Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland, 12.05.2001

Endzeit in Dresden

Gastkolumne
 
DRESDEN. Nichts ist mehr so wie es war in Sachsen. Zehn Jahre lang konnte ein Ministerpräsident schalten und walten, wie es seiner Hoheit beliebte. Doch die Untertanen werden undankbar und ungnädig. Dem Alten unterlaufen Fehler am laufenden Band. Die Nachfolger, oder besser die Kanzeltauben, die sich dafür halten, kratzen mit den Füßen. Und jetzt auch noch das: die Opposition stellt unangenehme Fragen und - was noch viel schlimmer ist - die bisher manchmal huldvolle Presse ist mit den königlichen Antworten nicht zufrieden. Zudem rumort es kräftig in Biedenkopfs eigener Fraktion. Endzeitstimmung in Dresden.

Da wurden in der Vergangenheit lukrative Mietverträge mit einem Freund geschlossen, ohne Ausschreibung. Die Gattin des Ministerpräsidenten mischte sich, wie eine Amtsperson, zu Lasten des Freistaats für Investoren in Mietverhandlungen des Finanzministeriums ein. Das Verfassungsgericht kassiert ein Landesgesetz nach dem anderen. Der Wirtschaftsminister meint, vier Wochen nach einem Beschluss des Landtages eben diesen immer noch ignorieren zu können. Der Justizminister lässt sich über politisch interessante Ermittlungsverfahren unterrichten und verteilt diese Informationen unter Parteifreunden. Das alles soll ganz normal sein, nur zum Wohle des Volkes sein? Nein, hier geht's von der Gemeinnützigkeit zum gemeinen Eigennutz.

Seit kurzem nun ist bekannt, dass die Familie des Ministerpräsidenten sich aus Steuergeldern einen Lebensstil gönnt, der von keinem einzigen deutschen Ministerpräsidenten gepflegt wird. Sachsen ist eben Spitze. Leider ist Biedenkopf dabei jegliches politische Gespür abhanden gekommen. Das Gespür dafür, welche Kraft Langzeitarbeitslose jeden Morgen beim Aufstehen brauchen, was alleinerziehende Mütter jeden Tag bewältigen müssen, was junge Menschen, deren Eltern und Großeltern bewegt, wenn sie in Sachsen keinen Job oder Ausbildungsplatz bekommen, wie man mit 5 bis 7 Mark Stundenlohn eine Familie durchbringen soll. Auf diese Fragen hat der Ministerpräsident schon lange keine Antworten mehr, nur noch die Reden-die-jeder-schon-auswendig-kennt, die er seit 10 Jahren hält.

Doch es geht auch um etwas anderes. Ich will nicht am persönlichen Mut und Engagement zweifeln, mit dem Biedenkopf und andere 1990 nach Sachsen gekommen sind. Die Aufbaujahre nach der Wende waren Ausnahmejahre, in denen ungeheuer viel geleistet wurde, oft unter heute unglaublichen Umständen. Dafür gebührt ihm Respekt, vor allem aber allen Menschen im Lande.

Die höchste Aufgabe der Staatsregierung aber war, die Demokratie wieder in den Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern. Eine besondere Verantwortung für eine Demokratie, die die Menschen in Sachsen auf der Straße erkämpft hatten. Eine Regierungsverantwortung, die sie seit Herbst 1990 allein an die CDU übertragen haben. Sachsen ist in Ostdeutschland das einzige Land, das durchgängig von nur einer Partei regiert und verwaltet wird.

Doch statt einer besonderen Sensibilität im Umgang mit der neuen Macht etablierte die Regierung Biedenkopf einen Gutsherren- und Günstlingsstil, der jeder Demokratie spottet. Das ist der Kern des Problems. Das Parlament als Kontrollorgan hat sich selbst mehrheitlich ausgeschaltet. Es gibt keinen Millimeter demokratischer Kooperationsbereitschaft der CDU. Die Oppositionsparteien haben praktisch keine Chance, gehört zu werden. Jede ihrer Ideen wird mit der Arroganz der Macht erstmal abgebügelt, auch wenn es häufig so ist, dass SPD-Anträge mit neuem CDU-Logo ein halbes Jahr später im Landtag wieder auftauchen. Selbst die CDU-Fraktion ist inzwischen nur noch ein Abnickverein. Die Regierung machte, was Kurt Biedenkopf wollte. Den Sinn von Parlamentarismus - Aushandeln, unterschiedliche Interessen an einen Tisch bringen, Widersprüche austarieren, Macht kontrollieren - führt ein solcher Regierungsstil endgültig ad absurdum.

In alle Ecken des Landes hat sich ein schwarzer Schleier gelegt. Im Windschatten Biedenkopfs hat die CDU alle Ämter im Land besetzt. Heute haben wir ein Land, das von einer Einparteienherrschaft nur noch graduell entfernt ist. Dagegen ist das CSU-Bayern ein Hort des Liberalismus. Der »Revolutionsadel« von 1989, wie er sich selber gerne nennt, hat seine eigenen Transparente nach Wahrheit, Klarheit und Toleranz vergessen und verraten.

Eines hat die Biedenkopf-Krise schon bewirkt: die in Sachsen schwer gebeutelte SPD hat sich klar zurückgemeldet. Und insofern hat jede Krise auch ihr Gutes. Denn ohne eine starke, an den richtigen Stellen auch lautstarke Opposition, ohne ein ständiges Finger-in-die-Wunde-legen, kann keine Demokratie auf Dauer überleben und leben. Die Zeit des Regierens nach Gutsherrenart ist endgültig vorbei.
Karl Nolle