Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 26.05.2001

In Blau und Gelb mit Rot durch die Neustadt

OB-Kandidat Ingolf Roßberg probt auf der Straße den Parteien-Spagat
 
DRESDEN. Worin, guter Mann, besteht Kommunalpolitik? Na darin, den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen, um es ihnen nach Abzug der Verwaltungskosten mit großer Geste zurückzureichen." Ingolf Roßberg weiß die Lacher auf seiner Seite. Lässig lehnt der OB-Kandidat an einem Zaun vor der "Scheune". Keine Bühne, kein Mikro, wie sein Konkurrent Wagner. Nur ein rotweißer Schirm mit Partei-Emblem erinnert daran, dass er mit der SPD auf Wahlkampf-Trip ist.

Diesmal zieht der 40-Jährige durch die Neustadt. Vorbei an den Punkern in der Alaunstraße („Schlimm, aber wo sollen die sonst hin?"), an beschmierten Hauswänden und breitgetretenen Hundehaufen. „Ich wohne selbst auf der Bautzener", gibt er nicht ohne Stolz zum Besten und verspricht: „Als OB sorge ich dafür, dass die Neustädter vor Entscheidungen gefragt werden. Dem Horst, dem oben zwei Schneidezähe fehlen, scheint das zu wenig. „Was gedenken Sie denn mit der Königsbrücker Straße zu tun?", will er wissen. "Die Planungen von 1996 wieder aus der Schublade ziehen“, entgegnet Roßberg wie aus der Pistole geschossen. Die Frage kam heue schon öfter. Bereits vor Jahren, erklärt er, hätte man ein extra Gleisbett für Bahnen, zwei überbreite Autospuren sowie Rad- und großzügige Fußwege konzipiert. Für wichtiger als die Anzahl der Fahrspuren halte er den Ausbau der Kreuzungen. Nicken in der Runde. "Der sagt, was er denkt, auch wenn er dafür von seinen Parteifreunden Dresche bezieht", meint Peer Oheler, der als Neustädter SPD-Orts-Chef zum Begleit-Team gehört. Mit den Stimmen von Roßbergs FDP ist im Stadtrat gegen den Willen von Anwohnern eine vierspurige Königsbrücker durchgedrückt worden.

„Und wann kommt endlich die Waldschlößchenbrücke?", fragt ein neugierig stehengebliebener Passant, als hätte Roßberg die Geschicke der Stadt längst in der Hand. Der Kandidat gerät ins Schwitzen, zieht die schwarze Anzugsjacke aus. Darunter das obligatorische blaue Hemd mit gelbem Schlips – FDP-Farben, wie die unterstützende SPD mehrfach mokierte. Roßberg zuckt mit den Schultern: „Meine Frau findet, das steht mir am Besten!" Und deshalb bleibe er dabei.

An der Waldschlößchenbrücke, versichert der Herausforderer, rüttle er nicht mehr. Allerdings wolle er die Kosten deckeln. Fragende Blicke. „Für 284,5 Millionen bauen andere eine Alpen-Unterquerung", sagt er. Deshalb müsse man an Tunnel und Gradiente der Brücke nochmal ran. 2004 könne trotzdem alles fertig sein. Zuhörer Thomas Friedländer ist's zufrieden: "Der hat eine gewisse Gradlinigkeit, eine Hemdsärmligkeit, die er von Politikern nicht kenne", sagt er. Das gefalle ihm. Neustadt-Bewohner Max Haschenz bleibt skeptisch. „Was nützt es, wenn Sie als OB viel Gutes wollen, die CDU aber das Land regiert", sagt er zu Roßberg. Das bringe doch nur Probleme. Der Kandidat schüttelt den Kopf: "Ein OB hat eine Macht, von der Dresden noch nicht viel spürt", sagt er. Der Stadtrat komme nur alle drei Wochen zusammen. Entscheidend sei doch, was dazwischen passiere.

Die Uhr mahnt, der OB-Anwärter muss weiter zur nächsten Station - Kinderspielplatz Böhmische Straße. Seit Wochen hetzt Roßberg von Stadtteil zu Stadtteil. Fünf bis sechs Termine bongt die Bürgerinitiative "OB für Dresden" täglich für ihn. "Über zwei Kilo hat er dabei schon abgespeckt“, sagt Wahlkampf-Helferin Sabine Friedel. Egal, jede Stimme zähle. Auch die der Mütter, die auf Bänken in der Sonne sitzen und über den Nachwuchs plaudern. Roßberg spielt guter Onkel, verteilt Bälle und Lutscher mit SPD-Emblem. "Hast Du auch noch Schokolade?", fragt ein Stepke. Da muss der Kandidat erstmals passen. Bei der Bürgerinitiative, für die er kandidiert, ist Schmalhans Küchenmeister. Insofern kann er nur hoffen, dass die Parteien fürs Sponsoring genug abwerfen.

Auch auf der Böhmischen Straße wieder die üblichen Fragen: Wie er den Parteien-Spagat hinkriegen wolle („Sach-- vor Parteipolitik"), ob er sich eine autofreie Neustadt vorstellen könne ("Nein“). Die Volks-Nummer kommt an. "Dass Roßberg an die Brennpunkte geht, finde ich toll", sagt Annett Mordt, Psychologin im Erziehungsjahr. Dresden sei in eine fürchterliche Lethargie
verfallen. Vom neuen Mann der Rathaus-Spitze erhoffe sie sich Schwung und jugendliche Frische.

Nach drei Stunden Bad in der Menge zündet sich Roßberg ein Zigarillo an. „Meine Lieblings-Marke Kaffee Creme kann ich erst Mittwoch auf der Wilsdruffer Straße abholen“, sagt er. Die gebe es nur auf Bestellung. Ins Wahlkampfbüro geht's mit einem geliehenen Skoda zurück. Andere namhafte Hersteller hatten Roßberg einen Korb gegeben. Ihnen war seine Politik nicht autofreundlich genug.

Roßbergs Schwiegermutter, die in Pieschen lebt, fiebert trotzdem optimistisch dem Wahltag entgegen: "Soviel, wie der Ingolf investiert, da muss er einfach gewinnen!"
(Katrin Saft)