Karl Nolle, MdL
DIE WELT, 11.12.2001
Biedenkopfs letzte Chance auf einen würdigen Abgang
Affären und Allüren: Der sächsische Regierungschef demontiert sich selbst. Wachsender Unmut in Partei und Fraktion
Dresden - In gut einem Monat, am 28. Januar 2002, feiert Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) seinen 72. Geburtstag. Das Datum sehnen sich mittlerweile nicht wenige Christdemokraten im Freistaat herbei. Ihre insgeheime Hoffnung: Vielleicht nutzt "König Kurt" den Tag als Anlass, um seinen Rückzug vom Posten des Regierungschefs zu verkünden. "Das könnte dann noch ein würdiger Abgang werden", wird hinter den Kulissen gemunkelt.
Solche Gedankenspiele, die in Dresden gegenwärtig Hochkonjunktur haben, belegen: Selbst in den eigenen Reihen wird Biedenkopf zunehmend als Belastung empfunden. Der Professor, der sich im letzten Jahrzehnt große Verdienste um den Aufbau in Sachsen erworben hat, lässt immer häufiger politischen Instinkt und das Gespür für die Realitäten vermissen. Wie etwa bei seiner Schnäppchentour im rabattresistenten Möbelhaus Ikea, wo er jüngst gemeinsam mit Gattin Ingrid nach langem Gezeter an der Kasse und in der Chefetage für einen 850-Mark-Einkauf einen Nachlass von 15 Prozent durchsetzte.
"Kann es sein, dass Geiz dumm macht", fragte "Bild"-Kolumnist Franz Josef Wagner daraufhin am Montag und verwies die Biedenkopfs auf ihr "einschlägiges Vorleben als Schnorrer". Der Vorfall, der für ein verheerendes Medienecho sorgte, lässt manchen in der mit absoluter Mehrheit regierenden CDU die Hände ratlos über den Kopf zusammenschlagen. Schon den Sommer über hatte die Familie Biedenkopf mit ihrer Wohn-, Putz- und Dienstwagenaffäre Partei und Fraktion in eine Dauerdefensive gebracht. Kaum geriet die Sache halbwegs aus den Schlagzeilen, begann das Reizwort "Paunsdorf" für neue Unruhe zu sorgen.
In dem Leipziger Stadtteil hat ein Duzfreund des Regierungschefs, der Bauunternehmer Heinz Barth, ein Büro- und Einkaufscenter errichtet. Das Vorhaben ist von Biedenkopf, das belegen nun aufgetauchte Dokumente, erheblich protegiert worden. Zuvor in einem Untersuchungsausschuss des Landtags darauf angesprochen, hatte Biedenkopf eine Einflussnahme noch beleidigt bestritten. Nun muss er am 10. Januar zum zweiten Mal vor den Ausschuss.
Die Opposition, zu Biedenkopfs Glanzzeit ein Jammerbild, läuft seit Monaten zur Hochform auf und prangert mit immer neuen Details und zunehmender Schärfe eine "Amigo-Wirtschaft" an. Mit Heinz Eggert (CDU) plagen sogar einen Ex-Innenminister Zweifel an der Rolle des Premiers in der Paunsdorf-Geschichte. Dieser müsse dem Eindruck entgegentreten, dass er "Befehlsempfänger eines Investors" gewesen sei. Ein anderer parteiinterner Kritiker, der wie die meisten anonym bleiben will, meint: "Dieses Schauspiel lässt sich nur mit Unverständnis und Schrecken verfolgen." In weiten Teilen der Fraktion herrsche angesichts der Biedenkopf-Allüren Lethargie und Untergangsstimmung. Das Problem sei der Mann auf dem Thron, der Wirklichkeit entrückt: "Er lebt in einer anderen Welt als die Leute, die er regiert."
Das Fatale an der Situation: Gute Botschaften dringen nicht mehr durch. Sachsen steht unter den neuen Ländern hervorragend da. Die Verschuldung ist im Ost-Vergleich die mit Abstand niedrigste, das Wachstum war im ersten Halbjahr am höchsten. Zudem hat der Freistaat wie keiner seiner Ost-Wettbewerber imageträchtige Investitionen an Land gezogen. Allein in dieser Woche wird das gleich zwei Mal deutlich: VW eröffnet in Dresden die Gläserne Manufaktur für sein Luxusfahrzeug, und Infineon beginnt mit der Produktion in einer neuen 300-Millimeter-Chipfabrik. Zuvor war es gelungen, für Leipzig den Zuschlag für die weltweit begehrte BMW-Ansiedlung zu erhalten. Doch aus solchen Events können die Christdemokraten kein Kapital schlagen. Neiderfüllt blicken sie deshalb gelegentlich nach Erfurt, wo Bernhard Vogel (CDU) mit ruhiger Hand das ökonomisch ähnlich prosperierende Thüringen führt. Biedenkopfs Amtskollege hat außerdem sein Haus bestellt: Ihm wird der Parteivorsitzende Dieter Althaus folgen.
Anders in Dresden. Dort hat es der Ministerpräsident nicht vermocht, rechtzeitig einen Nachfolger zu installieren. Vielmehr setzte er im Frühjahr dem Kronprinzen Georg Milbradt den Stuhl vor die Tür und entließ ihn als Finanzminister. Was keiner erwartet hatte: Die Partei kürte den Geschassten gegen den erklärten Willen von "König Kurt" zum Vorsitzenden. Nun hat er beste Chancen, den Thron zu besteigen. Schon diesen Vorgang werteten viele CDU-Leute als Demontage des Regierungschefs. Der aber hat seither mit einigen Getreuen in der Staatskanzlei eine regelrechte Wagenburgmentalität entwickelt. Alle Kritiken von Opposition und Medien werden als böswillige Kampagne abgetan, was ihm die Diagnose "Altersstarrsinn" einbrachte. Für die Leid geprüfte Sachsen-Union ist keine Erlösung in Sicht. Zwar hoffen alle auf einen Abtritt in Würde. Doch eine Demission zum Geburtstag halten die wenigsten für realistisch.
Sicher hingegen scheint, dass die nächste Affäre auf die Biedenkopfs zurollt. Offenkundig will die sparsame Landesmutter wertvolles Interieur ihrer alten Residenz - es ist vom Freistaat für 400.000 Mark angeschafft worden - als Schnäppchen erwerben. Der Vizeregierungssprecher geht auf Tauchstation: "Einzelheiten können wir frühestens am Mittwoch beantworten." In Dresden ist selbst das Krisenmanagement miserabel.
(Von Uwe Müller)