Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 09.03.2015

"Wie der Deckel zum Topf" - Karl Nolle wird 70 - Viele Freunde, viele Feinde

 
Als "Chef-Aufklärer" des Landtags mischte der SPD-Mann jahrelang die sächsische Politik auf. Die CDU-Spitze nimmt ihm das bis heute sehr übel.

Dresden. Der Jäger war schon immer auch ein begnadeter Sammler. In seinem Kampf gegen das Unrecht dieser Sachsen-Welt hatte Karl Nolle, als er noch Abgeordneter war, massenhaft interessante Dokumente zur Hand. Nicht selten handelte es sich dabei um Schriftstücke, die ein eher trübes Licht auf den Regierungsapparat warfen.

Dem Landtag gehört Sozialdemokrat Nolle zwar seit einem halben Jahr nicht mehr an, gerade wühlt er sich aber wieder durch allerhand Papiere - dieses Mal in eigener Sache. "Im Moment räume ich unzählige Akten aus 40 Jahren Druckerei, 15Jahren Landtag und fünf Untersuchungsausschüssen für eine spätere Würdigung auf", sagt er. Nur heute kann er sich das wohl schenken, Nolle wird 70 und es dürfte zahlreiche Gratulanten geben. Er werde "mit vielen politischen und persönlichen Freunden" feiern.

Auch Feinde hat Nolle zuhauf. Über Jahre hinweg landeten ausgerechnet bei ihm brisante Informationen, deren Veröffentlichung einige Spitzenkräfte des Landes zu Fall brachte. Ein paar Minister waren darunter, ein Olympia-Staatssekretär und gleich zwei CDU-Ministerpräsidenten. Auch der dritte, immer noch amtierende Regierungschef hatte in der "Blockflöten"-Debatte vor sechs Jahren sehr unter Nolles Eifer zu leiden. Stanislaw Tillich regiere "eher mit den Ärmelschonern eines gelernten Staatsfunktionärs, als mit klugen Gedanken", sagt Nolle noch heute. Die Regierungsbeteiligung seiner Partei an der Seite der CDU sieht er skeptisch. "Wer mit der Schwarzen Witwe kopuliert, muss sich darauf einstellen, gefressen zu werden."
 
Die tiefe Abneigung zwischen Nolle und der Union beruht seit Jahren auf Gegenseitigkeit. Daran ändert sich selbst zum Jubiläum nichts. Nolle habe einen "negativen Politikstil nach Sachsen gebracht, er hat gespalten und verletzt" und damit "der politischen Kultur" geschadet, findet etwa CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. "Es ist gut, dass er keine Rolle mehr spielt."

Doch nicht jeder in der Union sieht das so. "Zur lebendigen Demokratie gehört der beherzte und gelegentlich rhetorisch überspitzte Widerspruch wie der Deckel zum Topf", findet Martin Gillo, der als Wirtschaftsminister von 2002 bis 2004 selbst unter Nolles Attacken zu leiden hatte. "Für die sächsische Demokratie personifizierte Karl Nolle diesen Widerspruch in all seinen legitimen Ausprägungen und belebte damit unsere Politik." Auch im Glückwunschschreiben von SPD-Chef Dulig steht: "Deine Gradlinigkeit ist vielen von uns Richtschnur." Nolle werde weit über die Partei hinaus "als leidenschaftlicher Sozialdemokrat und Kämpfer für die Sache" geschätzt. "Leider haben nicht wenige den nötigen Respekt vor Deiner Leistung vermissen lassen."

Noch stärker fällt das Lob der Linken aus. "Karl Nolle ist ein unbestechlicher parlamentarischer Aufklärer gewesen", erklärt ihr Chef Rico Gebhardt. Er erinnert auch an das Ende des Unternehmers Nolle. Die Druckerei ging pleite, nachdem die Staatsanwaltschaft wegen Subventionsbetrugs ermittelte. Das Finanzgericht Leipzig gab später Nolle recht. Gebhardt spricht von einer "mutmaßlich politisch motivierten juristischen Verfolgung", die Nolles Lebenswerk vernichtet habe. Ihm droht auch die private Insolvenz. Ob das seine Pläne durchkreuzt? Bereits druckfertig ist seine Broschüre zu Fehlentwicklungen der Verteilung von Wohlstand in Sachsen. Nolle will weiter mitmischen.

Zu den Fundstücken seines Archivs gehört auch sein Frühwerk. Als er 23 war, hatte der gebürtige Niedersachse eine Lehre als Elektromechaniker gerade hinter und das Erwachsenenabi vor sich. Es war 1968, und Nolle schrieb politische Gedichte. Darunter Verse wie: "Wir kennen unsere Freiheit/Sie ist uns angeboren/Die ihr doch nur bekommen habt/Fürs Maulhalten und fürs Ordentragen." Nolle kann weder das eine, noch muss er das andere. Dabei wurde die Sächsische Verfassungsmedaille für "Verdienste um die freiheitliche demokratische Entwicklung des Freistaates" bereits an 130 Leute verliehen. An Nolle hat noch niemand gedacht. Gäbe es einen passenderen Preisträger?

Von Tino Moritz