Karl Nolle, MdL
spiegel online, 14:16 Uhr, 17.03.2015
NS-Entschädigungen für Griechenland - Das reiche Deutschland wirkt peinlich
Ein Gastkommentar von Gesine Schwan
Mit juristischen Winkelzügen argumentiert die Bundesregierung gegen Entschädigungs-Zahlungen an Griechenland. Diese Position steht beispielhaft für den feindseligen Kurs Berlins gegenüber Athen. Es braucht ein klares Signal der Versöhnung.
Die Debatte zwischen der Bundesregierung, bisher fast nur vertreten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, und der griechischen Regierung wird immer feindseliger. Wer daran die "Schuld" trägt, wird sich gegenwärtig in der Hitze des Schlagabtausches schwer sagen lassen.
Aber klar ist, das Schäuble von vornherein keinerlei Konzessionen gegenüber der neuen griechischen Regierung machen wollte, sondern ein uneingeschränktes "Weiter so" im Vergleich zu den konservativen Vorgängern verlangte, bis hin zum Beharren auf der Wortwahl "Troika". Dabei wird dem erfahrenen Politiker nicht entgangen sein, dass Alexis Tsipras' Kapitulation, die Schäuble mit seinem "Pacta sunt servanda" praktisch verlangte, von Syriza nur zum Preis der politischen Selbstaufgabe hätte realisiert werden können.
Zugleich geht der Finanzminister offenbar davon aus, dass Deutschland nicht nur gegenüber Griechenland, sondern auch gegenüber der Kommission am längeren Hebel sitzt und deshalb den verbalen wie den faktischen Umgang mit Griechenland bestimmen kann. Interessant ist, wie vehement sich der frühere polnische Premier und heutige Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, gegen Schäubles Idee gewandt hat, dass es zu einem versehentlichen Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone kommen könnte. "Wir haben ein solches idiotisches Szenario zu verhindern", forderte er gerade in der "Süddeutschen Zeitung".
Dass in diesem Kontext Syriza die Forderung auch der griechischen Vorgängerregierungen nach Entschädigungen für die NS-Verbrechen verstärkt aufnehmen würde (der Konservative Samaras hatte ja bereits eine Kommission zum Thema "Entschädigungen" einsetzen lassen), war zu erwarten. Wenn man also von deutscher Seite praktisch eine Kapitulationsstrategie verfolgt, muss man eine solche Eskalation einkalkulieren. Die Mantra-artige Wiederholung, nur die Griechen seien an der negativen bilateralen und europäischen Entwicklung Schuld - die gegen jede Lebenserfahrung spricht und an eine Buddelkastenmentalität erinnert - verfängt vor allem bei den Deutschen, die sowieso "wissen", dass sie richtig und die anderen falsch liegen. Im europäischen Ausland kommt das gegenwärtig nicht gut an.
Hinsichtlich der "Entschädigungen" sollten wir verschiedene Dinge auseinanderhalten: Dass die Entschädigungsforderung im Zuge der harten politischen Auseinandersetzung um die wirtschaftliche Zukunft Griechenlands und die dort empfundenen Demütigungen neu entflammt, ist nicht verwunderlich.
Aber der Sache nach sollte beides unbedingt getrennt werden. Selbst wenn Griechenland nicht in der Klemme wäre, sollten wir Deutsche "vor unserer eigenen Tür" der NS-Vergangenheit kehren, um das Bild Schäubles aufzunehmen. Die SPD hatte dementsprechend schon lange vorher den Gedanken eines deutsch-griechischen Jugendwerks auch zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den Koalitionsvertrag eingebracht.
Zwangsarbeiterstiftung ist ein gutes Beispiel
Jenseits der rechtlichen Betrachtungsweise - die vermutlich weiterer Klärung bedarf - muss uns in einem gemeinsamen Europa an einer fairen Verständigung liegen. Selbst wenn bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen der Begriff "Friedensvertrag" von der deutschen Regierungsseite sorgfältig vermieden worden ist, um Entschädigungsforderungen juristisch einen Riegel vorzuschieben, bleibt die Erinnerung an die Verbrechen wichtig, die erfahrungsgemäß bei den Opfern und ihren Nachfahren länger anhält als bei den Tätern und deren Nachfahren.
Unter der rot-grünen Regierung Schröder wurde auch mit Hilfe der Privatwirtschaft lange nach dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Entschädigung der polnischen Zwangsarbeiter eine Stiftung gegründet, die später von dem FDP-Politiker Graf Lambsdorff geleitet wurde. Das ist also möglich, bedeutet für die Opfer zwar nicht viel Geld aber die psychologisch so wichtige Anerkennung, dass sie Opfer eines Verbrechens waren. Das hat die deutsch-polnischen Beziehungen spürbar verbessert.
Den Griechen etwas Ähnliches strikt zu verweigern, nur weil sie im Vergleich zu Polen ein kleines Land sind, überzeugt nicht, macht die Reaktion der Bundesregierung auch nicht gerade sympathisch. Dass die Verbrechen nun knapp 70 Jahre her sind, ist kein Argument. Wir haben alle befürwortet, dass Bundespräsident Joachim Gauck zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen auf der Westerplatte eine Gedenkrede gehalten hat. Ist das nur angezeigt, wenn keinerlei politisches Risiko damit verbunden ist?
Schließlich wirkt es peinlich, wenn das reiche Deutschland vom (abgesehen von den Oligarchen) armen Griechenland aktuell die Rückzahlung der Schulden verlangt, selbst aber nicht bereit ist, über eine Rückzahlung des Zwangskredits, den NS-Deutschland von Griechenland im Krieg erhoben hat, auch nur zu sprechen. Immerhin geht die SPD aktuell mit dem deutsch-griechischen Jugendwerk Schritte in die richtige Richtung. Hoffentlich mit Erfolg.