Karl Nolle, MdL

spiegel online, 18:40 Uhr, 20.06.2015

58,4% regierungsfähig - Vorratsdatenspeicherung - Maas rettet Gabriel

 
Von Florian Gathmann

SPD-Chef Gabriel hat sich durchgesetzt - aber ein klares Votum war es nicht: Weniger als 60 Prozent stimmten beim Parteikonvent für die Vorratsdatenspeicherung. Und das wohl nur, weil Justizminister Maas zuletzt unermüdlich dafür warb.

Wenn etwas glattgeht, ist am Ende immer der Chef verantwortlich. Nach diesem Prinzip führt Sigmar Gabriel auch die SPD. Und deshalb schiebt er sich, wenn es sein muss, auch mal eben vor das Mikrofon, in das eigentlich gerade Justizminister Heiko Maas sprechen wollte. Jener Maas, der seinen Parteichef und Vizekanzler wohl mindestens vor einer enormen Blamage bewahrt hat.

Manche hatten zuvor ja sogar geunkt, die Zukunft des Parteichefs stehe bei diesem Konvent auf dem Spiel.

Aber der Reihe nach: Gerade haben die Delegierten an diesem Samstagnachmittag im Willy-Brandt-Haus den Vorschlag des Parteivorstands zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) durchgewinkt, nun erscheinen Gabriel, Maas und Europaparlaments-Chef Martin Schulz zur Pressekonferenz. Es geht zunächst um den Streik bei der Post und die Griechenlandkrise, über die man auf dem Konvent ebenfalls debattiert hat. Dann endlich kommt Gabriel zur VDS-Debatte: "Es gibt keine Sicherheit ohne Freiheit und keine Freiheit ohne Sicherheit", sagt er - und lobt die Entscheidung der Delegierten.

Es kommt darauf an, wie man zählt

Mit diesem und dem Argument, dass in einer Koalition mit der Union eine für die SPD akzeptablere Lösung nicht möglich sei, hatte Gabriel seine Partei unter Druck gesetzt. Der schon vom Kabinett verabschiedete Gesetzesvorschlag sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen die Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger zehn Wochen lang speichern dürfen, Handy-Ortsdaten für vier Wochen. Zuletzt agierte Gabriel gar in der Basta-Manier seines Vorgängers Gerhard Schröder, als der Parteichef mit Blick auf die VDS die Regierungsfähigkeit der SPD beschwor. Prompt hieß es, damit stelle Gabriel auf dem Konvent indirekt seine Person zur Abstimmung.

60 Prozent sind es am Ende, die nach SPD-Zählart für den VDS-Vorschlag votieren. Das ist bei 124 Ja-, 88 Gegenstimmen und sieben Enthaltungen sehr großzügig gezählt, zudem musste die offene Abstimmung wegen mangelnder Klarheit wiederholt werden, die Gegenseite spricht von einer knappen Entscheidung - aber sei's drum:

Für den Parteichef ist es eine "deutliche Mehrheit", er fühlt sich und seine Haltung klar bestätigt. Außerdem seien "60 Prozent in einer Partei, die diskutiert, besser als 100 Prozent in einer Partei, die nicht diskutiert". Das soll wohl ein Seitenhieb gegen die CDU sein.

Maas sieht aus wie ein Lakai

Dann erwähnt Gabriel, dass der Konvent sich ja auch noch für eine Änderung ausgesprochen habe, die innerhalb des bestehenden Gesetzesvorschlags umzusetzen sei: den Plan, das Gesetz 2018 evaluieren zu lassen. Das bedeutet keine Befristung, für die man den bestehenden Vorschlag komplett hätte neu aufsetzen müssen. Noch während des Konvents gab es deshalb Kontakt mit dem neben Justizminister Maas zuständigen Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der offenbar keine Einwände hatte.

Und genau nach dieser Absprache wird SPD-Mann Maas nun auf der Pressekonferenz gefragt. Doch da drängelt sich Gabriel ans Mikrofon und sagt in Richtung des irritierten Fragestellers: "Sie wollen doch eine Antwort haben." Das lässt Maas wie einen Lakai dastehen. Dabei hat der Justizminister gemeinsam mit seinem CDU-Kollegen de Maizière den Gesetzesvorschlag ausgearbeitet. Und dem Vernehmen nach war es sehr wohl Maas, der während des Konvents nochmals Kontakt mit dem Innenminister wegen des Evaluierungszusatzes aufnahm. Gabriel aber sagt, er habe das schon vor zwei Wochen mit de Maizière besprochen.

Verdonnert vom Chef

Ja, Gabriel hat Maas auf der Pressekonferenz ausdrücklich gedankt. Aber das ist in diesem Moment schon wieder vergessen. Stattdessen steht Gabriel wie einer da, der seinem Justizminister doch nicht wirklich etwas gönnt - obwohl er ihm in dieser Sache so viel zu verdanken hat.

Jenem Maas, der noch bis Samstagmorgen SPD-intern für den VDS-Gesetzesvorschlag geworben hatte. Die ganze Woche war er dafür im Einsatz in den Bezirken und Landesverbänden. Und das, obwohl Maas ursprünglich gegen die Vorratsdatenspeicherung war, aber dann von Parteichef Gabriel zur Ausarbeitung eines Gesetzes verdonnert wurde. Maas darf dann auf der Pressekonferenz noch ein paar Sätze sagen zur geplanten Umsetzung des Gesetzes und der möglichen Vorreiterrolle für eine Lösung auf EU-Ebene.

Vor dem Willy-Brandt-Haus stehen da immer noch ein paar Demonstranten mit einem großen Anti-VDS-Transparent in den Händen. Davor sind die Konterfeis von Gabriel und Maas zu sehen, aus deren Mündern permanent Seifenblasen steigen. Nach dem Motto: Was die Sozialdemokraten gestern noch zur Vorratsdatenspeicherung sagten, ist heute nur noch leeres Blabla. Für die strikten VDS-Gegner außerhalb der SPD ist Maas nach diesem Tag endgültig zum Verräter geworden.

Aber das ist noch mal eine andere Geschichte.