Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 04.09.2001
CDU erhöht Druck auf Scharping
Union: Minister ist ein Sicherheitsrisiko / Keine Etat-Klarheit über Politikerflüge
Entgegen den Forderungen aus der Opposition hält Bundeskanzler Gerhard Schröder an Verteidigungsminister Rudolf Scharping (beide SPD) fest. Schröder glaube Scharpings Versicherung, keine Privatflüge auf Kosten des Bundes unternommen zu haben, sagte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye. Die CDU/CSU will über Belege für "politische Alibi-Termine" Scharpings in Frankfurt am Main verfügen, mit denen er Flüge begründet haben soll. Ihr Fraktionschef Friedrich Merz bezichtigte Scharping der Lüge.
BERLIN. Der Kanzler stärkte Scharping am Montag in den SPD-Gremien in Berlin den Rücken, nachdem dieser ihm in einem Gespräch am Sonntagabend versichert hatte, er habe sich der Flugbereitschaft der Bundeswehr korrekt bedient. Scharping hatte zudem bedauert, dass seine privaten Badefotos in der Illustrierten Bunte zeitnah zum Mazedonien-Votum des Bundestags veröffentlicht worden waren. Regierungssprecher Heye sagte, dies sei weder von Scharping veranlasst noch vorhersehbar gewesen. An dem Gespräch hatten auch SPD-Fraktionschef Peter Struck und Generalsekretär Franz Müntefering teilgenommen.
Im Parteirat der SPD gab es am Montag zwar Unmut über Scharping. Sein Verhalten sei aber "kein Grund zum Rücktritt", sagte der Vorsitzende Rüdiger Fikentscher. Führende Sozialdemokraten rechneten nicht damit, dass es in der SPD-Fraktion noch ein Nachspiel für Scharping geben werde. Erwartet wird aber, dass Scharping, der auf dem SPD-Parteitag im November wieder als stellvertretender Parteichef antreten will, dort abgestraft wird.
In der Opposition entzündet sich die Kritik am Verteidigungsminister nicht mehr nur an dessen Mallorca-Flügen sowie an der Inszenierung seines Privatlebens. Auf einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses soll Scharping noch in dieser Woche auch seine Flüge zwischen Berlin und Frankfurt am Main, dem Wohnsitz seiner Lebensgefährtin Kristina Gräfin Pilati, offenlegen. Der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann äußerte die Vermutung, Scharping habe Reisen zu seiner Freundin mit "politischen Alibi-Terminen" verbunden. So habe er als Begründung für die Nutzung der Flugbereitschaft "Gespräche im Römer" angegeben, sagte Austermann der FR. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der CDU-Abgeordnete will "in letzter Zeit eine starke Häufung von Flügen nach Frankfurt" registriert haben.
Ein Sprecher des Verteidigungsministers sagte dazu, er gehe davon aus, dass Scharping "alles belegen" könne. Scharping habe seine Wochenendflüge "variiert", sei also auch des Öfteren mit Linienmaschinen geflogen.
CDU/CSU-Fraktionschef Merz bemängelte, dass aus den Inlandsflügen der Luftwaffe wegen "fadenscheiniger Sicherheitsgründe" ein Geheimnis gemacht werde. Merz erklärte, die Angaben Scharpings zur Nutzung der Flugbereitschaft in diesem Zusammenhang seien nicht glaubwürdig: "Scharping lügt", sagte er.
Ferner warf Merz dem Minister vor, er sei ein "Sicherheitsrisiko" für die Soldaten. Scharping habe auf einer Pressekonferenz in Skopje "leichtfertig den Grenzübergang preisgegeben", über den die Bundeswehrsoldaten aus Kosovo nach Mazedonien einrücken sollten. Nach Angaben des CDU-Verteidigungsexperten Paul Breuer musste die Route deshalb geändert werden. Breuer sagte, "wegen eines Scharping-Geplauders" sei schweres Gerät über eine Passstraße "bei erheblichem Risiko und größten Anstrengungen" transportiert worden. Breuers Fazit: "Scharping gefährdet die Bundeswehr im Einsatz".
Nach FR-Informationen sind unterdessen die Versuche des Bundestags an der Regierung gescheitert, mehr Klarheit in die Flugreisen der Kabinettsmitglieder zu bringen. Im Entwurf für den Bundeshaushalt 2002 finden sich entgegen einem Beschluss des Haushaltsausschusses in den einzelnen Ressortetats keine Ansätze für die Nutzung der Flugbereitschaft. Diese Ansätze hätten die Minister zur Rechenschaft über ihre Flüge zwingen sollen.
(Berliner Büro)