Karl Nolle, MdL
DNN, 11.06.2001
Alles offen
Kommentar von Dirk Birgel
DRESDEN. "Jubel im Roßberg - Lager, blankes Entsetzen bei der CDU. Amtsinhaber Herbert Wagner ist der klare Verlierer der gestrigen Oberbürgermeisterwahl.
Entgegen allen repräsentativen Umfragen im Vorfeld hatte Roßberg am Ende klar die Nase vorn. Gründe gibt es viele: Zuallererst ist es Wagner in elf Jahren Amtszeit nacht gelungen, sich als Siegertyp zu präsentieren, als Vater der Erfolge, die Dresden unter seiner Führung ohne Frage erzielt hat. Die Umkehr des Umfragen-Trends legt zudem die Vermutung nahe, dass es Wagner und der CDU nicht gelungen ist, ihre potenziellen Wähler an die Urnen zu bringen. Alarmierend für beide Spitzenkandidaten ist das Abschneiden der beiden bis dato völlig unbekannten Mitbewerber Ronald Galle und besonders Friederike Beier kosteten Roßberg und Wagner Stimmen. Etwa jeder zehnte Wähler hielt die Platzhirsche für so wenig überzeugend, dass er gegen beide votierte.
Das Ergebnis zeigt nicht zuletzt, dass die Unruhe um Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) und die quälend offene Nachfolgefrage, Wagner mit großer Wahrscheinlichkeit geschadet hat. Die sachsenweit schwache Wahlbeteiligung und eine Reihe schlechter CDU-Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Viele Union-Wähler haben die Nase voll, wollen vom krisengeschüttelten Landesvater eine klare Perspektive. Biko, hör' die Signale! Sollte nach Leipzig und Chemnitz auch die Landeshauptstadt einen Nicht-CDU-Mann als Oberbürgermeister bekommen, wäre das für die Union eine Katastrophe.
Wie dem auch sei. Das Wahlergebnis von gestern ist heute bereits Makulatur. In zwei Wochen erlebt Dresden eine Neuwahl, und bis dahin werden die Karten neu gemischt. Nicht nur weil der letzte SED-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer dann mit einiger Sicherheit ins Rennen geht. Möglich macht diesen Treppenwitz der Geschichte die sächsische Gemeindeordnung. Keine Stichwahl, nein, eine komplette Neuwahl. Das ist in höchstem Maße fragwürdig - aber es ist geltendes Gesetz, beschlossen von der CDU-Mehrheit (!) im Landtag.
Dresden stehen also noch einmal 13 Tage Wahlkampf bevor. Für Roßberg wird es darauf ankommen, die Jubelstimmung des ersten Urnengangs zu erhalten. Für Wagner und seine Mitstreiter heißt es: Mund abputzen und mit letztem Einsatz die eigenen Anhänger mobilisieren, die sich diesmal in trügerischer Sicherheit gewiegt haben. Die große Unbekannte aber heißt Wolfgang Berghofer. Nur über ihn führt der Weg auf den Oberbürgermeisterstuhl. Alles ist offen.
(Dirk Birgel)