Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 01.12.2001
König Klotz am Bein
Kurt Biedenkopfs Affären und Verstrickungen nehmen bedrohliche Ausmaße für die sächsische CDU an
DRESDEN. Donnerstag früh zerlegten Handwerker mit einem Kran den Goldenen Reiter, eines der Wahrzeichen Dresdens. Zuerst hoben sie August den Starken aus dem Sattel, dann schraubten sie seine Beine ab. Schließlich hob der Kran Kopf und Vorderbeine des Pferdes weg. Dann den goldenen Pferdehintern. Seit 1736 stand das Denkmal dort an der Elbe. Nun wird es repariert. Es ist innen verrostet und drohte umzukippen. Unter den Leuten, die die Demontage verfolgten, stand ein dicker Mann mit blauem Parka, der Dresdner SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle. "Das hat Symbolik", sagte er. "Das wollte ich mir nicht entgehen lassen."
Wie die Handwerker den Goldenen Reiter zerlegten, so ist Nolle seit Monaten dabei, Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf auseinander zu nehmen. Anfangs kläglich, mit mehr Getöse als Substanz. Aber das hat sich geändert. Nolle hat Biedenkopf beim Wickel und deckt eine Hässlichkeit nach der anderen auf. Und Biedenkopf, der zehn Jahre sorgenfrei regierte, hat sich hoffnungslos verstrickt.
Im Frühjahr musste er in einem Untersuchungsausschuss aussagen, der sich mit einem Bürocenter in Leipzig befasst. Das 400-Millionen-Mark-Objekt hat Biedenkopfs Freund, der Kölner Unternehmer Heinz Barth, gebaut. Biedenkopf hat dafür gesorgt, dass Landesbehörden einziehen. Die Opposition verdächtigte ihn, zum Schaden Sachsens gehandelt und schlicht nach der Pfeife des Investors getanzt zu haben. Es gibt einen Vermerk an den früheren Finanzminister Georg Milbradt, in dem Biedenkopf haarklein vorschreibt, welche Behörden wie viel Platz im Haus des Freundes bekommen sollen. Im Ausschuss hatte SPD-Obmann Nolle gefragt, ob Barth dieses Schreiben konzipiert hätte: "Nein, das ist ausgeschlossen", antwortete der Ministerpräsident.
In der vergangenen Woche ist im Landtag ein Aktenpaket eingetroffen, ungefähr 380 Seiten Post aus Köln. Freund Barth hat dem Ausschuss den Stapel geschickt. Ein amtsärztliches Attest hat ihn davor bewahrt, selber erscheinen und aussagen zu müssen. Unter den Papieren findet sich ein Brief, den Barth 1993 an Biedenkopf geschrieben hat, zwei Tage, bevor der den Vermerk an Milbradt anfertigte. Barths Brief sieht fast haargenau so aus wie der Vermerk, stimmt in der Wortwahl beinahe überein. Man muss schon suchen, wenn man kleine Unterschiede finden will.
Für Nolle ist die Sache klar: "Biedenkopf hat den Ausschuss belogen." Der Barth-Brief zeige deutlich, dass der Ministerpräsident wie ein Laufbursche den Willen des Investors erfüllt habe, und das zum Schaden des Landes. Interessant ist die Angelegenheit aber auch, weil dieser Brief an Biedenkopf in den Unterlagen der Regierung, die dem Ausschuss übergeben wurden, nicht zu finden ist, obwohl Biedenkopf dort erklärt hatte, es sei "überhaupt nichts vorenthalten worden". Bemerkenswert ist auch die Passage über das Ankaufsrecht des Freistaats: Barth schreibt an Biedenkopf, der Preis sei die 15fache, mindestens aber 13fache Jahresmiete. In Biedenkopfs Vermerk an Milbradt ist nur noch von der 15fachen Jahresmiete die Rede. Sachsens Steuerzahlerbund warf Biedenkopf daraufhin eine klare Verletzung seiner Amtspflichten vor.
In der sächsischen CDU beobachtet man Biedenkopfs Verstrickungen mit zunehmender Sorge. "Der reißt uns noch alle in den Abgrund", sagt ein Dresdner Christdemokrat mit Blick auf die Landtagswahl 2004. Biedenkopf, der der CDU dreimal die absolute Mehrheit sicherte, ist für die erfolgsverwöhnte Partei längst ein Klotz am Bein. Und der wird schwerer, je mehr Nolle zu Tage fördert. Darunter sind dicke Brocken, wie die "Lüge" vor dem Ausschuss, aber auch beschämende Kleinigkeiten: Nach der Niedrigmieten-Affäre im Sommer hatte Biedenkopf Besserung gelobt und versprochen ("alles zu meinen Lasten"), eine höhere Miete zu zahlen. Später stellte sich heraus: bloßes Gerede. Er hat es nie getan. "Was für ein kleinkarierter Geizkragen", polterte Nolle. "Kein Zufall, dass sie ihn in der nordrhein-westfälischen CDU Honorarprofessor nannten."
Die Demontage des goldenen Reiters Biedenkopf, die immer mehr ein Akt der Selbstzerstörung ist, wird weitergehen. Die Affären um günstige Mieten im Gästehaus der Landesregierung, sächsische Personenschützer im Privathaus in Bayern, die hemmungslose Nutzung von Dienstfahrzeugen durch Ehefrau Ingrid - all das ist ja nicht ausgestanden. Nichts ist ausreichend geklärt, und Nolle hat noch tausend Fragen. Es gibt offensichtlich genügend frustrierte Regierungsmitarbeiter, gedemütigte Personenschützer oder CDU-Leute, die die Nase gestrichen voll haben und Nolle mit all dem Unrat füttern, den der Hofstaat über Jahre fabriziert hat.
Nolle wird nie aufhören. Der Druckereibesitzer, der aus Hannover nach Dresden kam, hat seine Lebensrolle gefunden. Er hält das "System Biedenkopf" für so verrottet und korrupt, wie der Goldene Reiter innerlich verrostet ist. Er wird weiterhin Anzeigen erstatten gegen Biedenkopf und seine Ministerriege, er wird nicht aufhören, zu recherchieren und wüste Pressemitteilungen zu schreiben. Er wird wohl auch weiter fündig werden. "Bis 2004, wenn nötig", sagt er. "Bis der Kerl weg ist."
Sachsens CDU und die Landtagsfraktion gucken dem Treiben gebannt zu und halten sich mit Angriffen gegen Nolle auffällig zurück. Landeschef Georg Milbradt, der von Biedenkopf als Finanzminister gefeuert und dann gegen dessen Willen zum Parteichef gewählt wurde, schweigt. Biedenkopf beharrt stur auf seinen Thron. Den Zeitpunkt, an dem er als strahlender König Kurt hätte in Pension gehen können, hat er verstreichen lassen. Die CDU braucht ihn nicht mehr, aber keiner will Königsmörder sein. Es ist ein hässliches Schauspiel, das in Dresden gegeben wird.
Etliche Christdemokraten hoffen auf den Genossen Nolle und dessen zunehmend erfolgreiche Abrissarbeiten am Denkmal Biedenkopf. "Wie müssen abwarten", sagt ein Dresdner Unionsmann bitter lächelnd. "Der Leidensdruck ist wohl noch nicht hoch genug."
(Von Bernhard Honnigfort)