Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 13.06.2001
Wagners "Chancen liegen bei 60 zu 40"
Interview mit Dieter Reinfried
DRESDEN. Der Rückschlag kam für OB Herbert Wagner kam unerwartet für die CDU. Was hat er für Fehler gemacht? Die SZ sprach mit CDU-Kreisvorsitzenden Dieter Reinfried über die Chancen bei der Neuwahl.
SZ: Haben Sie vor der Wahl ein Ergebnis wie das vom Sonntag in ihr Kalkül gezogen?
Dieter Reinfried: Nein. Wir haben uns auf die in der Presse veröffentlichten Meinungsumfragen verlassen, da lag Wagner immer vorn. Auch das Stimmungsbild, dass die Medien wieergaben, vermittelte Vorteile für unseren Kandidaten. Wir glaubten, dass er vor seinem Herausforderer lag, waren nur nicht sicher, ob er schon beim ersten Wahlgang die 50-Prozent-Hürde schaffen würde.
SZ: Dresden liegt bei allen entscheidenden Wirtschaftsdaten im Osten seit Jahren an der Spitze. Es hat die niedrigste Arbeitslosenquote, die meisten Arbeitsplätze, und die Dresdner verdienen auch am besten. Warum wählen sie dann ihren Oberbürgermeister nicht wieder?
Dieter Reinfried: Ich vermute dahinter den Wunsch nach einem Wechsel. Aber genau kann ich diese Frage nicht beantworten, das ist eine nicht präzis zu greifende Stimmung.
SZ: Hat Wagner seine Erfolge nicht rübergebracht?
Dieter Reinfried: Doch, genau das war Tenor auf jedem Wahlkampfauftritt.
SZ: War das zu spät?
Dieter Reinfried: Er hat das doch schon vor dem Wahlkampf in seinen Reden immer wieder gesagt, ein zentrales Thema war darin immer die wirtschaftliche Entwicklung und das Schaffen von Arbeitsplätze. Und wir haben die meisten Arbeitsplätze im Osten.
SZ: Was hat er denn für Fehler gemacht, dass ihn die Leute nicht wählten?
Dieter Reinfried: Es hat scheinbare Versäumnisse gegeben, wodurch wichtige Projekte verzögert wurden. Die haben ihre Ursache aber in den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat, wo 1994 bis 1999 rot-grün stärker war und die Politik des Oberbürgermeisters behinderte.
SZ: Vielleicht wünschen sich viele Dresdner einen anderen Typ als Oberbürgermeister?
Dieter Reinfried: Ein Defizit Wagners könnte sein, dass er in der Öffentlichkeit nicht als Strahlemann und Machertyp auftritt. Er ist dafür aber ein zäher Arbeiter, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert.
SZ: Glauben Sie noch an einen Wahlsieg am 24. Juni?
Dieter Reinfried: Unbedingt. Wir hatten 1999 bei der Kommunalwahl 115 000 Wähler, dieses Mal nur 78 000. Wenn wir von den fehlenden 37 000 Wählern nur 12 000 dazugewinnen, bleibt Wagner Oberbürgermeister. Wir glauben, dass viele unserer Anhänger nicht zur Wahl gegangen sind, weil sie glaubten, die Wahl ist schon gelaufen.
SZ: Wie hoch schätzen Sie Wagners Aussichten ein, in der Neuwahl doch noch zu gewinnen?
Dieter Reinfried: So etwa 60 zu 40. Ich sage doch, wenn wir ein Drittel der Leute dazugewinnen, die vor zwei Jahren die Union gewählt haben, ist das der Wahlsieg.
SZ: Wie bewerten Sie die Auswirkungen des Geschehens um Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) auf das ungünstige Wahlergebnis ein?
Dieter Reinfried: Das kann ich nur schwer ermessen. Biedenkopf genießt wegen seiner unbestreitbaren Leistungen in Sachsen nach wie vor großes Ansehen bei der Bevölkerung, auch in Dresden. Andererseits ist es aber auch so, dass ein Teil der Bürger verunsichert ist und betroffen von der Entwicklung der letzten Wochen.
SZ: Wie sagen Sie zum Verhalten der FDP?
Dieter Reinfried: Sie ist offensichtlich gespalten. Die FDP-Mitglieder sind in einer schwierigen Situation. Die Ratsfraktion der Liberalen will weiter mit der Union zusammenarbeiten, andererseits hat sich eine Mehrheit der Partei für die Unterstützung Roßbergs entschieden, der selbst auch FDP-Mitglied ist. Dass der jetzt noch von der PDS unterstützt wird, macht die Sache für die Anhänger der FDP auch nicht leichter.
Interview: Markus Lesch