Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 31.07.2001
Die Macht fern am Horizont
Sachsens Sozialdemokraten stecken seit elf Jahren in einer Formkrise / Berlin macht Druck: 2004 muss es klappen
Juni 2000, SPD-Landesparteitag in Chemnitz. Nach zwei verlorenen Landtagswahlen war es Monate zuvor zum Fiasko gekommen. Nur noch 10,7 Prozent der Sachsen machten beim dritten Versuch ein Kreuz hinter der SPD. So wenig Stimmen gab es für deutsche Sozialdemokraten noch nie. Von der PDS (22,2 Prozent) locker abgehängt, die erneut mit absoluter Mehrheit regierende CDU fern am Horizont. Eigentlich konnte es in Sachsen nur bergauf gehen. Kanzler Gerhard Schröder schüttelte also der frischgewählten Landesvorsitzenden Constanze Krehl kräftig die Hand.
Ein Jahr später ist das Ende der Talsohle noch immer nicht erreicht. Es sei halt "viel intensive Kleinarbeit notwendig, um die CDU-Strukturen aufzubrechen", resümiert heute die 44-jährige Parteichefin. Doch sie pocht auf wichtige Erfolge. Mit der parteilosen Petra Köpping im Kreis Leipziger Land - deren SPD-Eintritt von den Sozialdemokraten inzwischen ungeduldig herbeigesehnt wird - siegte erstmals seit 1990 kein CDU-Kandidat beim Kampf um die Landratsposten. In der Landeshauptstadt Dresden setzte sich mit Ingolf Roßberg ein von der SPD unterstützter Mehrparteien-Kandidat durch. Über Leipzig, Chemnitz und Görlitz weht das Fähnchen der Sozialdemokraten.
Zwischenziel verfehlt: Nur wenige rote Rathäuser
Mit der Prognose, dass die SPD zweitstärkste Partei in den Kommunen wird, lag die studierte Informatikerin allerdings daneben. Auch nach den Juni-Wahlen stellt die nicht im Landtag vertretene FDP (1,1 Prozent 1999) mehr Bürgermeister als SPD und PDS zusammen.
Dass frischer Wind überfällig ist, weiß man in der "Sachsen-Kampa", wie die Dresdner Landesgeschäftsstelle in Anlehnung an die 98er Bundestagswahlkampfzentrale der SPD getauft wurde. Doch für die schnelle Genesung der hiesigen Sozialdemokratie fehlen nicht zuletzt die Mitglieder. Mit 5 500 Parteibüchern ist man längst Deutschlands schwächster Landesverband. Trotzdem zeigte die Trendnadel kürzlich wieder nach unten. "Wir brauchen die Jugend, Geld und effektivere Strukturen", zählt die Landeschefin auf. Einen Schub werde es aber erst nach einem richtigen Wahlerfolg geben.
Warum es bisher nicht klappt in Sachsen? "Bayerische Verhältnisse eben", wird in den meisten SPD-Unterbezirken häufig mit den Schultern gezuckt. Mitunter hadert die Basis aber auch kräftig mit dem eigenen Personal. Der schwergewichtige SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der zuletzt durch Dauerattacken gegen CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf auffiel, sei doch heute in der Öffentlichkeit bekannter als die meisten Spitzengenossen, wird im Dresdner Unterbezirk kritisiert. "120 Kilo machen bereits die halbe SPD-Opposition aus."
Ins Visier der Unzufriedenen rückt dabei immer mehr die eigene "Viererbande", wie die kleine Gruppe der SPD-Hoffnungsträger in Sachsen bezeichnet wird. Neben Krehl gehören dazu der Fraktionschef im Landtag, Thomas Jurk, der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee und der aus Sachsen stammende Ostbeauftragte der Bundesregierung, Rolf Schwanitz. Das Quartett agiert auf der politischen Bühne viel zu vorsichtig und zu isoliert, heißt es selbst bei Mitgliedern des SPD-Landesvorstands. Auf einen Fahrplan zur Macht konnten sich die Spitzengenossen, die sich im Vorfeld der Landtagswahl 2004 bisher in respektvoll-neidischer Konkurrenz belauern, tatsächlich nicht einigen. Die Option auf ein rot-rotes Bündnis musste die SPD-Landesvorsitzende jetzt erst einmal öffentlich ausschlagen. Ein extra von der neuen PDS-Landeschefin vorgeschlagenes Sondierungsgespräch im September wird es nicht geben, bestätigt Constanze Krehl.
Kurs und Spitzenkandidat sorgen weiter für Rätsel
Vor allem Wolfgang Tiefensee soll sich gegen ein Bündnis mit der PDS gestellt haben. Und sein Veto hat Gewicht. Parteivorsitzende Krehl, die ihre prinzipielle Bereitschaft für eine künftige Spitzenkandidatur seit langem erklärt hat, muss zuvor immer noch auf die Entscheidung von Leipzigs Oberbürgermeister warten, der vielen Sozialdemokraten als die eigentliche Trumpfkarte für 2004 gilt. Der noch bis 2005 im Amt bestätigte OB hält sich allerdings stoisch bedeckt. "Wenn die nicht bald die Hierarchie klären, wird das alles wieder nichts", befürchten besorgte SPD-Mitglieder. Erkannt hat das offenbar auch die Berliner Parteizentrale, die die erfolglosen sächsischen Genossen seit Monaten immer mehr ans Gängelband nimmt. Wichtige Personalentscheidungen - wie Anfang des Jahres die OB-Kandidatur in Dresden - fallen inzwischen kaum noch, ohne das zuvor SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gefragt wurde. Der Einfluss des Berliner Paten dürfte zunehmen, je wichtiger für die Bundespartei nach der Bundestagswahl 2002 künftige Bündnisse in Sachsen werden.
Bis dahin muss die sächsische Vorsitzende weiter "Kärrnerarbeit" verrichten, wie Krehl ihren Job selbst beschreibt. Im Herbst will sie ein neues Strategiepapier vorlegen. "Wirtschaft und Bildung sind Themen, die wir stärker besetzen müssen." Und Constanze Krehl will wieder antreten. "Ich werde beim nächsten Wahlparteitag erneut kandidieren." Ein Gegenkandidat ist bisher ohnehin nicht in Sicht. Sollte der noch auftauchen und nicht Tiefensee, Jurk oder Schwanitz heißen, wird es schwer für ihn. Dass der Landesparteitag just im Sommer 2002 - kurz vor der Bundestagswahl - stattfindet, halten Krehl-Kritiker nämlich für keinen Zufall. "Wer kann es sich zu dem Zeitpunkt leisten, öffentlich Kritik an den eigenen Leuten zu üben?" Nach Aufbruchstimmung klingt das nicht. Eher nach Abwarten, was künftig noch aus Berlin und Leipzig kommt.
(von Gunnar Saft)