Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 07.08.2018

Wagenknecht will "Aufstehen"

 
In vier Wochen will die neue Sammmlungsbewegung starten. Sympathisanten gibt es auch in Sachsen - nicht nur bei der Linken.

Dresden - Norbert, ehrenamtlicher Bürgermeister von Friesenhagen, ist genauso dabei wie die gelernte Friseurin Margot mit kleiner Rente, DJ und Vater Rene, Bauarbeiter Wilko und Lehrerin Svenja. In kurzen Videos schildert jeder von ihnen, welche Probleme ihn umtreiben - vereint auf der neu freigeschalteten Internetseite "www.aufstehen.de".

Hinter .Aufstehen" verbirgt sich der Name der mit Spannung erwarteten neuen "Sammlungsbewegung für soziale Gerechtigkeit" von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht. Das Anliegen umschreibt die 49-fährige auf dem "Nachdenkseiten"-Portal mit "Mut zur Überwindung des neoliberalen Mainstreams". Dieser bringe viele dazu, sich von der Demokratie abzuwenden, wovon rechte Parteien profitierten. "Inzwischen bestimmt die AfD in Deutschland die Themen der Politik und treibt die anderen vor sich her. Das wollen wir nicht länger akzeptieren", sagt Wagenknecht.

Wer genau sich hinter dem "Wir" verbirgt, ist bis auf sie und Ehemann Oskar Lafontaine weitgehend unklar. Erst zum offiziellen Start in vier Wochen sollen die Namen der laut Wagenknecht "gut 40 prominenten Gründungsmitglieder" genauso wie der Gründungsaufruf veröffentlicht werden. Auf der Internetseite können sich Interessenten aber schon jetzt registrieren lassen - wovon laut Lafontaine bereits 36.000 Menschen Gebrauch gemacht haben.

Darauf, dass das mehr sind als die AfD Mitglieder (nach Parteiangaben 31.000) hat, weist im "Deutschlandfunk* Wagenknechts Fraktionsvize Fabio de Masi hin, der kritische Reaktionen wie die von SPD-Vizechef Ralf Stegner als "gutes Omen" wertete - schließlich habe Stegner während des WM-Spiels Deutschland-Schweden die Auswechslung von Toni Kroos gefordert, kurz bevor der dann den 2:i-Siegtreffer markierte.

Mit Blick auf Wagenknecht und Lafontaine hatte Stegner .Aufstehen" als "PR-Initiative mit notorischen Separatisten an der Spitze" bezeichnet. Die Vorwürfe dürften für das Paar wenig überraschend sein. Dass die Ablehnung sowohl an der Spitze ihrer eigenen Partei als auch in der Führung von Grünen und SPD so groß ist, hält Wagenknecht sogar für logisch. "Diejenigen, die sich aus machtpolitischen Gründen von einer Sammlungsbewegung bedroht fühlen, sind natürlich dagegen", sagt sie im aktuellen "Spiegel". Dort verweist sie auch auf erfolgreiche linke Bewegungen in den USA (um den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bemie Sanders) und Großbritannien (um Labour-Chef feremy Corbyn).

Als Konkurrenz zu den Parteien des linken Lagers - also auch SPD und Grüne - soll "Aufstehen" nicht verstanden werden, zumindest noch nicht "Niemand muss seine Organisation verlassen, um bei uns mitzumachen", beruhigt Wagenknecht. Aber: "Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen." Als Sympathisantin zu erkennen gab sich bereits Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Die inzwischen 75-jährige Grüne gehört zu den Autoren eines "Spiegel"-Gastbeitrags, laut dem die Initiative "die chronische Spaltungstendenz linker Bewegungen sowohl in der Form wie auch im Inhalt überwinden will" - und nicht umgekehrt In dem von den Bundestagsabgeordneten Marco Bülow (SPD) und Sevim Dagdelen (Linke) mitverfassten Text heißt es, dass die Idee gut, der Zeitpunkt richtig gewählt und das Bedürfnis nach tiefgreifender Veränderung riesig sei - und dass die neue Bewegung sich eben "nicht nur auf einige Personen oder .Stars' konzentrieren" werde.

Auch im linken Lager in Sachsen gibt es durchaus Sympathien für .Aufstehen". Die Zwickauer Linke-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann spricht von der "einzigen Chance, um zu Mehrheiten für eine soziale Politik zu kommen". Der Chemnitzer Linke-Landtagsabgeordnete Klaus Bartl hält .Aufstehen" als Bewegung, "die eine neue Dynamik von links in die Gesellschaft trägt", allemal für unterstützenswert. Selbst sein Fraktionschef Rico Gebhardt fordert, "in der Auseinandersetzung mit dem Kulturkampf von rechts alle Anregungen zur Stärkung linker Ideen emst zu nehmen".

Ob die Sammlungsbewegung dazu geeignet ist, politische Mehrheiten links der Mitte zu organisieren, darüber ist Linke-Landeschefin Antje Feiks "noch skeptisch" und will das "in aller Ruhe beobachten". Auch DGB-Chef Markus Schlimbach hat "Bauchschmerzen", weil nicht klar sei, worauf die Bewegung hinauslaufe. SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe lehnt "Aufstehen" hingegen ab, da es bereits "seit 1863 eine sehr erfolgreiche Sammlungsbewegung in Deutschland" gebe - ihre Partei. *) 

Dagegen begrüßt der frühere SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle die neue Initiative. "SPD, Grüne und Linke scheinen mir an einer Krankheit zu leiden -Alzheimer. Sie wissen alle drei nicht, woher -sie kommen und wohin sie wollen", sagt Nolle. Und: "Wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen, dann ist es Zeit für grundlegende Veränderungen."

TINO MORITZ


*) Anmerkung von Karl Nolle
Die Politik dieser, wie Daniela Kollbe als sächsische SPD Generalsekretärin (nicht unerwartet) feststellt, "erfolgreichen" Sammlungsbewegung seit 1863, ist damals vom berühmten Philosophen Karl Chemnitz (alias Karl Marx) als "königlich preußischer Regierungssozialismus" charakterisiert worden. Das hatten wir nach dem Ende des Mauersozialismus 1989 im Königreich Sachsen auch erlebt.  Aus der demokratischen Parlamentsopposition wurde ab 1990 unter König Kurt (Biedenkopf)  (mit neuvergoldeter Krone auf dem First der Staatskanzlei) eine königlich sächsische Hofopposition, bis heute begleitet  von einer königlich sächsischen Hofberichterstattung. Das änderte sich auch nicht, als die sächsischen Sozialdemokraten nun schon zum zweiten Mal Gefallen daran fanden, im Kindersitz der Regierungslimousine  mit zu rasseln und den von den schwarzen Nullen selbst produzierten Mangel an Lehrern, Polizisten und Pflegekräften, an Richtern und Staatsanwälten sowie eine morbide Infrastruktur  zu verwalten und unseren Kindern zu hinterlassen. Die ehemalige Gerechtigkeitspartei SPD, die die auch in Sachsen zunehmende Kinder- und Altersarmut und die größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich nur mit einem hilflosen Achselzucken zur Kenntnis nimmt, wird den gesellschaftlichen Reichtum konsequent unter den Armen verteilen, einen Teil unter dem rechten und einen anderen Teil unter dem linken Arm. 

Aus dem ehemals roten Sachsen wurde, so gefördert durch Regierungskunst, eine Volkspartei, die mit dem linken Auge auf die 5 % Klausel schielen muss.