Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 25.05.2001
Politische Gegner, doch keine Feinde
Karl-Heinz Kunckel: Ex-Chef der SPD erstmals über Machtverlust, Biedenkopf und Konsenspflege
Dresden. Der Blick zurück erfolgt nicht im Zorn. Karl-Heinz Kunckel steht zu seinem Politik-Stil, auch wenn der seine Partei nicht zum Erfolg geführt hat. „Ich habe nie einen Schmusekurs in der Opposition gefahren“. Vorwürfe dieser Art hätten ihm weh getan. Sein Verhältnis zu Kurt Biedenkopf habe er stets aus der Sicht einer Gegnerschaft, nie aber einer Feindschaft definiert.
Erstmals äußert sich der Mann, der nahezu zehn Jahre die Geschicke der Sozialdemokraten nach der Wende in Sachsen bestimmt hat, öffentlich über sein Leben nach dem Verlust von Ämtern und Einfluss und über seine Einstellung zum Ministerpräsidenten. „Er ist der Ministerpräsident aller Sachsen, also auch meiner. Wir haben uns wechselseitig konsultiert. Mit Biedenkopf in Kontakt zu stehen resultierte aus meinem Verständnis aus gemeinsamer Verantwortung für dieses Land. Ich möchte das in meiner Biografie nicht missen.“
Verkorkste Situation der SPD
Im August will er einem Freund den Mont Blanc besteigen. Anspruchsvolle Berge als Ausgleich für den verpassten Gipfel der Macht? Kunckel hat dieses Kapitel seiner politischen Karriere längst verarbeitet - viel früher übrigens, als es bisher den Anschein hatte. Schon im Sommer 1999, also Monate vor der Landtagswahl, sei ihm die verkorkste Lage der SPD klar gewesen. Die schlimme Niederlage konnte er also -mit einem vorbereiteten Plan beantworten. Schon 25 Minuten nach der erstere Hochrechnung schlug er Constanze Krehl für die Nachfolge vor.
Und drei Tage später sei ihm klar gewesen, dass er auch den Fraktionsvorsitz für einen Neubeginn freimachen solle.
Nach dem sonst üblichen 16-Stunden-Tag am Mittag plötzlich keine Termine mehr zu haben, löste anfangs sogar gesundheitliche Probleme aus. „Das war so, als wenn ein Hochleistungssportler mit einem Schlag aufhört.“ Also nahm er sich als Mittel gegen das nervöse Herz die Stufen zum „Spitzhaus“ auf den Höhen seiner Radebeuler Weinberge vor. Es sei gut, sich rechtzeitig klar zu machen, dass der Wähler das Ende einer politischen Laufbahn bestimmt; gibt Kunckel seine Erfahrungen weiter. Der finanzielle Verlust machte die Hälfte der vorherigen Bezüge aus, aber die persönliche Unabhängigkeit federte auch der Arzt-Beruf seiner Frau ab.
Nicht aus Kenntnis der Partei-Programmatik sei die Entscheidung im Dezember 1989 erfolgt, in die SPD einzutreten. „Das war eine Herzensentscheidung“, betont Kunckel auch mit Hinweis auf die Familientradition seiner mütterlichen Vorfahren. Zehn Monate später war er bereits Fraktionsvorsitzender. Er sieht sich als klassischen Seiteneinsteiger - unfixiert auf Beschlusslagen der Jungsozialisten, mit unverstellten Blick auf das pragmatisch Machbare. Nur sechs Monate Volkskammer hatten ihm einen Hauch von Erfah-rung für den Aufbau eines Fraktions-- und Parteiapparates gegeben. Die ersten Jahre in der neuen Freiheit schärften auch Kunckels Sinn für Gemeinschaftsgeist. „Da ging es vor allem darum, ein Fundament zu le-gen, das die Menschen trug.“ Nicht, dass die unterschiedlichen parteipo-litischen Konturen dabei verloren gehen durften. Aber für Kunckel ist Konsens eine Tugend, die Streit nicht ausschließt, „Wir sind eine Konsensgesellschaft“, sagt er, „70 Prozent dessen, was unsere Gesellschaft betrifft, entscheiden wir im Konsens'“.
Kunckel liebt die Kultur, nicht den Krawall. Passt einer wie er, der den Menschen und den Politiker nicht voneinander getrennt sehen mag, der nichts davon hält, einem Politiker bereits vor Prüfung von Vorwürfen ausschließlich machtpolitische Absichten zu unterstellen, nicht mehr in diese Welt?
„Ich bin dafür, dass man sich morgens noch im Spiegel betrachten kann, ich stehe für Loyalität“, entgegnet Kunckel. Das schließt ein, sich vor öffentlicher Schelte an jenem Mann zu hüten, den er als „Quereinsteiger“ in seine Fraktion holte. "Ich pflege einen anderen Stil als Karl Nolle. Die Distanz zu seinem Wirtschaftssprecher scheint längst unüberbrückbar. Das drückt sich auch in eigenständigem Abstimmungsverhalten so wie jüngst bei der Biedenkopf-Abwahl-Debatte gemeinsam mit seinen Fraktionskollegen Peter Adler und Hanjo Lucassen im Landtag aus. Doch wenn Kunckel über den Umgang unter Politikern spricht, schließt er bewusst die CDU mit ein.
„Kurt Biedenkopf', ergänzt er, ist Ministerpräsident. Aber dahinter steht ein Mensch aus Fleisch und Blut". Nicht er habe sich zum König von Sachsen gemacht. Dieses Bild sei von der Presse gezeichnet worden, und Biedenkopf habe es sich gefallen lassen.
Tiefensee im Hintergrund
Die Deutsche Einheit sei abgeschlossen, wechselt Kunckel auf die große Politik, jetzt bedarf es eines anderen Stils der Regierenden. Gefragt seien mobile Arbeitnehmer und Unternehmer. Im Wettbewerb der Bundesländer um diese Menschen zwischen 30 und 40 müsse Sachsen seine Vorzüge effektiv einsetzen. „Deswegen wird es wichtig sein, an der Spitze Leute zu haben, die mehr als regionale Ausstrahlung haben.“ Wer das sein mag? Kunckel plädiert für Geduld beim Hineinwachsen in neue Aufgaben. Für seine SPD zeigt er sich zuversichtlich, dass die Halbierung der Stimmen wieder rückgängig gemacht werden kann. Sein Pech war, dass die Partei bundespolitisch bei Landtagswahlen stets im Tief war und einem Biedenkopf nicht das Wasser zu reichen war. Jetzt steht ein Tiefensee im Hintergrund, von dem Kunckel als „großem politischen Talent“ spricht. Und es winkt eine Koalition mit der PDS, von der er selbst nichts hält, obwohl Generalsekretär Müntefering bereits gemeinsam mit PDS-Chef Porsch in Annaberg auftraten. „Ich habe meine Zweifel, ob die PDS bereits in der Demokratie angekommen ist“. Bleibt also zur Machtbeteiligung nur die Junior-Partnerschaft mit der CDU. Aber Kunckel ist ja nur noch einfacher Abgeordneter mit Zuständigkeit für Medien und Kultur...
(Hubert Kemper)