bush hat keine moralische Politik gemacht, sondern einen politischen Moralismus benutzt, der sich seine Regeln jeweils so schmiedet, wie sie gerade dem eigenen Vorteil gereichen. Von Immanuel Kant stammt die Idee, dass nur der Staat, der sich dem Recht unterwirft, der rechtmäßige Staat ist. Er meinte Leute wie Bush, als er von den "Schlangenwendungen einer unmoralischen Klugheitslehre" sprach, die jede Moral der Staatsraison oder dem eigenen Machtstreben unterordnen.

Es sind Un-Demokraten wie die französische Rechtspolitikerin Marine Le Pen, die an die Folter glauben. Ihr Vater hatte in Algerien Übung darin gewonnen. "Es kann Fälle geben, wenn eine Bombe - tick tack tick tack tick tack - in einer oder zwei Stunden explodieren soll und dabei 200 oder 300 zivile Opfer fordern würde", sagte Le Pen nach den CIA-Enthüllungen, "da ist es nützlich, die Person zum Sprechen zu bringen."

So geht dieses ewig gleiche, zynische Argument. Aber das Senatskomitee fand keinen Beleg dafür, dass die unter Folter gewonnenen Aussagen auch nur einen Anschlag vereitelt haben, dass durch sie auch nur ein Leben gerettet werden konnte. Wenn man einen Menschen in eine Kiste sperrt, wenn man ihn an den Händen in seiner Zelle aufhängt, wenn man ihn 180 Stunden lang am Schlafen hindert - dann wird er alles verraten, die Wahrheit, die Lüge. Was macht das für einen Unterschied?

Wenn die Justiz versagt, versagt der Westen

Die Geschichte der Folter lehrt: Wem der Zweck alle Mittel heiligt, dem ist am Ende nichts mehr heilig, und der wird am Ende auch noch seinen Zweck verfehlen. Der beeindruckende Dokumentarfilm "The Gatekeepers", der vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet und seinen Verbrechen handelt, zitiert den jüdischen Philosophen Yeshayahu Leibowitz: Ein Staat, der über eine feindliche Bevölkerung von Ausländern herrsche, werde "zwangsläufig zu einem korrupten Kolonialregime". In ihrem sinnlosen Krieg gegen den Terror haben die USA, die sich wie eine weltweite Besatzungsmacht verhalten, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen, nun selbst diese israelische Erfahrung gemacht: Die Verbrechen, die man an anderen begeht, begeht man auch an sich selbst.

Was folgt jetzt daraus? Aus dem Leid, der Demütigung, den Schmerzen, der Verzweiflung, die von den CIA-Schergen in unser aller Namen, im Namen des Westens, verbreitet wurden?

Und was folgt aus dem Tod des Häftlings Gul Rahman, den die Folterknechte der CIA eiskalter Duschen unterzogen, ihn dann anketteten und halbnackt in seiner Zelle liegen ließ? Er starb an Unterkühlung.

Wird dieser Mord geahndet werden? Werden diese Verbrechen geheilt? Ohne Sühne dieser Schandtaten bleibt die Würde des Westens verletzt - und kann auch nicht mehr heilen. Ohne juristische Konsequenzen wird kein westlicher Staat jemals wieder Menschenrechtsverletzungen in den Diktaturen und Despotien dieser Welt anprangern können. Ohne das Urteil eines unabhängigen Gerichts gibt es keine Garantie, dass sich solche Verbrechen niemals wiederholen werden.

Die amerikanische Justiz muss sich des CIA-Berichts annehmen. Wenn sie versagt, versagt der Westen.