Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 08.02.2001

Konrad Adenauers schwarze Kasse

Selbstbedienung, Insidergeschäfte und Raffgier: Neues über den christlichen Politiker / Gesammelt von Werner Rügemer
 
Am 5. Januar jährte sich der 125. Geburtstag von Konrad Adenauer.

Rückblenden allenthalben. Helmut Kohl kann als Teil der "CDU-Leitkultur" nicht mehr gut präsentiert werden, dafür der Gründungsvater der CDU und der erste Bundeskanzler der BRD scheint’s um so mehr. Während die Kölner Stadtverwaltung einen "Konrad-Adenauer-Wanderpfad" gestaltet, wurden erstmalig Fakten aus Adenauers Kölner Oberbürgermeister-Tätigkeit bekannt, die ein neues Licht auf die Mythenbelebung werfen.

Am 18.9.1917 wurde der langjährige erste Beigeordnete Konrad Adenauer zum Kölner Oberbürgermeister gewählt. Zur Beruhigung des Publikums stimmte er einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom selben Tag zu. Danach war der OB verpflichtet, alle Tantiemen an die Stadtkasse abzuliefern, wenn er "als Vertreter der Stadt zum Mitgliede des Aufsichtsrates oder Vorstandes einer Erwerbsgesellschaft bestellt werden sollte". Der tiefkatholische Zentrumspolitiker ließ zwei Monate später den Beschluss abändern, was umso leichter fiel, da auf Grund des preußischen Dreiklassenwahlrechts im Stadtrat noch keine Sozialdemokraten oder andere lästige Vertreter sozialer Interessen saßen.

Am 23.11.1917 wurde das Gegenteil beschlossen: "... steht die hieraus aufkommende Vergütung zur freien Verfügung des Oberbürgermeisters." Es wurde zwar nebulös festgelegt, das Geld solle "zum Wohle der städtischen Beamten" verwendet werden, aber für alle Fälle hieß es: "Eine Rechnungslegung findet nicht statt."

1.

Schwarze Kasse Auf dieser Grundlage glitt der neue OB skrupellos vom Legalen zum Illegalen. Er ließ das Konto "Dispositionsfonds" einrichten. Darauf lenkte er die erheblichen Summen, die ihm von seinen Aufsichtsratsmandaten zuflossen. 14000 Mark jährlich kamen von der Provinzial Feuerversicherung. Das schon damals mächtige Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) überwies Adenauer jährlich ebenfalls etwa 14000 Mark, manchmal auch 19000. Die schwarze Kasse wurde von Geschäftspartnern auch direkt aufgefüllt. So spendete Direktor Dr. Brüning von der Kölner Filiale der Deutschen Bank 30000 Mark in den Fonds, versehen mit dem unnötigen Zusatz "zur freien Verwendung". Immer wieder ließ Adenauer sich zwar Beträge zwischen 50 und 150 Mark aus dem Fonds auszahlen, die er dann persönlich an mehr oder weniger Not leidende Beamte überbrachte. Kleine Beamte bekamen kleine Beträge, höhere Beamte bekamen höhere Beträge.

Die meisten Beträge flossen jedoch in andere Richtungen. Rote Rosen für 100 Mark und eine venezianische Vase für 575 Mark für seinen Freund, Geheimrat Louis Hagen vom Bankhaus Sal. Oppenheim, wurden dem Dispositionsfonds ebenso entnommen wie 300 Mark für die Nähstube des Vaterländischen Frauenvereins, dem die Gräfin Schnitzler vom befreundeten Bankhaus J.H. Stein vorstand.

Als Geschenk an den Papst wurde der Prachtband "Der goldene Schrein" für 50 Mark in weißes Leder gebunden. Das Frühstück des Stiftungsrates der Johannes-Fastenrath-Stiftung im Kölner Restaurant "Bastei" ließ Adenauer ebenso aus seinem Fonds bezahlen wie den Lunch mit dem Wallstreet-Banker McKittrick im Berliner Hotel Adlon.

Der Empfängerkreis war zwischen christlichem Traditionsmilieu, Technikfetischismus und Karneval breit gefächert. Die Spitzen des einheimischen Brauchtums durften nicht fehlen, so wurden der Karnevalsgesellschaft Rote Funken erst 25 Flaschen, dann 50 Flaschen des edlen Tropfens "Zeltinger Kirchenpfad" angeliefert.

Besonderes Gewicht legte der Zentrumspolitiker auf die Förderung von militaristischen Vereinigungen und großdeutschen Bestrebungen. Dabei wird nebenbei die Legende widerlegt, Adenauer sei ein "rheinischer Separatist" gewesen. Vor allem war er, spätestens seit Mitte der zwanziger Jahre, ein Großdeutscher.

Für die Kundgebung "Danzig bleibt deutsch" des Vereins für das Deutschtum im Ausland floss aus dem Dispositionsfonds ebenso eine Spende wie für das Wohltätigkeitskonzert zur "Unterstützung Not leidender Kolonialdeutscher in Ost- und Westafrika". Adenauer subventionierte Auslandsvereine wie den Deutschen Schulverein Antwerpen und die Landsmannschaft Eupen-Malmedy-Monschau. Rittmeister a.D. Habermann bekam eine Spende für das "Deutsche Haus" in Olmütz.

Aus dem Fonds bezahlte Adenauer ab 1931 auch das Abonnement der "Deutschen Führerbriefe”, die von seinem Freund Paul Silverberg herausgegeben wurden, Chef der Rheinbraun AG, die für die Beteiligung Hitlers an der Reichsregierung warben. Den Kreuzer "Cöln" hatte Adenauer besonders ins Herz seines Dispositionsfonds geschlossen. Dem Marineverein Köln spendierte er die Fahrkarten zur Taufe des Kreuzers im Mai 1928 in Wilhelmshaven. Der Mannschaft ließ er immer wieder nicht nur Zigarren, Zigaretten, Wein, Bücher und Schallplatten (mit Extrarationen zu Weihnachten) sowie der Schiffskapelle kostbare Noten zukommen, sondern beglückte sie auch mit Freiabonnements des Kölner Stadt-Anzeiger und der besonders nazifreundlichen Kölner Illustrierten Zeitung aus dem Hause DuMont Schauberg. Dem Kommandanten bezahlte er die Rahmung eines Bildes, und für die Gattin legte er ein "Kristall-Flakon" bei.

Hatte schon all das nichts mit dem "Wohl der städtischen Beamten" zu tun, so notierte bei so mancher Barentnahme aus dem Dispositionsfonds der Bürodirektor des OB-Vorzimmers: "1300 Reichsmark abgehoben und dem Herrn OB ausgehändigt. Zweck ist mir unbekannt." Die nicht ausgegebenen Summen standen dem OB ganz "zur freien Verfügung". Die Tantiemen der restlichen, im Lauf der zwanziger Jahre hinzukommenden insgesamt zwölf Aufsichts- und Verwaltungsratsmandate zahlte er meist überhaupt nicht mehr in den Fonds ein, so die Tantiemen der Rheinbraun AG, der Deutschen Lufthansa, der Rhein-Main-Donau AG und der Ruhrgas AG.

2.

"Freies Wohnen" und sonstige Nebeneinnahmen Eine ähnliche Schwankungsbreite zwischen legal und illegal herrschte bei seinem Gehalt. Es war das höchste aller Politiker im deutschen Reich. Das kam vor allem durch die sichtbaren und unsichtbaren Nebenleistungen. Durch Aktienspekulation, Einheirat in die Familie des vorherigen OB Wallraf und durch langjähriges Beigeordnetengehalt war er so vermögend, dass er sich bereits lange vor Amtsantritt als OB in der Max-Bruch-Straße 6 – in bester Lage, Prominentenviertel Lindenthal, direkt am Stadtwald – eine dreistöckige 14-Zimmer-Villa hatte bauen lassen. Trotzdem bestand er auf "freier Wohnung".

Er ließ sich zunächst unter anderem 20000 Mark jährlich für "Licht und Brand" bewilligen, womit – so die wenigen Spötter, die davon überhaupt erfuhren – nach damaligen Preisen ganz Lindenthal hätte beleuchtet und beheizt werden können. Schließlich erhielt der kaltschnäuzige Gehaltsjäger zu seinem Grundgehalt von 36000 Mark jährlich 5250 Mark Orts- und Kinderzuschläge, 10000 Mark Aufwandsentschädigung und noch sage und schreibe 43000 Mark "Wohngeld". Dabei wurden die Aufwandsentschädigung ebenso wie die Hälfte des Wohngelds auf seine Pension angerechnet, stellten also ein verdecktes Gehalt dar, was durch den Stadtverordnetenbeschluss über "freies Wohnen" natürlich nicht gedeckt war.

Für 43000 Mark übrigens konnte man sich damals ein Haus mit sechs Zimmern und Grundstück kaufen, so dass sich der Kölner OB jährlich aus dem städtischen Haushalt den Gegenwert eines ordentlichen Eigenheims schenkte, und zwar 15-mal, denn die Regelung galt bis 1933.

Darüber regten sich vor allem die sozialdemokratischen und christlichen Zeitungen auf. Dabei kannte das Publikum damals die Feinheiten noch gar nicht, mit denen der raffgierige Politchrist das "freie Wohnen" auf die Spitze trieb. Neben dem üppigen "Wohngeld" ließ er sich die Rechnungen für Gas, Wasser und Strom aus der Stadtkasse noch extra ersetzen, wofür die Stadtwerke eigens Rechnungsduplikate an das OB-Zimmer zu schicken hatten.

Überflüssig zu betonen, dass auch die Hausreparaturen – bis zu 15000 Mark im Jahr – aus der Stadtkasse bezahlt wurden. Auch sämtliche Versicherungen – Feuer/Gebäude, Haftpflicht, Diebstahl – wurden aus der Stadtkasse ersetzt. Dasselbe galt für die Grundsteuern und Hypothekenzinsen. Und dasselbe galt schließlich auch für zahlreiche Kleinigkeiten wie die Urlaubs-Reisegepäckversicherung ("zu übernehmen auf Haushaltsplan Zentralverwaltung, Position 42, Sonstiges"), wobei der OB in der Police festhalten ließ, dass die Versicherung auch für alle Familienangehörige gelte, selbst "wenn diese nicht in Begleitung des Versicherungsnehmers reisen".

Als der NSDAP-Nachfolger im OB-Amt, Dr. Riesen, im April 1933 die Reisegepäckversicherung kündigte, stellte der Provinzial-Versicherungsagent Heups, der die Versicherung mit Adenauer abgeschlossen hatte, erstaunt fest, "dass die Prämie offenbar der Stadt Köln zur Last fällt", wovon er keine Kenntnis gehabt habe.

Wenn in der Max-Bruch-Straße "Kanalgerüche im Herrschaftsbadezimmer" das christliche Riechorgan störten oder wenn die Gaskesselanlage ruckelte, ließ der OB die Ingenieure der Stadtwerke antanzen. Das fiel auch deshalb nicht auf, weil gleichzeitig die städtischen Gärtner in Adenauers großem Garten auf Steuerzahlers Kosten das Unkraut jäteten und die Rosen pflegten.

Auch im Rathaus ließ Adenauer durch die städtischen Beamten zahlreiche seiner persönlichen Angelegenheiten abwickeln, obwohl er zu Hause vier Angestellte beschäftigte.

1919 und 1925 kaufte Adenauer zu den 1864 Quadratmetern seines Grundstücks weitere 3051 Quadratmeter an der Kitschburger und der Max-Bruch-Straße von der Stadt hinzu, um ein zweites Haus und einen Tennisplatz anbauen zu lassen. 1932 mahnte das städtische Liegenschaftsamt untertänigst an, dass der Restkaufpreis von 23740 Mark – ein unter dem Marktpreis liegender Freundschaftspreis, den sich Adenauer als Vertreter des Verkäufers selbst genehmigt hatte – immer noch nicht beglichen sei. Adenauer wollte nicht zahlen, ging aber auf das Angebot ein, auf diese Schuld sechs Prozent Zinsen und 1,5 Prozent Stundungszinsen zu zahlen. Die zahlte er zwar tatsächlich an die Stadthauptkasse, interpretierte aber das "freie Wohnen" so, dass er sich die 7,5 Prozent Zinsen umgehend aus eben derselben Stadthauptkasse zurückerstatten ließ.

3.

Insidergeschäfte Zeitweise glich sein Rathaus-Vorzimmer einem Zockerbüro. "Wir machen höflichst darauf aufmerksam, dass unsere Bestände in achtprozentigen Goldpfandbriefen zur Neige gehen und bitten Sie, im Bedarfsfalle möglichst umgehend bei uns oder unseren Niederlassungen Offerten einzuholen", so hieß es etwa in einem Angebot der Deutschen Bank, das im Rathaus umgehend bearbeitet werden musste.

Adenauer unterhielt für seine umfangreichen Deals nicht nur zwei Girokonten bei der Städtischen Sparkasse Köln, sondern Konten und Aktiendepots bei mehreren Banken: C.G. Trinkaus (Düsseldorf), Sal. Oppenheim (Köln), Deutsche Bank (Köln) und Comes. & Co. (Berlin).

Die privaten Aktiendeals ihres OB waren für die städtischen Beamten so normal, dass sie ihm schon mal ein paar Millionen aus der Stadtkasse vorstreckten. So traf am 27.1.1923 mit vertraulichem Schreiben im Rathaus das Angebot der Deutschen Bank über den Bezug junger Aktien der Rheinbraun AG ein, bei der Adenauer im Aufsichtsrat saß. Die 40000 Aktien kosteten 613000 Mark, die Entscheidung musste am selben Tag getroffen werden.

Der Bürodirektor fertigte eine Zahlungsanweisung an die Stadtkasse ("außerordentliche Bedürfnisse"), zwei Tage später meldete die Kämmerei der am höchsten verschuldeten deutschen Stadt Vollzug. Bemerkenswert hierbei ist auch, dass die Verwaltungsspitze der Stadt diesen Rechtsbruch ausnahmslos mittrug – eine Überweisung dieser Größenordnung und Dringlichkeit musste von mehreren Spitzenbeamten abgesegnet werden. Erst drei Monate später ordnete Adenauer an: "Der von der Stadthauptkasse verauslagte Betrag von 613000 M wird dieser aus meinem Girokonto 8080 bei der Städtischen Sparkasse erstattet." Natürlich ohne Zinsen. Solche Beträge – heute wären das gut fünf Millionen DM – waren auf Adenauers Girokonto ohne Schwierigkeit verfügbar.

Gleichzeitig wusste der christliche Politiker auf den damaligen Katholikentagen geläufig gegen "Materialismus und Mammonismus im deutschen Volke" zu wettern und den "Schwund des Religiösen" zu beklagen.

Den Höhepunkt erreichte der vermutlich ranghöchste deutsche Aktienspekulant – er war nach Reichspräsident und Reichskanzler der dritte Mann im Staate – mit den Glanzstoff-Aktien. Er war befreundet mit Fritz Blüthgen, Generaldirektor der Glanzstoff AG. Im Gewerbegebiet Köln-Niehl, von Adenauer forciert, ließ die Glanzstoff AG ein Zweigwerk für die Produktion der gerade erfundenen Kunstseide errichten. Bei einem Bankett im Rathaus, Februar 1928, berichtete Blüthgen, dass Glanzstoff zwei amerikanische Holdings gegründet habe. Ihren Aktien stehe eine glänzende Entwicklung bevor. Blüthgen verfügte über einen "Sonderfonds" in Amsterdam. Da dem OB noch eine Million Reichsmark zu den notwendigen 2,8 Millionen für 7000 Stück fehlten, sprang Anton Brüning von der Deutschen Bank ein, in deren Aufsichtsrat der Kölner OB gerade eingerückt war. Brüning gewährte ihm einen Kredit über 1,18 Millionen, und Adenauer kam über Blüthgens schwarzen Topf an die 7000 Aktien, zum Vorzugspreis.

Wie es sich für ein ordentliches Insidergeschäft gehört, handelte auch Brüning nicht uneigennützig. Er hoffte darauf, der überschuldeten Stadt einen weiteren Kredit für Adenauers Renommierprojekt Universitätsneubau anzudrehen. Mit diesem Projekt erhoffte wiederum der OB, seine im November 1929 anstehende Wiederwahl abzusichern. Doch es kam anders als erwartet. Der Aktienkurs stürzte von 99 auf 25 Dollar ab – Börsencrash in New York. Die Bank drängte auf Rückzahlung des Kredits. Adenauer wollte nicht zahlen. Er wollte aber auch angesichts der anstehenden Wahl keinen öffentlichen Skandal um seine Aktienspekulation.

Auch die Deutsche Bank wollte keinen Skandal, sondern die Wiederwahl ihres ergiebigen Schuldners. Da die Deutsche Bank Hauptaktionär der Glanzstoff AG war und den Aufsichtsratsvorsitzenden stellte, griff Freund Blüthgen wieder in seinen schwarzen Topf. Er füllte das Depot des Oberbürgermeisters bei der Kölner Filiale der Deutschen Bank mit Aktien im Wert von 1,14 Millionen Mark auf. Dies geschah "leihweise", wie es hieß. Der Skandal war vermieden, die Wiederwahl zum Oberbürgermeister ging, mit knapper Mehrheit, über die Bühne.

Die Insider hielten auch nach 1933 dicht. 1942 aber wurde es brenzlig: Bei der Glanzstoff-Hauptversammlung trat der Aktionär Dr. Kübel auf. Er verlangte, dass Adenauer die leihweise überlassenen Aktien zurückgebe, zumal es sich um eine Bestechung gehandelt habe. Da die Sache publik zu werden drohte, wandte sich Adenauer an Hermann Josef Abs in Berlin. Der war inzwischen Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und Aufsichtsratsvorsitzender von Glanzstoff.

Adenauer ließ den Hauptmann Schliebusch bei Abs vorstellig werden. Schliebusch war mit dem ehemaligen Kölner OB vertraut, war er doch Redakteur der Kölnischen Zeitung aus dem in dieser Hinsicht recht schweigsamen Haus DuMont Schauberg gewesen und hatte zu Adenauers Geldmanipulationen immer brav nichts geschrieben. Schliebusch, nun im Oberkommando der Wehrmacht tätig, überreichte ein Memorandum, in dem Adenauer darlegte, es habe sich zwar um eine Leihgabe gehandelt. Da aber nicht ausdrücklich vereinbart worden sei, dass die geliehenen Aktien auch zurückgegeben werden müssten, "war es augenscheinlich Wille der Parteien, dass ich nichts zurückzugeben brauchte".

Auch die NS-Regierung hielt schützend ihre Hand über den "Widerstandskämpfer". Durch eine geheime Anweisung wurde den Medien dringend empfohlen, "Ausführungen eines Dr. Kübel über zurückliegende interne Vorgänge im Konzern der Glanzstoff-Fabriken nicht zu veröffentlichen". Adenauer durfte die Aktien behalten. Abs wurde zum wichtigsten Finanzberater des späteren Bundeskanzlers und ersten CDU-Vorsitzenden.

4.

Selbstbereicherung, Staatsverschuldung, Christentum Das Insidergeschäft Adenauers ist in den zahl- und umfangreichen Biografien Adenauers bisher nur am Rande und nie vollständig dargestellt worden. Das könnte erstaunen. Denn beim Kauf der 7000 Glanzstoff-Aktien für 2,8 Millionen Reichsmark setzte Adenauer fast sein gesamtes Vermögen ein. Das waren nach heutigen Werten über 20 Millionen Mark. Er war also schon vielfacher Millionär, hatte ein solches Geschäft "eigentlich nicht nötig".

Darüber hinaus ist zu fragen, warum jemand, der sich als besonders wirtschaftskompetent begriff und auch heute noch so bewundert wird, sich auf eine so hochriskante Spekulation einließ. Schließlich zog sich die Auseinandersetzung um Kreditrückzahlung, Entschädigungsforderungen et cetera über zwei Jahrzehnte hin und war auch 1945 nicht beendet.

Korrespondenz, Eingaben, Gutachten füllen zahlreiche Aktenbände und waren Chefsache im Vorstand der Deutschen Bank und der Glanzstoff AG. Trotzdem herrscht allgemeines Schweigen. Die schwarze Kasse und die Selbstbedienung aus dem Stadthaushalt wurden bisher in den Biografien überhaupt nicht erwähnt (mit Ausnahme des Wohngeldes und der Aufwandsentschädigung).

Dieses Schweigen dürfte nicht zufällig sein. Denn ein Verhalten wie das Adenauers war nicht nur sein eigenes, sondern wurde von denen gefördert und praktiziert, die zum "erfolgreichen" kapitalistischen System der zwanziger und dreißiger Jahre gehörten: Banken, Großunternehmen, Börsen.

Der Erfolg schien dem in seinem Milieu der Bankiers, Industriellen, Bischöfe und Spitzenbeamten hoch angesehenen Kölner Oberbürgermeister Recht zu geben. Auch seine gerühmten kommunalpolitischen Glanzprojekte trugen ähnliche Merkmale seines Handelns wie beim Insiderdeal. Auch sie waren nicht von betriebswirtschaftlicher Rationalität, finanzieller Seriosität und sozialer Verantwortung geprägt, sondern von politischem und finanziellem Abenteurertum. Beispielsweise waren die beiden Renommierprojekte "Mülheimer Hängebrücke" und "Neubau der Universität" so terminiert, dass sie genau zum Ende seiner ersten zwölfjährigen Amtszeit 1929 fertig werden sollten, um ihm die Wiederwahl zu sichern. Gleichzeitig glich die Finanzierung einem Vabanque-Spiel (...).

Adenauer war auch Vorsitzender des Verwaltungsrates der Rheinischen Landesbank. Unterstützt wurde er von Bankier Hagen, den er in den Verwaltungsrat geholt hatte. 1931 musste die Bank ihre Zahlungsunfähigkeit erklären und wurde geschlossen. Sie hatte nicht nur überproportional viele Kredite an die Stadt Köln vergeben, sondern auch unseriösen Praktiken zu Gunsten des Kölner Stadthaushalts zugestimmt.

Ähnlich handelte er mit Hilfe seines politischen Einflusses etwa beim damals viel beredeten 10-Millionen-Kredit der Zentralgenossenschaftsbank "Preußenkasse". Dieser angebliche "Überbrückungskredit" hätte von der Preußenkasse nicht vergeben werden dürfen und wurde nicht zurückgezahlt. Adenauer hielt diese abenteuerliche Konstruktion in der Schwebe, bis er, nicht nur in dieser Angelegenheit, durch den Regierungsantritt der NSDAP buchstäblich "gerettet" wurde.

Auch als der Millionenverlust aus dem Insiderdeal feststand, konnte Adenauer keine Fehler bei sich erkennen. Er bereute nichts. Vielmehr beschuldigte er andere, ihn betrogen und falsch beraten zu haben. Wie sein politischer Enkel Helmut Kohl stellte Adenauer sich als Opfer dar, er spielte die verkörperte Unschuld. Dieses Schema wandte er auch auf die Gesellschaft insgesamt an.

1946 erklärte er im Hinblick auf die Weimarer Republik: "Die großen äußeren Erfolge, die schnell zunehmende Industrialisierung, die Zusammenballung großer Menschenmassen in den Städten und ihre damit verbundene Entwurzelung machten den Weg frei für das verheerende Umsichgreifen der materialistischen Weltanschauung im deutschen Volk." Er hätte sich mit der materialistischen Weltanschauung selbst charakterisieren können. Das tat er nicht. Vielmehr klagte er den Nationalsozialismus als Verkörperung dieser materialistischen Weltanschauung an.

Für Adenauer entfalteten die ideologischen und religiösen Bindungen, die er für sich als christlicher Politiker und Verfechter des Rechtsstaates reklamierte, keine Hemmungswirkung gegenüber gesetzwidriger Selbstbereicherung. Damit war er freilich nicht alleine. Vielmehr hatten katholische Theologie und Vatikan die Freibriefe ausgestellt. Papst Leo XIII. hatte in der Enzyklika Rerum Novarum das moderne kapitalistische Privateigentum ebenso wie das Lohnarbeitsverhältnis mit der christlichen Liebe und Gerechtigkeit als vereinbar erklärt. Kritische Stimmen wurden aus der katholischen Lehre verbannt. Das Erzbistum Köln zog 1927 mit seinen "Richtlinien zur sozialen Verständigung" nach: Die Betätigung in der kapitalistischen Wirtschaft wurde den Gläubigen schlechterdings freigegeben, als gottgewollt und tugendgemäß bezeichnet.

Schließlich veröffentlichte der später auch in der CDU maßgebliche Theologe, der Jesuit Nell-Breuning, 1928 seine Schrift "Grundzüge der Börsenmoral". Er bezeichnete zwar die Börse als "Gelegenheit zur schweren Sünde", hielt aber "gegenüber romantisierenden Neigungen gewisser Kreise im katholischen Lager" daran fest, dass eine "positive Börsenmoral" möglich sei. Wie sie aussehen konnte, hat sein Förderer und Freund Konrad Adenauer eindrucksvoll vorgelebt.