Karl Nolle, MdL
junge Welt, 18.03.2015
Die Linke - Wider die Beliebigkeit
Dokumentiert. Es geht für Die Linke um unverwechselbare Alleinstellungsmerkmale als sozialistische Partei. Referat zur Gründung des sächsischen Liebknecht-Kreises
Von Volker Külow
Inhaltsarmut, ein wenig profiliertes Programm und eine diffuse Strategie. Der Wahlkampf der sächsischen Linken im vergangenen Sommer darf als gescheitert gelten
Am vergangenen Samstag hat sich in Leipzig der Liebknecht-Kreis Sachsen konstituiert. Er ist ein Zusammenschluss innerhalb des sächsischen Landesverbandes der Partei Die Linke. Teilnehmer aus fast allen Kreisorganisationen, darunter mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete, beschlossen einen Gründungsaufruf, der für mehr sozialistischen Pluralismus in der sächsischen Linken eintritt und zugleich die Schärfung des Profils der Landespartei »als kämpferische und deutlich vernehmbare Opposition mit linkssozialistischer Orientierung« fordert. jW dokumentiert an dieser Stelle in redaktionell gekürzter Fassung das Referat, das Volker Külow, Vorsitzender der Linken in Leipzig, bei der Zusammenkunft gehalten hat. Weiteres findet sich unter liebknecht-kreis.blogspot.de (jW)
Eine Reihe von parteiinternen Ereignissen der letzten Wochen, nicht zuletzt die Erklärung von Sahra Wagenknecht zu Vorgängen in der Bundestagsfraktion, haben deutlich gemacht: Der Zustand unsere Partei, auch ihrer Führungsgremien, lässt zu wünschen übrig. Genossinnen und Genossen mit Reputation wie Dora Heyenn in Hamburg und Manfred Sohn in Niedersachsen werden fast wie politische Gegner behandelt. Der Kreisvorstand von Stralsund tritt nahezu geschlossen zurück. Es geht bei diesen Dingen nur vordergründig um Personalfragen. Primär geht es um inhaltliche Probleme und tiefgreifende Differenzen. Das Streiten um tragfähige Positionen ist notwendig. Aber der Streit führt bei uns selten zu gemeinsamen Positionen.
Die Partei dividiert sich auseinander, weil sich unter dem Druck vor allem medialer Kampagnen und Anpassung einander unvereinbare Positionen verhärten und Konflikte zuspitzen. Die Partei Die Linke verliert an solidarischem Zusammenhalt. Es ist in der Hauptsache ein Streit um zwei Linien der Politik, die nicht miteinander vereinbar sind.
Unverwechselbare Alleinstellungsmerkmale, wie sie im Erfurter Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2011 stehen, werden verwässert: Antikriegspartei, Partei der sozialen Gerechtigkeit, Partei der Aufklärung über die gesellschaftlichen Zustände und last but not least Partei einer gerechten Sicht auf den Sozialismusversuch DDR. Es ist sicher ein gewagter Vergleich, aber er drängt sich auf: Während die SPD seinerzeit über 20 Jahre brauchte, um sich vom Erfurter Programm von 1891 zu verabschieden, geht es bei Die Linke augenscheinlich heutzutage wesentlich schneller. Polemisch lässt sich sogar fragen, ob dieses Programm in bestimmten Teilen der Partei überhaupt jemals angekommen ist.
Die Verteidigung unserer programmatischen Grundsätze von Erfurt ist aber unabdingbar, es ist die Voraussetzung unserer weiteren Existenz als sozialistische Partei. Wenn wir sie aufgeben, werden wir zu einer zweiten Sozialdemokratie in Deutschland, die bekanntlich nicht gebraucht wird. Die Bundesrepublik benötigt vielmehr eine solidarische, kämpferische sozialistische Partei, die vorrangig für die Interessen der abhängig Beschäftigten und Prekarisierten kämpft. Von dieser Hauptfunktion ist derzeit unser Erscheinungsbild aber zu wenig geprägt. Sozialistischer Pluralismus ist ein wichtiges Prinzip unserer Partei. Politische Beliebigkeit, wie sie sich ausbreitet, ist davon das genaue Gegenteil. Wenn sie an die Stelle klarer Aussagen und an die Stelle unserer programmatischen Grundsätze tritt, bewirkt sie die Zerstörung der Linken als sozialistische Kraft. Und das wäre verheerend angesichts der gegenwärtigen internationalen und nationalen Rahmenbedingungen.
Verweigerung der Debatte
Im Landesverband der Linken im Freistaat Sachsen laufen die Entwicklungen in besonderer Weise falsch. Was beunruhigt uns seit längerer Zeit? Erstens beunruhigen uns die Verflachung unseres linken Profils und, als Resultat dessen, der abnehmende politische Einfluss unserer Partei im gesellschaftlichen Diskurs und bei Wahlen. Wir sind der Auffassung, dass der Landesvorstand auf eine Reihe strategischer Herausforderungen im Zusammenhang mit der Stabilität der CDU-Herrschaft in Sachsen falsche Antworten gegeben hat.
In der Opposition gegen diese Herrschaft sind wir nicht erstarkt – ganz im Gegenteil: Über zehn Jahre hinweg hat die Partei Die Linke in Sachsen von Wahl zu Wahl deutlich Prozentpunkte und geradezu dramatisch Wählerinnen und Wähler verloren. Bereits bei den Landtagswahlen 2009 haben wir gegenüber denen von 2004 drei Prozentpunkte und 120.000 Wählerstimmen eingebüßt. 2014 verloren wir gegenüber 2009 noch einmal 1,7 Prozent und 60.000 Stimmen. Verluste hatten wir in fast allen Berufsgruppen und Jahrgängen zu verzeichnen.
Der Landesvorstand hat auf diese sich schon im Vorfeld der Landtagswahlen 2014 abzeichnende negative Entwicklung in völliger Verkennung der Ursachen mit einer Verflachung statt mit einer Schärfung unseres linken, sozialistischen Profils reagiert. Sie erfolgte in fünffacher Hinsicht: Erstens setzte der Landesvorstand auf »stille Opposition« und reduzierte die Kritik an der CDU-geführten Landesregierung. Es gab zweitens ein wenig profiliertes Wahlprogramm und eine diffuse Strategie, in der es von Allgemeinplätzen wimmelte. Unsere Kernbotschaft im Wahlkampf war ein bedingungsloses Ja zu »Rot-Rot-Grün«; sogar auf das Amt des Ministerpräsidenten wollte man verzichten. Drittens wurden vor und nach der Landtagswahl Positionen vertreten bzw. verkündet, die im Erfurter Programm keine Grundlage haben. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Schuldenbremse fand Zustimmung. Es gab ein Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft als angeblich tragendem Prinzip im 21. Jahrhundert. Unsere Partei sollte darüber hinaus das Etikett »Wir sind die neue Mittelstandspartei« erhalten. Viertens fabulierte der Landesvorstand über eine parlamentarische Mehrheit bzw. eine gegebene »Machtalternative« in Sachsen für eine Regierung von Die Linke, SPD und Grünen nach den Landtagswahlen. Das war klare Realitätsverweigerung. Tatsächlich existierte zu keinem Zeitpunkt eine Wechselstimmung in Sachsen. Stanislaw Tillich lag nach Umfragen vor der Landtagswahl bei über 60 Prozent. Fünftens wurden Kritikern dieses Kurses aussichtsreiche Plätze auf der Landesliste verwehrt. Es bestätigt sich der Hinweis von Karl Liebknecht: »Weit gefährlicher als theoretische Angriffe sind praktische Verleugnungen unserer Prinzipien.«
Was beunruhigt zweitens? Seit den Landtagswahlen sind wir damit konfrontiert, dass alle Versuche von Genossinnen und Genossen, diese Fehlentwicklungen zu thematisieren und zu korrigieren, weitgehend abgeblockt wurden. Eine kritische Analyse der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes im Landesvorstand im von ihm selbst beschlossenen Verfahren fand bislang kaum statt. Die bisherige Auswertung insbesondere in Form der drei Regionalkonferenzen in Dresden, Chemnitz und Leipzig trug weitgehend Alibicharakter. Sie waren eindeutig angelegt als Veranstaltungen zur Legitimation der gescheiterten Strategie des Landesvorstandes. Kritische Genossinnen und Genossen konnten ihre Meinung zwar sagen, hatten aber durch die Dramaturgie und die zahlreich mitgereisten »Schlachtenbummler« keine echte Chance, wirklich Gehör zu finden. Nachdrücklich wurden sie zumeist belehrt, wie sie die Dinge zu sehen haben.
Mehr innerparteiliche Demokratie
Liebe Genossinnen und Genossen, all das macht deutlich: Innerparteiliche Demokratie und deren Wahrnehmung im Interesse einer sozialistischen Erneuerung der Linken in Sachsen sind zum Gebot der Stunde geworden. Innerparteiliche Demokratie bedeutet Rechte und Regeln, deren Anwendung dafür sorgt, dass zum einen der eigentliche Souverän in der Partei tatsächlich die Mitgliedschaft ist und zum anderen eines gewährleistet wird: die programmatischen Grundsätze sind bindend für alle. Auch für den Landesvorstand und die Landtagsfraktion. In unserem Statut sind Rechte, Regeln und auch Strukturen verankert, die dies ermöglichen. Wir wollen sie mit Leben erfüllen. Einen Selbstregulierungsmechanismus zur Einhaltung unserer programmatischen Grundsätze gibt es allerdings nicht. Alles hängt davon ab, ob die Basis sie verteidigt.
Der Liebknecht-Kreis Sachsen versteht sich nicht als weiterer linker Zirkel, sondern als ein Zusammenschluss der sozialistischen Linken in ganz Sachsen. Er will linke Funktionsträger und linke Mitglieder aus möglichst allen Kreisverbänden zusammenführen. Wir streiten mit offenem Visier für eine Alternative zur gegenwärtigen politischen Ausrichtung in den Führungsgremien der Landespartei. Uns eint, dass wir ohne Wenn und Aber auf dem Boden des Erfurter Programms stehen. Wir verteidigen dessen Grundsätze gegenüber denjenigen, die in der politischen Praxis einen Kurs der Anpassung an den herrschenden Politikbetrieb, der Annäherung an die SPD und der Regierungsbeteiligung um den Preis der Aufgabe unserer unverzichtbaren sozialistischen Positionen verfolgen. Wir werden das auf der Grundlage der statutarischen Regeln in Parteiversammlungen, im Landesrat, auf Parteikonferenzen und natürlich auch auf Parteitagen tun. Unser Anliegen ist nicht bloß die Kritik an einer verfehlten politischen Strategie, die von der Mehrheit des Landesvorstandes verfolgt wurde, sondern auch eine programmatische Erneuerung der sächsischen Linken auf sozialistischer Grundlage. Es gilt, inhaltlicher Beliebigkeit und dem Abgleiten von Oppositionspolitik in ein de facto unpolitisches Fordern nach »Mehr!« (Geld, Stellen, usw.) entgegenzutreten und attraktive und ernstzunehmende Entwicklungskonzepte für den Freistaat zu entwickeln.
Dabei müssen wir ehrlicherweise bedenken, dass es natürlich viele gesellschaftliche und politische Herausforderungen gibt, für die auch unsere Antworten nicht zureichend sind. Ein bloßes Nein zu den Schlussfolgerungen der Mehrheit des Landesvorstandes reicht nicht. Es geht darum, dass wir konkret sagen müssen, was wir unter Schärfung unseres linken Profils verstehen. Vieles Richtige dazu steht im Erfurter Grundsatzprogramm. Aber neuere Entwicklungen verlangen auch neue Antworten. Eine Linke des 21. Jahrhunderts braucht einen Blick auf die Klassenverhältnisse im digitalen Kapitalismus, zumal sich augenscheinlich eine neue technologische Etappe des Hightech-Kapitalismus herauskristallisiert (Stichwort Big Data und Cloud-Computing), dessen janusköpfige Technik sowohl emanzipatorische wie auch herrschaftliche Anwendung ermöglicht.
Zu den zentralen intellektuellen Herausforderungen für die Partei Die Linke zählt, dass der Trend zur Verschärfung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit einhergeht mit einer tiefen Verinnerlichung des Neoliberalismus, der bekanntlich weit mehr ist als ein wirtschafts- und sozialpolitischer Ansatz. Er ist eine Ideologie, durch die soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Abstieg zu individuellen Problemen umgedeutet werden, die man angeblich mit permanenter Selbstoptimierung und positivem Denken überwinden kann.
Wir sind somit mit erheblichen Wandlungen des gesellschaftlichen Bewusstseins konfrontiert, die die Umstände unseres Kampfes, auch des Wahlkampfes, verändern. So haben unsere Stimmverluste neben demographischen Faktoren auch eine Ursache darin, dass die Individualisierung im Arbeitsleben wie auch im Alltagsleben zunimmt. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gruppen der abhängig Arbeitenden und den einzelnen Lohnabhängigen verschärft sich. »An den gesellschaftlichen und sozialen Bruchstellen, die mit der stattfindenden Umwälzung der ganzen Produktionsweise einhergehen«, formulierte der Referent des Instituts für Gesellschaftsanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Horst Kahrs, in seinem analytischen Papier »›Degrowth‹ bei der Linken« Ende September 2014 sehr treffend, »ist die Partei unzureichend gegenwärtig.«
Glaubwürdigkeitskrise
Neben diesen spezifischen Problemen ist unsere Partei auch in ganz eigener Weise von der tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise betroffen, die sich gegenüber allen Politikern und allen Parteien entwickelt. Viele verstehen sich nur noch als Protestwähler bzw. verweigern die Stimmabgabe gleich ganz. Die Beteiligung liegt mit Ausnahme der Bundestagswahl in der Regel bei unter 50 Prozent. Es muss uns besonders zu denken geben, dass nach seriösen soziologischen Untersuchungen vor allem die sozial Schwächeren und Benachteiligten weit überproportional nicht mehr zur Abstimmung gehen. Insofern leben wir in der BRD in einer sozial gespaltenen Demokratie. Die besonders hohe Wahlabstinenz der Prekarisierten ist auch damit zu erklären, dass wir als Partei in den Augen vieler Menschen nicht mehr glaubwürdig sind, dass uns nicht zugetraut wird, etwas zu verändern, weil wir angeblich auch nur »eine unter allen« sind: ein Alarmsignal, das uns aufrütteln muss.
Eine verbreitete Unsicherheit angesichts globaler Gefahren und innenpolitischer Fehlentwicklungen befördert zwar Protest und Aggressionen. Aber diese Aggressionen richten sich in einem beträchtlichen Maße an die falsche Adresse, wie wir in Sachsen in den letzten Monaten schmerzlich erfahren mussten. Sie richten sich gegen gesellschaftliche Minoritäten, die sich nicht wehren können und zu Sündenböcken gemacht werden: Flüchtlinge, Asylsuchende, Obdachlose usw. Die Herrschenden in den Konzernen und Banken und in der Politik geraten wenig bis gar nicht ins Blickfeld. Aggressionsverschiebung nach rechts nennen das linke Politikwissenschaftler und Soziologen.
Die Eigenständigkeit sozialistischer Politik und Strategie besteht darin, dass sie in der gesellschaftlichen und politischen Debatte sowohl über die Hintergründe dieser Entwicklungen aufklären muss als auch den nach einem politischen Ausweg Suchenden eine politische Alternative aufzeigt. Natürlich reicht es nicht zu denken, dass man die Wahrheit nur aussprechen muss, um die »kritische Masse« auf unsere Seite zu ziehen. Der Kommunikationsprozess verläuft wesentlich komplizierter. Ohne ein tragfähiges, überzeugendes linkes Projekt der Veränderung der sozialen und politischen Zustände, ein Projekt, das die Eigentumsfrage und damit auch die Macht- und Systemfrage stellt, wäre aber jede noch so kluge Kommunikation auf Sand gebaut.
Eine ganz wichtige Ursache der politischen Profilschwäche unserer Partei in Sachsen ist die verbreitete Hilflosigkeit, mitunter sogar Ignoranz bei der Analyse der konkreten politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Der ehemalige Vorsitzende der sächsischen PDS, Peter Porsch, hat in seinem Beitrag zur Strategiedebatte sehr richtig festgestellt: »Der immense konzeptionelle, programmatische, theoretische, strategische usw. Rückstand gegenüber den realen gesellschaftlichen Prozessen im Land wird überdeutlich.«
Eine realistische Sicht auf diese gesellschaftlichen Prozesse und Verhältnisse, unter denen wir um soziale und politische Verbesserungen und für eine andere Gesellschaft ohne Ausbeutung, soziale Ungleichheit, Polarisierung und Krieg kämpfen, ist von existentieller Wichtigkeit. Sie bewahrt uns nämlich vor politischen Illusionen. Was meine ich damit? Die stabile CDU-Herrschaft über 25 Jahre hinweg ist harte Realität. »Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus«, meinte kürzlich das sächsische SPD-Urgestein Karl Nolle treffend. Der Sachsensumpf schluckt den Rechtsstaat, könnte man auch formulieren. Ja, schlimmer noch: Antifaschistischer Protest wird kriminalisiert und trifft wie auch manche soziale Gegenwehr in Sachsen seit Jahren auf eine Art Notstandsregime. Zusätzlich offenbaren Pegida, Legida usw. – wie seit langem die Erfolge der NPD und seit kurzem die der AfD – neben der stabilen CDU-Wählerschaft die Existenz einer rechtspopulistisch und partiell sogar rechtsextremen Massenbasis in Sachsen, wie sie bisher in keinem anderen Bundesland sichtbar wurde. Beide Stränge führen in ihrer faktischen Verknüpfung sowohl im parlamentarischen als auch im außerparlamentarischen Raum zu einer weiteren deutlichen Rechtsverschiebung des politischen Koordinatensystems des Freistaates.
Die CDU-Herrschaft ist weitgehend skandalresistent. Sie ist Bollwerk und zugleich Versuchslabor neoliberaler Politik. Die bundes- und landespolitische Hegemonie der CDU ist nicht nur in den Landkreisen, sondern auch in den Städten stabil und konnte im letzten Wahlzyklus sogar noch deutlich ausgebaut werden. Die diesbezüglichen Zahlen sprechen eine klare Sprache und sind bitter für uns. Man muss sie ehrlich zur Kenntnis nehmen.
Natürlich besteht unsere Aufgabe darin, dieses Bollwerk aufzubrechen, wenngleich sie außerordentlich schwierig ist. Sie kann nur bewältigt werden mittels einer scharfen Kritik an der CDU-Herrschaft, im Kampf um eine andere geistig-kulturelle Hegemonie und mit einer nicht locker lassenden Oppositionspolitik, die gerade auch den für die Vormachtstellung der CDU konstitutiven »Sachsenmythos« stärker als bisher entzaubert.
Falsche Orientierung
Der Wahlkampf unserer Partei im vergangenen Jahr mit seiner voraussetzungslosen Orientierung auf »Rot-Rot-Grün« und besonders das seltsame Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft offenbaren ein Gesellschafts- und Politikverständnis, in dem entscheidende Begriffe unseres Erfurter Programms nicht mehr vorkommen. Politik wird dort weitgehend zur Willensfrage, das parlamentarische System zur Zentralachse des politischen Lebens, SPD und Bündnisgrüne zu unseren »natürlichen« Bündnispartnern. Gemeinsam mit uns könnten sie die »politische Wende« herbeiführen. Aber Wende wohin eigentlich?
Linke Politik als Kampf um ein Gesellschaftsprojekt hat die Grenzen von Regierungspolitik zu berücksichtigen. Sie muss mindestens zwei gewichtige historische Erfahrungen beachten: Zum einen hat sie zu berücksichtigen, dass der Kampf in der Opposition unter den Bedingungen einer stabilen Herrschaftskonstellation des großen Kapitals in der Regel die wirkungsvollste Form politischer Gestaltung ist. Zum anderen muss sie zur Kenntnis nehmen, dass der Parlamentarismus außerordentlich erfolgreich dabei ist, systemoppositionelle Parteien alsbald zu vereinnahmen.
Mit dem Machtwechsel von Schwarz-Gelb zu Schwarz-Rot sehen wir uns in Sachsen nunmehr mit stark veränderten strategischen Rahmenbedingungen konfrontiert. Oppositionspolitik im parlamentarischen Raum ist schwieriger geworden, weil der Koalitionsvertrag eine deutliche sozialdemokratische Handschrift trägt und auch im aktuellen Haushaltsentwurf auf größere »Sauereien«, die das Potential zu massenhafter Empörung hätten, weitgehend verzichtet wird.
Der Opposition von links fällt es deshalb zunehmend schwer, wirkliche Angriffspunkte zu finden. Die Methode des »Wir fordern mehr Geld für X« oder »mehr Stellen für Y«, die in den letzten Jahren das Rückgrat unserer Oppositionspolitik bildete, wird immer weniger ausreichen. Wenn wir weiterhin nur kurzatmig vorgehen und vor allem auf äußere Einflüsse reagieren, ohne abseits von moralischen Appellen und normativen Ansprüchen »etwas Eigenes« in der Hinterhand zu haben, wachsen unsere Probleme in der Zukunft weiter. Wir könnten zum Beispiel bei der Frage ansetzen, wie wir landespolitisch dafür eintreten können, dass die Einnahmesituation des Staates verbessert wird. Das berührt auch grundsätzlich die ökonomischen Verhältnisse. Hier und an vielen anderen Stellen muss dringend weiter gearbeitet werden.
Schon jetzt scheint in Grundzügen auf, wie sich die Machtkonstellation im Jahre 2019 darstellen dürfte. Sofern die CDU nicht im Laufe der Wahlperiode den Koalitionspartner wechselt und die AfD auf die Regierungsbank holt – ein zum heutigen Zeitpunkt eher unwahrscheinliches, aber künftig keineswegs unmögliches Szenario – wird die SPD aus der Position des Juniorpartners zur Wahl antreten. Um sich die Rückkehr in die schwarz-rote Koalition offenzuhalten, wird sich die SPD wahrscheinlich erneut einem offensiven Lagerwahlkampf gegen die CDU verweigern. Gleichzeitig könnte es den Christdemokraten sogar gelingen, mit absoluter Mehrheit zu regieren. Rot-Rot-Grün hingegen hätte aufgrund der schon erwähnten strukturellen Schwächen wiederum keine reale Chance. Somit wären zwei notwendige Voraussetzungen für ein rot-rot-grünes Bündnis – die erklärte Bereitschaft aller Partner und eine realistische, rechnerische Chance für eine Regierung jenseits der CDU – wiederum nicht erfüllt. Eine Wiederholung der Strategie von 2014 führte dann weiter in den Niedergang. SPD und Grüne, weiterhin bedacht auf Äquidistanz zu uns wie zur Union, würden nie offensiv auf unser Koalitionsangebot einsteigen, sondern sich die Möglichkeit eines Regierungseintritts an der Seite der CDU offenhalten. Wir kämpften dann erneut isoliert und auf verlorenem Posten. Der Versuch, SPD und Grüne ob ihrer CDU-Anbiederung bei ihrer gefährdeten Glaubwürdigkeit zu »packen« und sie so unter Druck zu setzen, damit sie einräumen, dass sie ihre Ziele nur mit uns umsetzen können, verfing schon 2014 nicht. Umso wichtiger wäre es für uns, frühzeitig strategische Zielgruppen mit einem klaren eigenen Profil anzusprechen und sich so von Mitbewerbern abzusetzen, anstatt sich erneut in einen Überbietungswettbewerb um das »wohltuendste Angebot« zu begeben. Reines Negative-Campaigning à la »25 Jahre CDU sind genug« reicht nicht aus. Es könnte sogar kontraproduktiv wirken, wenn es die Aussendung eigener, Hoffnung schürender Botschaften überlagert oder gar ersetzt.
Gerade in Sachsen müssen wir deshalb endlich aufhören, uns über unser Verhältnis zur SPD und den Bündnisgrünen zu definieren. Wir können dies auch nicht tun über Wahlprogramme, die in vorauseilender Loyalität zum gewünschten Koalitionspartner darauf angelegt sind, was der SPD und den Bündnisgrünen genehm ist. Will man unsere Schlussfolgerungen aus dem Verlust an linkem Profil in Sachsen zusammenfassen, so lässt sich das in einem Satz sagen. Es geht um die Schärfung unserer unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmale als linke, als sozialistische Partei.