Karl Nolle, MdL
spiegel online, 14:07 Uhr, 04.08.2018
Linke Sammlungsbewegung - Problem erkannt, nichts gelöst
Ein Kommentar von Kevin Hagen
Sahra Wagenknecht und ihre Verbündeten wollen mit der Sammlungsbewegung das linke Lager einen. Das ist wichtig - doch viele der Protagonisten tragen selbst Schuld daran, dass dies überhaupt notwendig ist.
Sahra Wagenknecht und ihre Leute haben recht. Die deutsche Linke ist zersplittert und schwach und das ist nicht gut. Oder anders gesagt: Deutschland hätte es bitter nötig, dass die alten politischen Lager wieder erstarken, und zwar beide Seiten - Mitte-links und Mitte-rechts.
Es gehe heutzutage allein darum, mit wem man dieses oder jenes durchsetzen kann, betonen die konservativen Kräfte bei Sozialdemokraten und Grünen gerne. Doch Politik ist nicht nur tagesaktuelles Handwerk. Politik ist auch Emotion, Identifikation mit großen Ideen, Visionen.
Wofür stehst du? Zu wem hältst du? Parteien und Wähler können diese Frage heute oft nicht mehr klar beantworten. Schwarz-Rot hat zwar Sinnvolles auf den Weg gebracht. Doch unter der GroKo hat sich der Eindruck gefährlich verschärft, dass die Parteien beliebig sind. Die Folgen sind gravierend.
Union und FDP sind mittlerweile weit von einer Mehrheit entfernt. Rot-Rot-Grün ebenso. Dafür würde mittlerweile etwa jeder sechste Wähler für die AfD stimmen. Die Rechtspopulisten bestimmen den Sound in der Republik. Jede Regierungsbildung wird in diesem zerfaserten System zum Krampf.
Grundsätzliche Wahl
Es genügt nicht, die Fronten allein zwischen Menschenfreunden und Menschenfeinden zu ziehen. In dieser Erzählung gewinnt immer die AfD, die sich als Kämpfer gegen das Establishment inszeniert.
Um die Radikalen einzudämmen, müssen die anderen Parteien polarisieren. Die Bürger müssen auch im Grundsätzlichen erkennbar die Wahl haben, etwa zwischen einer wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Politik und einer gerechteren und offenen Gesellschaft.
Dass es eine Sehnsucht danach gibt, hat der Schulz-Hype 2017 gezeigt. Die angedeutete Distanzierung von der Agenda-Politik, der Gerechtigkeitswahlkampf, die plötzliche Aussicht auf eine echte Alternative zur GroKo trieben die Sozialdemokraten an. Doch Martin Schulz ließ sich alles von blassen Pragmatikern ausreden - einer der großen Fehler in der Kampagne.
Große Zweifel
Und trotzdem: Man muss große Zweifel haben, dass ausgerechnet die Sammlungsbewegung einer linken Idee wieder Kraft geben kann. Denn ihre Initiatoren tragen selbst Mitschuld daran, dass das überhaupt notwendig ist.
Ein höherer Mindestlohn, Steuerumverteilung, eine grundlegende Reform der Hartz-Gesetze, weniger Waffenexporte, eine Bürgerversicherung - Deutschland hätte all die linken Wünsche in den vergangenen Jahren sehr wahrscheinlich umsetzen können. Bis zur Bundestagswahl hatten SPD, Grüne und Linke eine Mehrheit. Dass diese nicht genutzt werden konnte, lag auch an der Linkspartei selbst.
Jahrelang haben die Hardliner unter den Genossen jede Annäherungsversuche torpediert. Bloß keine Kompromisse, Fundamentalopposition, das war die Devise. Es war der Flügel um Oskar Lafontaine und Wagenknecht, aus dessen Reihen die Bündniswilligen niedergebrüllt wurden.
Befürworter der Sammlungsbewegung stellen nun im SPIEGEL fest, manche machtorientierte "Koordinationsversuche" hätten "von den Parteistrukturen mit ihren Droh- und Abhängigkeitsverhältnissen schnell ausgebremst" werden können. Das muss jenen, die über Jahre in rot-rot-grünen Gesprächskreisen nach einer Vertrauensbasis suchten, wie blanker Hohn vorkommen.
Problem bleibt
Doch selbst wenn sie nun die Massen hinter sich scharen können, selbst wenn sie künftige Fraktionen im Parlament prägen - das Problem bleibt: Um die Macht zu übernehmen, müssten sich die Radikallinken inhaltlich bewegen. Kein seriöser Regierungschef wird aber einen Stopp aller Bundeswehreinsätze und einen einseitigen Rückzug aus der Nato mitmachen, den Euro infrage stellen oder sich mit Diktatoren und Autokraten solidarisieren, nur weil sie Feinde der Amerikaner sind.
Kann Wagenknecht trotzdem glaubwürdig sammeln oder wird sie spalten? Die Frage bleibt offen, zu vage bleiben ihre Andeutungen, was sie mit dem Projekt vorhat.
Ihr Personal steht bislang eher für Abgrenzung: Sevim Dagdelen hat bei den Linken jede Menge Feinde, Marco Bülow gilt in der SPD als völlig isoliert, Antje Vollmer wirkt bei den Grünen inzwischen wie aus einer anderen Welt.
Wagenknecht will eine gesellschaftliche Bewegung - initiiert von Berufspolitikern, denen oftmals wenig an Gemeinsamkeiten lag. Man darf gespannt sein, ob sich dieser Geburtsfehler von "Aufstehen" jemals beheben lässt.