Karl Nolle, MdL
sueddeutsche.de, 19:15 Uhr, 25.03.2015
Athens Reparationsforderungen an Berlin: Schuld und Schulden
Reparationsforderungen Griechenlands begegnet die Bundesregierung stets mit der Behauptung, das Thema sei abgeschlossen. Doch Differenzen lassen sich nicht einseitig mit dem Recht des Stärkeren "abschließen". Die deutsche Argumentation ist unredlich.
Gastbeitrag von Hagen Fleischer
Man hört ja oft, die Griechen brächten jetzt erst, da sie pleite sind, alte deutsche Kriegsschulden auf den Tisch, um sich mit diesem "Trick" eigener Schulden zu entledigen. Tatsächlich aber trägt Athen diese Ansprüche seit 1945 kontinuierlich vor, scheitert aber stets an deutschen Widerständen.
Die dreieinhalbjährige deutsche Okkupation Griechenlands war brutaler als in allen nichtslawischen Ländern. Die für die Pariser Reparationskonferenz in den Jahren 1945/46 erfolgte Schadensberechnung in Höhe von 7,2 Milliarden Dollar wurde von den Westmächten erst als zutreffend eingeschätzt. Doch unter den Vorzeichen des Kalten Krieges beschlossen die USA, Westdeutschland zu einem Bollwerk gegen den Osten aufzubauen, was die Abkehr von der Reparationspolitik voraussetzte.
Beim haircut der deutschen Auslandsschulden im Londoner Abkommen (LSA) aus dem Jahr 1953 wurde daher die "Prüfung" aller aus dem "Krieg herrührenden Forderungen" gegen Deutschland mit der schwammigen Formulierung: "bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage" zurückgestellt.
Als hypothetische Vorbedingung für eine solche "Regelung" nannten die Westmächte keineswegs einen formellen Friedensvertrag, sondern lediglich eine nicht zu erwartende deutsche Wiedervereinigung oder irgendeine Friedensregelung - also so etwas wie der Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990.
Argumentationshilfe von Genscher
Doch sah sich Bonn Ende der Fünfzigerjahre gezwungen, dem Druck der westeuropäischen Partner nachzugeben und deren von NS-Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsbürgern Wiedergutmachung zu zahlen. Davon erhielt Griechenland 115 Millionen DM. Bonn lehnte es ab, weitergehende Ansprüche zu diskutieren, da deren Regelung laut LSA ja eben nur einem geeinten Deutschland zustehe.
Unter den damaligen Vorzeichen einer permanenten Ost-West-Konfrontation erwartete das Auswärtige Amt der Bundesrepublik (AA),
"diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, um die Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen".
Dieser Strategie blieb Bonn treu bis zur Wiedervereinigung 1990, welche die fast 40 Jahre alten Ansprüche reaktivierte. Bereits im Mai schickte der damalige Außenminister Genscher allen betroffenen Botschaften Argumentationshilfe, wie mit Hinweis auf die verflossenen Jahre solche Forderungen abzublocken seien.
Unredlich ist daher die Argumentation des AA, die Opfer bis 1990 auf den Zeitpunkt der deutschen Einigung zu vertrösten und zugleich auf jenen Zeitablauf hinzuarbeiten, auf den man von 1990 an dann achselzuckend verweist.
Im Anschluss an den 50. Jahrestag des Kriegsendes wurde 1995 zunächst eine Sammelklage der griechischen "Märtyrergemeinden" gegen die Bundesrepublik eingereicht; im November desselben Jahres folgte dazu noch eine Verbalnote, in der Premier Andreas Papandreou die Bundesregierung zu Verhandlungen zu ihrem Kriegserbe aufforderte.
Alle griechischen Vorstöße wurden abgeschmettert mit einer oft von Faktenverzerrung und -leugnung geprägten Abwehrstrategie. Deutlichstes Beispiel hierfür ist der Besatzungskredit.
Im März 1942 modifizierten die deutschen (zunächst auch italienischen) Okkupanten ihre Kahlfraß-Strategie. Das geschah nicht, weil der Kollaps der griechischen Währung und Wirtschaft den eigenen Zielen zuwiderlief. Zudem machte die Kollaborationsregierung ihr Verbleiben im Amt von einer spürbaren Reduzierung der "Besatzungskosten" abhängig: Ihr Rücktritt hätte immense Mehraufgaben für die neuen Herren bedeutet.
Daraufhin wurde beschlossen, die von der griechischen Zentralbank allmonatlich aufzubringenden Leistungen aufzuteilen: einerseits in die "gewöhnlichen" Besatzungskosten sowie in die darüber hinausgehenden "außerordentlichen" Forderungen der Wehrmacht.
Gemeint waren damit die horrenden Aufwendungen für die deutsche Kriegsführung im östlichen Mittelmeerraum: So wurden aus Griechenland, das allein im ersten Besatzungswinter etwa 100 000 Hungertote beklagte, Lebensmittel für Rommels Afrikakorps abgezogen.
Aus demselben Etat wurden auch die Wehrmachtsbetriebe finanziert sowie die Befestigungsanlagen etwa auf Kreta, dessen Verbleib in deutscher Hand das Oberkommando der Marine forderte.
Die Anleihe hatte den Charakter von Krediten, da sie dem Reich auf neu eröffneten Sonderkonten als "politische Schulden gegenüber der Griechischen Regierung" angelastet wurde. In zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten wurde diese "Anlastung des Reiches" folgerichtig als "Guthaben Griechenlands" bezeichnet.
Und regelmäßig informierte Athen die Berliner Ministerien über die Höhe dieser ständig steigenden "Reichsverschuldung gegenüber Griechenland". Blieben Teilbeträge der "deutschen Anlastungen" unverbraucht, wurden diese auf ein Sonderkonto "zur Entlastung" zurückgezahlt. Die letzte partielle Tilgung erfolgte sechs Tage vor dem deutschen Abzug aus Athen!
In Anbetracht dieser Aktenlage verwundern die Versuche der Bundesregierung, die Zwangsanleihe als kriegsübliche Kontribution abzuschreiben, oder Vorschläge, imaginäre deutsche Importüberschüsse als "Aktiva" der deutschen Besatzungsherrschaft gegenzurechnen. Angesichts der systematischen Ausplünderung und Verwüstung Griechenlands sind solche Argumente "geradezu unanständig" , wie S. F. Kellerhof in der Welt feststellt.
Absurd ist jedoch seine Behauptung, die im von mir 1975 entdeckten Schlussbericht der NS-Experten auf 476 Millionen Reichsmark angesetzte "Restschuld" des Reiches sei "errechnet" und somit keine Anleihe! Denn die in 32 Monaten aufgelaufene Reichsverschuldung war wegen der griechischen Hyperinflation nur über stabile Wertfaktoren zu berechnen.
Gaucks positive Signale
Die Einmaligkeit der Zwangsanleihe liegt also in der expliziten Anerkennung des kreditären Charakters dieser "Reichsverschuldung gegenüber Griechenland" durch die Besatzungsmacht, nicht nur verbal, sondern gerade auch in der Praxis durch Rückzahlungen und wochenlange mühevolle Berechnung. So hat der sogenannte Besatzungskredit keinen Reparationscharakter.
Schon deswegen nicht, weil die NS-Experten damals natürlich nicht die nach der etwaigen Niederlage zu bezahlenden Kriegsentschädigungen berechnet hätten, was ja "Defaitismus" gleichgekommen wäre!
Dennoch wiederholt die Bundesregierung bislang, das Thema sei "abgeschlossen". Differenzen zwischen Partnern lassen sich aber nicht einseitig mit dem Recht des Stärkeren "abschließen", sondern unter Mitwirkung von Juristen, Historikern und anderen Experten.
Erst die Bereitschaft Berlins zu Gesprächen setzt daher dem absurden Zustand ein Ende, dass die konkrete "deutsche (Teil-)Schuld", die sogar von den Nazis anerkannt, berechnet und bedient wurde, von allen demokratischen Regierungen bestritten wird. Mangels präjudizieller Wirkung bietet der "Kredit" die Ausgangsbasis für Gespräche zur Gründung eines wahren "Zukunftsfonds", der diesen Namen auch verdient.
Der Griechenlandbesuch des Bundespräsidenten im März 2014, seine Initiativen, namentlich auch seine Bitte um Verzeihung der deutschen Schuld, setzten ermutigende Zeichen für ein Umdenken in Berlin. Diese Signale haben auch bei vielen Griechen ein positiveres Deutschlandbild geprägt.
Es steht zu hoffen, dass sich auch die Haltung der Bundesregierung in einer Weise verändert, die ihren Beteuerungen, "wir Deutsche haben aus der Geschichte gelernt", mehr Substanz verleiht.
Hagen Fleischer, 1944 in Wien geboren, ist ein deutsch-griechischer Historiker. Er lehrt seit 1979 an den Universitäten Kreta bzw. Athen mit dem Schwerpunkt Griechische Geschichte des 20. Jahrhunderts und forscht vor allem zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Europa und den Folgen des Zweiten Weltkriegs.
Anmerkung von Karl Nolle:
Bundespräsident Joachim Gauck am 8. März 2014:
"Das, was geschehen ist, war brutales Unrecht."
Joachim Gauck hat Griechenland um Verzeihung für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und Besatzung im Zweiten Weltkrieg gebeten. Er tat dies bei einem Besuch des nordgriechischen Bergdorfs Lyngiades, das 1943 von Wehrmachtssoldaten in einer Vergeltungsaktion zerstört worden war.
Aus Rache für das tödliche Attentat auf einen deutschen Regimentskommandeur waren deutsche Soldaten am 3. Oktober 1943 in das Dorf Lyngiades einmarschiert und hatten wahllos Bewohner ermordet. Mehr als 80 Menschen wurden brutal getötet, die meisten von ihnen Frauen, Kinder und alte Leute. Die Häuser wurden niedergebrannt.
Gauck legte am Mahnmal für die Opfer einen Kranz nieder. In einer kurzen Ansprache äußerte er sein Bedauern darüber,
"dass sich die Verantwortlichen des Verbrechens nie selbst zu ihrer Schuld bekannt hätten."
Es seien "diese nicht gesagten Sätze, die eine zweite Schuld begründen, da sie die Opfer sogar noch aus der Erinnerung verbannen", sagte Gauck weiter.
"Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung",
"Ich verneige mich vor den Opfern der ungeheuren Verbrechen", sagte Gauck.
Er wolle aussprechen, was "Täter und viele politische Verantwortliche in der Nachkriegszeit nicht aussprechen wollten: Das, was geschehen ist, war brutales Unrecht."
Bei seinem Besuch wurde Gauck von Griechenlands Präsident Karolos Papoulias begleitet. Der heute 84-Jährige hatte in seiner Jugend als Partisan gegen die deutschen Besatzer in Griechenland gekämpft.
"Und doch haben Sie den Deutschen die Hand gereicht", sagte Gauck. Dafür sei er "zutiefst dankbar". Gauck ging in seiner Ansprache nicht auf die auch gestern von den Griechen wieder gestellte Forderung nach Reparationen ein.