Karl Nolle, MdL

DNN, 11.06.2001

Dresdner müssen ein zweites Mal zur Wahl

Sieg für Roßberg, aber noch kein neuer Rathauschef
 
DRESDEN. Tränen in den Augen, ein großes Fragezeichen im Gesicht und ein Was-soll-jetzt-werden auf den Lippen. Kaum eine Minute vorher hat Angela Malberg, die impulsive CDU-Stadträtin, noch gescherzt, war die schiere Zuversicht, dass ihr Parteifreund Herbert Wagner Oberbürgermeister bleibt. Unter 50 Prozent Wahlbeteiligung zeigten schließlich die Monitore auf dem Podium des Rathaussaals an - fast ein Drittel weniger als bei der OB-Wahl 1994. Das konnte doch nur zu Lasten von Roßberg gehen - meinte Malberg, meinten viele, die dort ab 18 Uhr auf die Ergebnisse der OB-Wahl warteten.

Es ist eine Illusion, die gegen viertel vor sieben in Jubelrufen der Roßberg-Anhänger untergeht. Eine 47-Prozent-Säule leuchtet auf den Bildschirmen für ihren Kandidaten, nur knapp 42 stehen dort für Wagner. Gut 100 der 396 Wahlbezirke sind zu diesem Zeitpunkt ausgezählt, und noch zehn Minuten später wird CDU-Bundestagsabgeordnete Christa Reichard sagen, man solle abwarten und Tee trinken. Doch immer neue Bezirke erscheinen auf dem Monitor, und es wird nicht besser für ihren Parteifreund.

Doch auch für Roßberg zeichnet sich immer mehr ab, dass es nicht zu der absoluten Mehrheit langt, die ihn an diesem Abend auf den OB-Sessel bringen würde, dass er in einen zweiten Wahlgang am 24. Juni muss. Die Frau, die dabei für ihn zur Königsmacherin werden kann, hat sich mit ihren Freunden vor dem Saal niedergelassen. Maximal fünf bis sechs Prozent hatte sich Friederike Beier, die Parteilose, noch kurz vor sechs zugetraut. Nun hat fast jeder Zehnte für sie gestimmt, was sie als Zeichen für Frustration in der Stadt sieht. Sie lässt es in diesem Moment offen, ob sie zu Gunsten von Roßberg zurückzieht. Bis Mittwoch hätte sie Zeit dazu. Im Wahlkampf nannte sie als Preis das von ihr geforderte Amt für Bürgerbeteiligung. Im Getümmel im Plenarsaal kündigt die Bürgerinitiative „OB für Dresden" an, die Roßbergs Kandidatur erst ermöglichte, man werde mit Beier sprechen.

Ronald Galle von der Büso, der eher konservative Viertplatzierte, könnte eineinhalb Prozent für die CDU beisteuern. Er trete höchstwahrscheinlich wieder an, das sei er seinen Wählern schuldig. Mit „Roßberg, Roßberg"-Rufen tritt im Kameraschein der Sieger des Abends durch die Tür. SPD-Chefin Marlies Volkmer tanzt vor ihm her, bevor er dazu auffordern kann, ihn auch am 24. Juni zu wählen.

Vier Prozentpunkte liegt er vor Wagner, als der ein paar Minuten später in den Saal kommt, nur von ein paar Händen beklatscht. Erst als er am Mikro steht, kommt lauter Beifall auf. Er spricht nicht von einer Niederlage, sondern einer verschobenen Entscheidung, für die er mangelnde Beteiligung der CDU-Wähler verantwortlich macht. Die für ihn positiven Umfragewerte seien offensichtlich kontraproduktiv gewesen. Er mag nichts dazu sagen, ob die Schlagzeilen um Biedenkopf ihm geschadet haben, wohl aber sein Kreisvorsitzender Dieter Reinfried: „Das könnte eine mögliche Komponente der geringer als erwarteten Stimmenzahl gewesen sein." Biedenkopf hatte noch am Freitag Werbung für Wagner gemacht und Roßberg dabei als „Schrott aus Wuppertal" bezeichnet.

Außer Beier als Königsmacherin ist einer Hauptthema, der gar nicht im Saal ist. Ex-OB Wolfgang Berghofer hat in einem Radiointerview laut überlegt, in einem zweiten Wahlgang anzutreten. Von ihm ist an diesem Abend nichts Definitives zu hören, wohl aber von Ex-PDS-Chefin Christine Ostrowski. Er solle sich zum Teufel scheren, sagt sie von ihm, nachdem er ein Jahr lang die Dresdner verarscht habe. Sie hat Stunden nicht mehr so richtig an Roßberg glauben mögen. Wie die CDU, wie so viele später im Plenarsaal, ging sie davon aus, dass die PDS ihre Wähler nicht an die Urne gebracht hat. „Wenn das so bleibt, gewinnt Wagner", war ihre Einschätzung am Nachmittag.

In diesem Sinne hatte auch der Tag für Noch-Oberbürgermeister Wagner begonnen. Händeschütteln vor weißen Kirchenmauern von St. Hubertus nach der 10-Uhr-Messe, ein kurzer Schwatz, Glückwünsche. Wagner mochte da nicht spekulieren, wie viele für ihn stimmen werden. Eine solche Prognose gibt er erst über acht Stunden später abends im Plenarsaal ab -- für den zweiten Wahlgang: Wenn sein Lager geschlossen zur Wahl gehe, gebe es ein „deutlich besseres Ergebnis".
(Stefan Alberti)