Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 09.06.2001
Gekippt, gewippt, geflippt
Kommentar von Erich Böhme
Es sind nicht die Galoschen des Glücks, in denen Angela Merkels Füße stecken. Windstoß-Frisur, ja. Cabrio-Fahrt mit Guido Westerwelle, ja. Freundlicher Beifall in der Provinz, ja. Doch, wie steht's mit dem eigenen Verein, sechzehn Monate vor dem Bundestag-TÜV?
Lassen wir die Sachfragen, von der CDU/CSU atemlos aber ohne viel Nachdruck heraufbeschworen, mal beiseite. Schließlich hat der Schröder ihr die wichtigsten Brocken (Steuer, Renten) schon geklaut. Und das Erstgeburtsrecht in der Ethik-Debatte hat die Christenunion an den Bundespräsidenten verloren.
Also reden wir über die Stimmung im Lande, auf die es bei den Wahlen vornehmlich ankommt. Kohls Spendenmillionen sind dank der Widerborstigkeit des Exkanzlers noch immer nicht vom Tisch. Jeden Tag kann es wieder kippen. In Hessen kommen Kohls ehemaliger Innenminister Kanther und zwei Kumpane vors Brett, weil sie einst zwanzig Millionen schwarze Mark zu jüdischen Vermächtnissen gewaschen hatten. In Rheinland-Pfalz langen die Strafverfolgungsbehörden nach dem Parteivorsitzenden Christoph Boer, der für seinen Landesverband in die Fraktionskasse gefingert haben soll, was dummerweise verboten ist. In Berlin hat der alte CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky, bis vor kurzem noch Bankier der Hypo Berlin, Parteifreunde großzügig mit Krediten gespickt und zur gleichen Zeit Spendengeld angenommen, ohne es ordnungsgemäß im Kassenbuch einzutragen.
Landowsky kippte lauthals aus den Sesseln des Fraktionsvorsitzenden und des Bankchefs, auf denen er es sich noch einige Zeit bequem zu machen gedacht hatte. Die Bankgesellschaft Berlin und Berlin selbst kippten in die roten Zahlen. Und Berlins Unionschef Diepgen in die schwarze Tinte.
Sachsens Kurt der Starke leidet auffällig an Muskelschwund. Sein persönlicher Hofstaat (Kurt, Ingrid und die Seinen) hat über seine Verhältnisse gelebt, im Gästehaus des Freistaates über Jahre zu billig, das heißt auf Steuerzahlerkosten, und sich kostenlos öffentlich-rechtlicher Domestiken bedient. Die schönen Tage von Dresden sind nun vorüber, der Herrscher Biedenkopf muss nachlöhnen, das Kerbholz ist voll.
Das wiegen im Westen die CDU- Statthalter, einst Kohls starke Trup-pe, heute Angelas letztes Aufgebot nicht auf. Rüttgers, Müller, Wulff, wer kennt die Völker, nennt die Namen?
Allein der Süden scheint stabil, gäb's da nicht einen, der drauf und dran ist, es sich auf Angelas Sitzkissen bequem zu machen. Zwar geht kein kleiner, mittlerer, großer Parteitag der CSU vorüber, auf dem Edmund Stoiber nicht verkündet, er erstrebe nächstes Jahr die Kanzlerkandidatur nicht; aber es gibt auch kein Mikrofon, in das seine Gefolgsmänner nicht flüstern, er, der Bayern-Kini müsse Kanzler werden. Mit mecklenburgischem Klammergriff hält sich Angela Merkel an der flauen Verabredung zwischen CDU und CSU fest, erst Anfang nächsten Jahres werde in der Union über den Kanzlerkandidaten entschieden. Bis dahin sei Ruhe die erste Christenpflicht.
Mit Manifesten „für eine Politik der Mitte" und unfreiwillig komischen Sätzen, wie „wir werden Anreize für Ehrlichkeit setzen", mauert sie derweil an ihrem Anspruch. Alles vergebens, der Stoiber Edmund hat schon ein Schattenkabinett beisammen und verkündet das urbi et orbi.
Sie kann einem schon Leid tun, die Merket Angela. So fulminant den Kohl gekippt, dann den Schäuble gewippt, sich selbst nach oben geflippt. Den Merz gebürstet und sich selbst frisch gekämmt. Es will ihr nicht gelingen, ihr und ihrer Truppe Fortune zu korrigieren.
(Erich Böhme)