Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 12.05.2001
"Über Ingrid lässt er nicht mit sich reden"
Schevenstraße 1992: So aktuell wie heute - Die Wohnfläche heruntergerechnet? - Quälende Debatte um Biedenkopf-Affäre
DRESDEN. Es war ein Versuch, doch der blieb für einen Befreiungsschlag untauglich. Kurt Biedenkopfs Presse-Auftritt reichte bestenfalls für einen kurzen Aufschub. Am Mittwoch zerrt ihn die PDS vor das Parlament. Die Vorstellung, über seine persönlichen Wohnverhältnisse den bisher verachteten Genossen Auskunft geben zu müssen, muss den eitlen Regenten erschaudern lassen. Nichts hasst der mehr als die Fortsetzung seiner Demontage in überregionalen Medien. Dass damit der Glanz, der bisher durch ihn auf Sachsen abstrahlte, sich zur Belastung umkehren könne, ist eine Befürchtung, die auch die CDU umtreibt.
Um die Solidarität seiner Partei wird Biedenkopf bei der Sondersitzung des Landtages allerdings nicht fürchten müssen. Die CDU werde "diesen Unsinn ablehnen", ließ Fraktionschef Fritz Hähle verlauten. Aber auch Hähle weiß um die negative Imagewirkung. Schließlich mussten andere Politiker schon geringerer Vorwürfe wegen gehen. Doch das war im Westen. Dankbarkeit und Harmoniebedürfnis sind hierzulande noch stärker ausgeprägt.
„Beim Volk ist der quirlige Professor beliebt, Biedenkopfs öffentliche Auftritte besitzen fast eine religiöse Dimension", schrieb der Spiegel im Januar 1992. Weiter heißt es: "In seinem persönlichen Umfeld duldet Biedenkopf nur Verehrer. Nörgler sind ihm, dem Dauernörgler, zuwider. Freiwillig teilt Kurt der Starke seine Macht mit niemanden - außer mit Ehefrau Ingrid ... Selbst die Biedenkopf-Fans in der Regierung sind empört über den Freiraum, den er seiner Frau lässt. Er lasse über Ingrid einfach nicht mit sich reden."
Nicht viel geändert hat sich neun Jahre später an diesem Zustand. Einziger Unterschied: Der Monarch steht im Herbst seiner Macht, und in seinem Umfeld herrscht Sorge, wie lange "er sich das noch antut".
Schließlich sei Biedenkopf kein Roland Koch. Der hessische Ministerpräsident habe seine politische Zukunft noch vor sich. Dagegen gehe es für Biedenkopf nun darum, einen Abgang aus Sachsen mit Würde zu gestalten und so viel wie möglich von seinem politischen Erbe in eine geeignete Nachfolge zu übergeben. Die Vermutung, dass der Ministerpräsident mehr von den Einzelheiten seines Mietvertrages in der Schevenstraße gewusst hat und Einfluss genommen habe, dass die Größe seiner Wohnung von 185,7 auf 155 Quadratmeter ebenso heruntergerechnet wurde wie die Höhe der Betriebskosten erhärtet sich mittlerweile. Regierungssprecher Michael Sagurna legte gestern ein Schreiben von Ex-Finanzstaatssekretär Carl vom 4.7.1997 vor, in dem dieser die Größe der Wohnung mit 185,7 Quadratmeter angab. Die Flächenberechung sei im Einvernehmen mit der Staatskanzlei erfolgt.
Biedenkopf hat das offensichtlich nicht akzeptieren wollen. Der Brief enthält jedoch kein einziges Wort über das Dienstpersonal in der Schevenstraße. Es sei eine Frage des Anstandes gewesen, sagte Sagurna, den Ministerpräsidenten auf Klippen aufmerksam zu machen. lm Finanzministerium habe es „dramatische Kommunikationsprobleme zwischen der Steuer- und Liegenschaftsabteilung gegeben."
(Hubert Kemper)