Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 14.06.2001
Die Karten sind neu gemischt
Die 240 Unterstützer-Unterschriften erweisen sich für Wolfgang Berghofer als problemlos
DRESDEN. Schon kurz nach acht kommen die ersten ins Dresdner Rathaus, wollen für Wolfgang Berghofer unterschreiben. Im Erdgeschoss stehen mehrere Kabinen zum Ausfüllen des Formulars. Stempel drauf. Der Nächste bitte!
10.30 Uhr: Zwanzig der 240 nötigen Unterstützungs-Unterschriften sind zusammen. Zehn Minuten später kommt Maximilian Krah und gibt Erklärung Nummer 21 ab. Krah gehört zur Dresdner Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU. "Ich will Roßberg verhindern", sagt er. "Berghofer ist resozialisiert, sein Programm klassisch bürgerlich." Dass der letzte SED-Oberbürgermeister dem CDU-Mann Herbert Wagner Stimmen wegnehme, glaube er nicht. Für SPD-Stadrat Siegfried Gäbel beweist Krahs Unterschrift nur eins: "Berghofer ist von der CDU gekauft."
10.45 Uhr: Unterstützungs-Unterschrift Nummer 22 leistet eine Frau, die jedoch ihren Namen nicht nennen will. Um Berghofer geht es ihr nicht so sehr. "Ich hoffe, dass meine Unterschrift die CDU stärkt", sagt sie, Roßberg sei nicht gut für Dresden.
10.47 Uhr: Unterzeichnerin Pia Küpper findet Berghofer einfach sympathischer als Roßberg. Erika Strubelt hält ihn außerdem für kompetenter. Sie kenne ihn noch von früher. Mit Berghofers Wahlfälscher-Vergangenheit hat sie keine Probleme. "Das war halt nun mal so in der DDR. Da musste man Bericht erstatten, sonst wäre man abgesetzt worden", erklärt sie.
10.55 Uhr: Volker Torfe unterschreibt. Noch am Sonntag hatte er Wagner gewählt. Jetzt sagt er: "Berghofer kommt einfach besser rüber. Wir sind ein Jahrgang." Auch ihn stört Berghofers Stasi-Vergangenheit nicht. "Das war das System."
Im Wahlbüro der Bürgerinitiative für Ingolf Roßberg, der die erste Runde mit rund 47 Prozent gewann, geht es zur gleichen Zeit etwas hektischer zu. Spezialisten arbeiten an neuen Wahlspots, Termine werden geplant. Werner Becker, der sonst Technologieprojekte betreibt und jetzt als Wahlkampfleiter fungiert, wird ans Telefon gerufen. FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper will mit ihm die weitere Unterstützung für Roßberg besprechen. Mit Informationen hält er sich zurück. Nur so viel sagt er: "Das wird noch einen Knalleffekt
Gespräche mit Kurt Biedenkopf
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering schaltet sich erst mal per Fax in den neuen Wahlkampf ein. "Dresden braucht keinen Oberbürgermeister, der sich durch die Hintertür hereinschleicht", kanzelt er Berghofer ab. Der sei ein "Trittbrettfahrer und Helfershelfer der CDU". Gregor Gysi wird schon am Sonnabend, erfuhr die SZ von der PDS, auf der Prager Straße Wahlkampf für Roßberg machen und sich damit gegen Berghofer stellen - eine delikate Sache, denn bis zum Parteiaustritt im Januar 1990 war der damalige Dresdner OB Vizechef der PDS und damit Gysis Stellvertreter. In Partei- und Journalistenbüros wird inzwischen gerätselt, was Berghofer bewogen haben könnte, doch noch anzutreten. Denn gewinnen kann er kaum. Für SPD-Unterbezirks-Chefin Marlies Volkmer macht die Kandidatur "nur Sinn, wenn die CDU Berghofer aufgefordert hat und Wagner zwei Tage vor der Wahl zurückzieht".
Manche Politiker - darunter auch Cornelia Pieper - vermuten einen Deal zwischen Wolfgang Berghofer und Kurt Biedenkopf. Dass sich zwischen beiden im Jahr 1990 eine enge Freundschaft entwickelte, lässt sich im Wälzer "Ein deutsches Tagebuch" von Kurt Biedenkopf nachlesen. Im März 1990 flogen Diethild und Wolfgang Berghofer zusammen mit Biedenkopf im neuen Learjet des Unternehmers Heinz Barth - Investor des Behördenzentrums Paunsdorf - von Leipzig nach München. Im Juli 1990 waren Berghofers eine Woche Feriengäste der Biedenkopfs am bayerischen Chiemsee. Die Kontakte sind nie abgerissen. Bevor Berghofer seinen Verzicht zur Kandidatur in der ersten Wahlrunde erklärte, habe er darüber mit Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gesprochen, war vorgestern in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen. Am Montag dieser Woche soll Berghofer, wie die SZ aus Wirtschaftskreisen erfuhr, Biedenkopf über seine neuen Absichten informiert haben. Der Ministerpräsident habe deutlich gemacht, dass er ihn unter den gegenwärtigen Umständen nicht öffentlich unterstützen könne. Regierungssprecher Michael Sagurna dazu: "Über Inhalte von Telefongesprächen ist der Ministerpräsident nicht zur Auskunft verpflichtet." Das klingt nach Bestätigung. Weiter Sagurna: "Wer denkt, der Ministerpräsident hätte Herrn Berghofer gedrängt zur Kandidatenkür, muss mit dem Klammerbeutel gepudert sein."
Andere bei SPD, PDS und Bündnisgrünen vermuten ein politisches Geschäft zwischen der Dresdner CDU und Berghofer. Angeblich will Unternehmensberater Berghofer das große Dresdner Ostragehege vermarkten, hatte am Montag eine Boulevardzeitung berichtet. Verhilft er Wagner mit seiner Kandidatur zum Sieg über Roßberg, könnte das Vermarktungsrecht der Lohn sein, so wird spekuliert. Beweisen kann das keiner. Selbst Christine Ostrowski, PDS-Bundestagsabgenordnete und -Stadträtin, zieht ihre am Vortag geäußerte Behauptung, Berghofer sei von der CDU gekauft worden, zurück: "Sagen wir mal so, ich sehe Zusammenhänge."
Das Ostragehege ist seit langem ein Dresdner Sorgenkind. Außer der Neuen Messe hat sich dort nichts Positives entwickelt. Der Stadtrat schuf deshalb extra einen Ausschuss Ostragehege. Berghofer entwickelt in seinem im Internet nachzulesenden Programm visionäre Pläne für das Ostragehege: "Ostragehegezent~rum mit einem Jugendfreizeitkomplex, Hochtechnologie-Erlebnis-Park, Zirkusprojekt von internationaler Ausstrahlung", insgesamt ein "Europäischer Park des 21. Jahrhunderts". Der amtierende OB Herbert Wagner zeigte sich vorige Woche für Rat und Hilfe durch Berghofer nicht abgeneigt, falls der sie anbieten würde. Ansonsten wird natürlich alles dementiert. DSU-Stadtrat Jürgen Schwarz machte schon vor einiger Zeit als Vorsitzender des Ostragehege-Ausschusses den Vorschlag, für die Entwicklung des riesigen Geländes einen speziellen "Koordinator" einzusetzen. Gestern meinte Schwarz: Warum soll es nicht Berghofer sein, wenn er die entsprechenden Investoren an der Hand hat?
Auffallend viele kommen in Arbeitskleidung
11.30 Uhr, wieder im Rathaus: Die Chefin eines Möbelhauses kommt und bringt gleich noch drei Putzfrauen zum Unterschreiben mit. "Berghofer will den Elbepark erweitern. Das würde auch meinen Arbeitsplatz sichern", sagt sie. Überhaupt kommen auffallend viele Leute in Arbeitskleidung. Manche Beobachter vermuten eine organisierende Hand in Wirtschaftskreisen. Auch junge Leute leisten ihre Unterschrift. "Mein Stiefvater arbeitete mit Berghofer zusammen", sagt Manuela Barthe. Er habe ihr empfohlen, für ihn zu unterschreiben. Der 21-jährige Francisco Samuel ergänzt: "Ich wüsste sonst nicht, wen ich wählen soll."
14.20 Uhr: 214 Dresdner haben bereits unterschrieben. Vier Formulare, ergab die Sofortprüfung, sind ungültig. Die Unterzeichner wohnen nicht in Dresden oder dürfen nicht wählen. Kurz vor drei hat Wolfgang Berghofer die 240 Unterschriften zusammen. Die Karten sind neu gemischt.
(Katrin Saft und Jörg Marschner)