Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 15.12.2001

Milbradt wird aus "König Kurts" Fall kaum Nutzen ziehen

Der vorgesehene Nachfolger Biedenkopfs hat sich durch Ungeduld die Sympathien seiner CDU-Fraktion verscherzt
 
DRESDEN. Die Redeschlacht im Dresdner Landtag war vorüber. "Sie werden nicht in der Lage sein, meine Ehre kaputtzureden", hatte Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf am Freitag der Opposition zugerufen.

Er hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen: Nein, er habe nicht gelogen. Er habe seinen Freund Heinz Barth, der in Leipzig ein große Bürozentrum baute, bei den Verhandlungen nicht begünstigt. Folglich sei dem Land auch kein Schaden entstanden.

Die Opposition war bei ihren Vorwürfen geblieben: Er sei ein Lügner, er habe dem Freund eine goldene Nase beschert, er solle endlich zurücktreten. Ein sozialdemokratischer Abgeordneter wedelte sogar mit einer Ikea-Tasche.

All das war vorüber, als ein Dresdner CDU-Mann in der Landtagskantine einen Witz erzählte. Wieso Biedenkopf noch nicht zurückgetreten sei? "Weil Ingrid noch nicht mit ihren Weihnachtseinkäufen fertig ist." Das Witzchen erzählt wohl am besten, wie es derzeit aussieht in der erfolgsverwöhnten Sachsen-CDU: Biedenkopf wird untergehen in Klamauk.

Die Stimmung bei den Christdemokraten? Galgenhumor, Entsetzen über immer neue Einkaufsgeschichten Ingrid Biedenkopfs. Die Nerven liegen blank, aber was tun? "Es ist kritisch", sagte ein Abgeordneter. Die CDU steht nicht mehr hinter Biedenkopf, will ihn aber auch nicht aus dem Amt jagen.

Wer aber gedacht hatte, die Dinge liefen auf Georg Milbradt zu, den CDU-Vorsitzenden, der erlebte seine Überraschung. Monatelang hatte Milbradt, der von Biedenkopf Anfang des Jahres als Finanzminister entlassen worden war, den Mund gehalten und sich systematisch zum Parteichef hochgearbeitet. Er habe so manches Pfund Gewicht verloren, aber nie ein böses Wort, hatte Milbradt stets gesagt.

Am Donnerstag müssen ihm die Nerven durchgegangen sein, nachdem Fraktionschef Fritz Hähle verbreitet haben soll, Milbradt habe Biedenkopf zum Rücktritt aufgefordert. Vor den Augen von Oppositionspolitikern, die sich vor Lachen krümmten, raunzte er Hähle im Landtag an. Und in einer Fraktionssondersitzung, so wird berichtet, habe Milbradt herumgebrüllt, dass man es noch im Flur gehört habe. Es reiche ihm jetzt. Er habe lange genug Kreide gefressen.

Anstatt auszuharren, bis Biedenkopf weg sei, habe er gezeigt, dass er es nicht abwarten könne, hieß es am Freitag aus der Fraktion. Ein CDU-Mann jammerte: "Ich weiß gar nicht, wie man das wieder einfangen soll. Der hat in zehn Minuten zerstört, was er in zwölf Monaten aufgebaut hat."

Mit großem Unbehagen hat man in der Fraktion auch zur Kenntnis genommen, dass die neuesten Schnorrer-Vorwürfe gegen Ingrid Biedenkopf ausgerechnet aus Kamenz kommen, wo Milbradt seinen Wahlkreis hat. Die FAZ hatte berichtet, Biedenkopfs Frau habe auf einem Markt in Kamenz Honig und Töpferwaren für 200 Mark erworben, ohne dafür zu zahlen. Die Händlerin habe sich an CDU-Landrätin Andrea Fischer gewandt, eine enge Vertraute Milbradts, der die Sache "in hohem Maße peinlich" gewesen sei.

Biedenkopf hat sich am Freitag dazu geäußert. Es seien nur drei Honigtöpfe gewesen: "Der Betrag ist überwältigend, 26,50 Mark." Seine Frau habe damals kein Geld dabei gehabt, die Landrätin habe erklärt, sie mache das.

"Was für eine Chaos", klagte ein Abgeordneter. Biedenkopf, der jetzt einen Rücktritt vor der Bundestagswahl nicht mehr ausschließt, werde vermutlich im Frühjahr gehen. Und Milbradt, der Hoffnungsträger, habe sich um die Mehrheit in der Fraktion gebracht.
(von Bernhard Honnigfort, Dresden)