Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 17.10.2001
Kurt Biedenkopf, ein Mensch wie du und ich
Spanplatten und Algenpillen
DRESDEN. Die Dresdner Morgenpost zeigte am Montag auf Seite 15 drei sehr interessante Farbbilder. Auf dem großen Foto schleppt ein kleiner Herr in Jeanshose und blauem Hemd eine weiß beschichtete und offenkundig nicht leichte Spanplatte durch ein Zimmer mit Dachschräge. Auf dem mittelgroßen Bild öffnet der Herr eine Balkontür. Auf dem kleinen reckt er sich, um ein Buch aufs oberste Regalbrett zu stellen.
Kurt Biedenkopf, erfahren die Leser, ist umgezogen und macht sich nützlich: Er packt aus. Aus dem Gästehaus der Landesregierung in Dresden-Loschwitz, in dem der 71-Jährige und seine Frau Ingrid zehn Jahre lang lebten, sind sie nach Radebeul gezogen in die Villa des Tengelmann-Milliardärs Erivan Haub, nachdem es im Frühjahr so viel Ärger gegeben hatte wegen Biedenkopfs Billigmiete, privater Nutzung von Personal und der Fahrten von Ehefrau Ingrid im Dienstwagen. Schließlich präsentierte ihm der Freistaat gar eine Rechnung über 120 000 Mark, die der Ministerpräsident knurrig beglich. Was war das für ein schauderhafter Sommer für den alten Herrn, in dem sich Georg Milbradt aufmachte, um CDU-Landesvorsitzender in Sachsen zu werden und dies dann auch noch schaffte im September, trotz all der miesen kleinen Störmanöver. Ausgerechnet Milbradt, den Biedenkopf im Januar für unfähig erklärt und als Finanzminister gefeuert hatte.
Aber: Krise bedeutet auch Chance, würde Biedenkopf sagen, und so erleben die Sachsen seit Ende September eine neue Seite des Professors. Man könnte sagen, seine Menschwerdung: „König Kurts" Metamorphose zu Kurt Normalverbraucher. Biedenkopf wurde in der Dresdner Ikea-Filiale gesichtet, und Ehefrau Ingrid verriet kürzlich Bild am Sonntag: „Auch bei Aldi sind wir bestens bekannt." Nach dem verkorksten Sommer lassen es die Biedenkopfs in den Boulevardblättern menscheln, dass sich die Balkenüberschriften biegen: Sie gehen einkaufen, suchen Vorhangstoffe aus, verraten seltsamste Essgewohnheiten (Algenpillen ja, Currywurst nie) und Unerhörtes über Kurt Biedenkopfs Ordnungssinn: Er soll einmal einen Kühlschrank aus- und dann akkurat wieder eingeräumt haben. Im Urlaub, einfach so. Außerdem wissen die Sachsen seit kurzem, dass Biedenkopf seine eigene Stimme nicht mag und dass er keinesfalls mit Verona Feldbusch verglichen werden möchte.
Trautes Heim, Glück allein. „Wir erleben beide den beglückenden Prozess der Reprivatisierung unseres Lebens", sagte Ingrid B. der BamS. Aber: Glück und Glas, wie schnell bricht das, sagt ein Sprichwort. Vor allem, wenn ein SPD-Landtagsabgeordneter wie Karl Nolle weiterhin die Wege Biedenkopfs kreuzt. Nolle, ein aus Hannover nach Dresden gezogener Druckereibesitzer, war es, der im Frühjahr mit kleinen Anfragen und großen Beschimpfungen die Gästehaus-Affäre ins Rollen brachte. Der 120-Kilo-Mann lässt den Biedenkopfs keine Ruhe. Nolle behauptet, aus „bestens informierten CDU-Kreisen" erfahren zu haben, dass der Regierungschef gar keine Steuern in Sachsen zahle, sondern in Nordrhein-Westfalen. Was die Staatskanzlei mit Pressemitteilung 196/ 2001 - „Warum lügt Herr Nolle schon wieder?" - beantwortete.
Nolle bohrt und bohrt. Jüngstes Thema:„Ingrid Biedenkopf ist die Königin der schwarzen Kassen." Spenden, Geschenke und Erbschaften, die an Ingrid Biedenkopfs Bürgerbüro flossen, seien in der Staatskanzlei nicht registriert worden. Was wurde daraus? Ferner befasst sich ein Ausschuss mit dem Bürozentrum, das ein Freund Biedenkopfs in Leipzig gebaut hat. Auf Biedenkopfs Betreiben wurden Landesbehörden im Gebäude untergebracht. Ein ehemaliger Liegenschaftsbeamter behauptet, gehört zu haben, Ingrid Biedenkopf sei als stille Gesellschafterin am Projekt beteiligt. Die PDS hat Ingrid Biedenkopf aufgefordert, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, anderenfalls werde man sie im Ausschuss vernehmen. Daraufhin haben die Biedenkopfs einen Anwalt eingeschaltet, um den früheren Liegenschaftsamtschef notfalls vor Gericht zu zerren.
„Opposition muss angreifen", sagt Nolle. „Es ist meine Pflicht als Oppositionsabgeordneter, unangenehme Fragen zu stellen." In den vergangenen Wochen hat er laut geschimpft, aber noch nichts zu Tage gefördert, was die Biedenkopfs in ihrer Radebeuler Idylle in Bedrängnis bringen könnte. Doch Nolle will Weitergraben im öffentlichen und privaten Leben der beiden. Er hat Zeit. Biedenkopf will ja erst 2002 oder 2003 zurücktreten und bis 2004 Abgeordneter bleiben. Nolle sagt, er habe genügend Hinweise, wo sich das Bohren lohne. Und fügt im Ton der Gewissheit hinzu: „Das alles ist noch lange nicht zu Ende."
(Bernhard Honnigfort)