Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 29.08.2018

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

 
Sachsens CDU gefallt sich gern in der Rolle als besonders konservativer Landesverband. Doch das ist ein Trugschluss. Was sind denn konservative Ideale? Ein starker, handlungsfähiger Staat, der die freie Entfaltung seiner Bürger schützt. Ein intaktes Schulsystem, in dem vor allem auch der Wert humanistischer und kultureller Bildung betont wird. Eine Polizei mit ausreichendem und mustergültig geschultem Personal. Ein klares Eintreten für christliche Werte, die vollkommen unvereinbar sind mit jeder Form von Fremdenfeindlichkeit. Eine Skepsis gegen alle Ideologien, also auch gegen blinde, neoliberale Sparpolitik. Und nicht zuletzt ein feines Gespür für Symbolik, Sprache und die Würde hoher politischer Amter, der man nicht in flapsigen oder gar abfälligen Kommentaren auf Facebook oder Twitter gerecht wird.

In all diesen Punkten geben sächsische CDU-Politiker, gelinde gesagt, kein tadelloses Bild ab, seit Jahren. Ministerpräsident Kretschmer, noch jung im Amt, hätte das Zeug zum Konservativen mit genügend Schneid, um beim Thema Rassismus in Sachsen nicht rumzueiern wie seine Vorgänger. Es gab einige kluge Signale von ihm, wie die Teilnahme an einer Gewerkschaftsdemonstration in Chemnitz oder beim Friedensfest gegen ein Nazitreffen in Ostritz. Doch sein Verhalten - oder besser: Nicht-Verhalten - Anfang dieser Woche lässt befürchten, dass auch er sich von der Hasenfüßigkeit seiner Parteifreunde anstecken lassen könnte: Bloß keine "besorgten Bürger" verschrecken mit allzu deutlichen Tönen. Schon wahltaktisch ist das zweifelhaft. Konservativ ist es schon gar nicht.

Wer aus solcher Unsicherheit seine Überzeugungen vergisst, setzt eine weitere Tugend aufs Spiel: Glaubwürdigkeit. Wenn Kretschmer und Innenminister Wöller nun Entschlossenheit formulieren, so wirkt das hilflos, wie ein Bekenntnis zum Selbstverständlichen. Immerhin: Seinen lange geplanten Bürgerdialog am Donnerstag in Chemnitz hat der Ministerpräsident nicht abgesagt. Es ist eine Chance, sich zu stellen, Gesicht zu zeigen und dem Gedenken an das Mordopfer ein bürgerliches Gesicht zu geben. Das wäre nicht kitschig. Das wäre konservativ.

MARCUS THIELKING