Karl Nolle, MdL
DIE WELT, 30.11.2014
Dramatischer Aufwind für die Rechtsextremen
Die NPD galt als tot. Doch nun könnte ihr mit Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ein Comeback gelingen. Befeuert von "Pegida"-Demonstrationen - und dem Versuch der AfD, sich vom rechten Rand zu lösen.
Von Günther Lachmann
Anfangs waren es einige Hundert; inzwischen sind es Tausende, die von Dresden bis Köln auf die Straße gehen. Ihre Bewegung nennt sich "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida). Am vergangenen Montag zählte die Polizei bei der sechsten Demonstration dieser Initiative in Dresden 5500 Teilnehmer. Als die Bundesländer vor fast genau einem Jahr, am 3. Dezember 2013, im Alleingang ein neues NPD-Verbotsverfahren auf den Weg brachten, hatte niemand mit dieser Entwicklung gerechnet, die Radikalismusforscher als durchaus dramatisch beschreiben.
"Wir haben erstmals wieder eine rechtsextreme, rechtspopulistische und rechtsnational motivierte Massenbewegung in Deutschland", warnt etwa der Berliner Politologe Hajo Funke angesichts der in 33 deutschen Städten geplanten Schweigemärsche. Und für ihn steht außer Frage, wer von dieser Bewegung profitieren wird. "Mit diesen Demonstrationen gewinnt die NPD wieder Aufwind", sagt Funke.
Zwar ist die Partei, die nur noch in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag sitzt, durch den Verlust ihres langjährigen Vorsitzenden Udo Voigt, durch katastrophale Parteifinanzen, durch die Niederlagen bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie den Aufstieg der AfD demoralisiert. Angesichts der aus dem bürgerlichen Lager gespeisten neuen Marschbewegung werde sie sich jedoch schnell als Kraft zur sogenannten Verteidigung des Abendlandes gegen Salafismus und Überfremdung begreifen und sich als solche einzubringen versuchen. Aufgeben werde die NPD nicht. "Das ist eine Überzeugungstäterpartei", sagt Funke.
"Zu viele Probleme auf einmal werden politisch
nicht erklärt und damit nicht begreifbar"
Seiner Ansicht nach mischen sich in der Pegida-Bewegung "verstehbare Ängste" im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung, mit "Rechtspopulismus und weiterreichendem Rassismus". "Angst wird in das Ressentiment gegen Ausländer und den Islam gerührt", sagt Funke. Ursache für das Entstehen von Pegida seien Defizite in der politischen Kommunikation. "Zu viele Probleme auf einmal werden politisch nicht erklärt und damit nicht begreifbar."
Wie Funke sieht auch sein Dresdner Kollege Werner Patzelt "in den nächsten Monaten eine gigantische Verschärfung der Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblematik" mit erheblichen Folgen für das politische System. "Wenn die etablierten Parteien weiterhin nicht in der Lage sind, darüber eine vernünftige Diskussion hinzubekommen, und wenn auch die AfD diese Debatte nicht führen kann, dann sind neue Stimmengewinne für die NPD möglich", sagt Patzelt.
Allerdings sieht er in den 5500 Demonstranten, die in Dresden auf die Straße gingen, nicht zwangsläufig NPD-Wähler. "Das sind nicht die üblichen Verbohrten, sondern ganz bürgerliche Gruppen", sagt er. Aber das veränderte Klima im Land, das sich in den Demonstrationen ausdrücke, werde die zuletzt eher wahlmüden und frustrierten NPD-Anhänger wieder mobilisieren.
Patzelt beklagt die "vollständige Passivität" der aktuellen Flüchtlingspolitik. Den Kommunen würden Kontingente vorgegeben und dann müssten sie sehen, wie sie die Flüchtlinge unterbringen. "Der wortlose Protest der Pegida-Demonstrationen ist die Antwort der Bürger auf die Sprachlosigkeit der Politik", sagt Patzelt. Er habe in der Zuwanderungspolitik und der Europolitik beobachtet, wie der öffentliche Diskurs nach links verschoben wurde. Rechts sei eine Lücke entstanden. "Die CDU will sie nicht schließen", sagt Patzelt. "Und die AfD tut alles, um sich vom rechten Rand zu distanzieren." Das sei die Chance der NPD.
Wird die AfD Wegbereiter einer rechtsextremen Partei?
Seiner Meinung nach ist es unsinnig, die AfD-Spitze mit Bernd Lucke, Frauke Petry und Alexander Gauland als rechtspopulistisch zu bezeichnen. Sie verträten im Wesentlichen ehemalige CDU-Positionen und seien sehr darum bemüht, die AfD zu professionalisieren, indem sie sich von problematischen Mitgliedern trennten.
"Es ist aber eine Frage, wie lange das noch gut geht", sagt Patzelt. "Denn je tiefer man an die Basis geht, desto größer wird der Anteil an rechten Spinnern." Anders ausgedrückt: Der Nationalkonservatismus sei ein prägendes Element der neuen Partei. Genau das mache die AfD so gefährlich, sagt wiederum Funke.
Mit Patzelt ist er sich darin einig, dass die AfD-Spitze keinesfalls rechtsextrem sei. Aber: "Auch die Nazis haben das deutschnationale Milieu gebraucht, um stark zu werden", sagt Funke. Demnach wäre die AfD nur der Wegbereiter für den Aufstieg einer wirklich rechtsextremen Partei. Ob dies die NPD sein kann, sei dahingestellt. Den von den Ländern eingereichten Verbotsantrag prüft das Verfassungsgericht weiterhin. Anzeichen für eine baldige Entscheidung gibt es nicht.