Karl Nolle, MdL
DNN, 10.01.2002
„Olympia wäre ein gutes Signal für ein selbstbewusstes Sachsen"
CDU-Vorsitzender Georg Milbradt zur Entwicklung des Freistaates im Interview
CDU-Vorsitzender Georg Milbradt zur Entwicklung des Freistaates im Interview mit unserer Zeitung
Dresden. Wenn nichts dazwischen kommt, wird Sachsens CDU-Chef Georg Milbradt noch vor der Sommerpause neuer sächsischer Ministerpräsident. Im Interview mit unserer Zeitung fordert der frühere Sparminister eine neue Aufbruchstimmung.
Frage: Voraussichtlich übernehmen Sie in Kürze ein Bundesland mit hoher Arbeitslosigkeit, großer Abwanderung und vielen Firmenpleiten. Wie geht's Ureiter aufwärts?
Georg Milbradt: Nach der außergewöhnlichen Nachwendezeit tritt Sachsen jetzt in eine neue Phase der Normalisierung. Das Land muss dabei trotz sinkender Finanzhilfen noch attraktiver gestaltet werden. Das ist ein Marathonlauf, den man sich einteilen muss. Im Übrigen: Dort wo der Staat unmittelbar beteiligt ist, etwa im Gesundheitswesen, ist die Anpassung an den Westen weitgehend abgeschlossen. Aber in den wirtschaftlichen Bereichen, wo wir von den unternehmerischen Entscheidungen Dritter abhängig sind, wird dieser organische Prozess noch andauern.
Frage: So weit die Analyse. Aber wie sehen Ihre Rezepte aus?
Georg Milbradt: Die Politik kann nur einen günstigen Rahmen gestalten, sie kann niemanden zu Ansiedlungen zwingen oder Arbeitsplätze schaffen. Wenn wir allein auf Großinvestitionen setzen würden, bräuchten wir 80 BMW-Ansiedlungen. Daher ist der Mittelstand besonders wichtig. Wir dürfen die Wirtschaftsförderung aber nicht mit der Gießkanne betreiben, sondern müssen die Firmen unterstützen, die im nationalen und internationalen Wettbewerb stehen. Der Export muss gestärkt werden, denn die sächsische Wirtschaft ist noch zu sehr am Binnenmarkt orientiert. Wichtig ist ferner eine gezielte Förderung für Existenzgründer und für die Technologieforschung.
Frage: Diese Leuchtturmpolitik ist aber doch gescheitert, wenn Sie in die Regionen mit 25 Prozent offizieller Arbeitslosigkeit blicken. Stadt und Land dürften weiter auseinander driften ...
Georg Milbradt: Unsere Politik ist richtig: Aber wir brauchen für eine ausgewogene Regionalentwicklung bessere Verkehrsverbindungen wie die neue A 4 Dresden-Görlitz. Jede Autobahnabfahrt ist ein Wirtschaftsförderungsprogramm. Wir brauchen aber auch Lokomotiven wie Leipzig mit den Ansiedlungen von Porsche und BMW Diesen Spagat müssen wir hinbekommen. Und mit einer gesunden Wirtschaft stoppen wir auch die Abwanderung.
Frage: Ein Grund für die Abwanderung sind die höheren Löhne im Westen. Sie plädieren jedoch seit Jahren für Lohnzurückhaltung im Osten ...
Georg Milbradt: Bei den Löhnen muss man nach Branchen und Regionen differenzieren, um Betriebe und Arbeitsplätze zu erhalten. Das bedeutet mehr Öffnungen der starren Tarifverträge, um flexibler zu sein. Das ist eine Chance gerade für uns im Osten. Im Übrigen wird sich das Problem in einigen Jahren verändern: Durch die Halbierung der Geburtenzahlen seit der Wende wird es ab dem Jahr 2007 an Lehrlingen fehlen.
Frage: Welche Vision streben Sie an? Wie sieht das Land im Jahr 2010 aus?
Georg Milbradt: Sachsen wird aus seiner alten beengten Randlage wieder in die Mitte Europas rücken und muss diese Chancen als Erster nutzen. Dazu brauchen wir eine neue Aufbruchstimmung. Olympia wäre ein gutes Signal und Leitprojekt für ein modernes, weltoffenes und selbstbewusstes Sachsen. Denn auf ein großes Ziel kann man viele Mittel konzentrieren. Dann stünde auch bis 2012 die Infrastruktur in Sachsen.
Frage: Ein Pfund mit dem Sachsen wuchern kann, sind die Hochschulen. Welche Zukunft haben die Unis unter dem eisernen Sparer Milbradt?
Georg Milbradt: Unsere Studenten müssen in den Hochschulen eine exzellente Ausbildung erhalten, Wissenschaft und Forschung sollen den Standort Sachsen stärken. Unsere Hochschulen müssen sich aber rechtzeitig auf die zu erwartende Bevölkerungsstruktur und neue wissenschaftliche Entwicklung durch Flexibilität, stärkere Kooperation und Arbeitsteilung vorbereiten. Ausreichende Finanzen und Personalstellen sind dafür notwendig, aber nicht alles. Das Gleiche gilt übrigens für die Schulen. Ein Festhalten an allen Standorten würde eher zu Lasten der Qualität gehen. Es ist indes unbestritten, dass Sachsen für Bildung immer besonders viel tun wird.
Interview: Sven Heitkamp und Anita Kecke