Karl Nolle, MdL
DNN, 22.06.2001
Politisches Puzzle ohne klare Fronten
OB-Wahl in der Landeshauptstadt bleibt spannend bis zuletzt
DRESDEN. Im Tennis würde es heißen: Vorteil Roßberg! Aber das Spiel ist noch nicht entschieden. Sechs Prozentpunkte liegt der Herausforderer vor dem Amtsinhaber. Betrachtet man nur die Dresdner, die sich wirklich sicher sind, am Sonntag wählen zu gehen, dann sind es sogar nur vier Punkte. Jeder Zehnte gibt an, Berghofer wählen zu wollen. Für Galle bleibt da so gut wie nichts übrig. Das ist das Ergebnis unseres repräsentativen DNN-Wahlbarometers, das wir zwischen dem 14. und 19. Juni durchführten.
Die Abstände sind so knapp, dass man von einem offenen Rennen sprechen muss. Hinzu kommt, dass 13 Prozent noch unentschieden sind und weitere sieben Prozent uns keine Auskunft geben wollten. Selbst von den Dresdnern, die uns sagten, welchen Kandidaten sie wählen würden, gaben auf Nachfrage 18 Prozent an, sich da noch nicht ganz sicher zu sein.
Es ist also noch alles im Fluss und wiederum wird die Wahlbeteiligung eine entscheidende Rolle spielen. Sie war Wagners Problem im ersten Wahlgang. Unsere Umfrage wie auch die der Sächsischen Zeitung sahen noch eine Woche vor der Wahl Wagner deutlich vor Roßberg. Dann aber ging nicht einmal die Hälfte der Dresdner an die Urne. Daheim oder im Grünen blieben vor allem Wagner-Anhänger: 39 Prozent der Daheimgebliebenen hätten nach eigener Aussage in unserer neuen Umfrage für Wagner gestimmt, 25 Prozent Roßberg (Grafik). Dem Sieger des ersten Wahlgangs gelang es also, seine Anhänger zu mobilisieren. Wagner hat dann eine Chance, wenn er sein eigenes Lager wachrütteln kann.
Ein weiteres Kennzeichen des noch offenen Rennens ist die gleiche Selbstsicherheit der beiden Lager. Von den Wagner-Wählern glauben 53 Prozent an einen Sieg des OB, von den Roßberg-Wählern 56 Prozent an den des Herausforderers (Grafik). Die Hoffnung stirbt zuletzt - könnte man daraus schließen. Aber in der Wahlforschung ist diese Zuversicht meist ein echter Indikator für die tatsächliche Siegchance einer Partei oder eines Kandidaten.
Die Parteibindungen der Wähler gehen seit Jahren zurück und die Wechselwähler nehmen zu. Dennoch: im Zweifelsfall sind die Parteien auch heute noch eine Art Kompass, um sich in einem Kandidaten-Feld zu orientieren. Aber da haben es die Dresdner dieses Jahr schwer. Außer bei OB Herbert Wagner weiß man nicht so recht, welche Partei - und damit auch welche Ideologie - hinter den Kandidaten stehen. Wie einhellig unterstützen die PDS-Wähler Roßberg und wie verbunden muss er sich im Falle seiner Wahl der Partei selbst fühlen? Wer ist der Wolfgang Berghofer des Jahres 2001? Repräsentant der "guten alten Zeiten" oder dynamischer Macher der Marktwirtschaft, als der er sich präsentiert?
Auf diese Fragen gibt unsere Umfrage keine Antwort. Aber wir wissen, welche parteipolitischen Lager welchen Kandidaten präferieren. Danach gelingt es Roßberg das Reservoir der SPD-Wähler und der Wähler der Bündnisgrünen weitgehend auszuschöpfen: 74 Prozent der ersten und sogar 79 Prozent der zweiten Wählergruppe wollen ihn wählen. Von den PDS-Wählern sagen das nur 53 Prozent, obwohl die Partei Roßberg offiziell unterstützt. Dafür wollen ihn aber sogar zwölf Prozent der CDU-Anhänger unterstützen - etwa der gleiche Anteil, den sich Wagner aus dem SPD-Lager holt und der ihm deshalb nicht weh tun wird.
Und was ist mit Berghofer? Sein Klientel sind bisher nur die PDS-Anhänger. Von ihnen will ihn jeder Dritte wählen - der Grund, warum Roßberg hier nur auf 53 Prozent kam. Aus diesem Grund sind die Berghofer-Wähler auch im Durchschnitt älter als die Wähler Wagners und Roßbergs. Der Ex-OB scheint also vor allem dort erfolgreich zu sein, wo er es nicht will - bei den Älteren und eher Rückwärtsgewandten.
Für das Lager von Roßberg bewahrheitet sich aber, was es befürchtete. Berghofer wildert in seinem Revier! Von denjenigen, die jetzt für Berghofer stimmen wollen, kommt auf drei Wähler, die im ersten Wahlgang Roßberg die Stimme gaben, nur einer, der zuvor Wagner gewählt hatte. Bisher hat Berghofer noch keinen Wahlkampf gemacht. Und wir vermuten, dass sich zu ihm - wegen der alten Zeiten - im Interview weniger Wähler bekennen als zu den anderen Kandidaten. Er wird also sehr wahrscheinlich am Sonntag mehr Stimmen bekommen als jetzt gemessen. Auch das ist - eben so wie die Mobilisierung der Anhängerschaft - Wagners Chance und Roßbergs Risiko.
(Wolfgang Donsbach)