Karl Nolle, MdL
DNN, 15.01.2002
SPD uneins über Notwendigkeit von Neuwahlen
Landeschefin Krehl und Fraktionsboss Jurk streiten weiter / Hauen und Stechen um Kandidatenplätze
DRESDEN. In der sächsischen SPD hängt der Haussegen schief. Kurz vor dem Rückzug von Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) ist das entbrannt, was sich seit Wochen SPD-intern angekündigt hat: der offene Streit zwischen Parteichefin Constanze Krehl und Fraktionschef Thomas Jurk - und zwar zum Thema Biedenkopf. Jurk will Neuwahlen, weil das '99er Ergebnis eine Art Biedenkopf-Wahl gewesen sei und somit nicht mehr die Stimmung im Lande spiegele; Krehl dagegen erklärte dies im Interview mit unserer Zeitung für unrealistisch, weil CDU wie PDS nicht mitspielen würden. Das Ganze ende im Nirvana und gehöre nicht ins Parlament.
Mittlerweile eskaliert der Streit, was nicht zuletzt an Krehl lag. Am Freitagabend hatte sie nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums verkündet, die Jurk-Forderung nach Neuwahlen sei vom Tisch, die Abstimmung sei einstimmig. Jurk sah das anders und konterte verschnupft, die Fraktion sei "eigenständig in ihrer Entscheidung". Es gebe zwar ein Votum des Präsidiums - aber keins zur Frage der Neuwahlen. Noch härter geht Karl Nolle zur Sache. Mit ihrem Konfrontationskurs betreibe die SPD-Chefin "politischen Selbstmord", meinte der SPD-Abgeordnete, das Ganze sei die "Zementierung von Sektenbewusstsein aus Angst".
In der Tat ließe sich mit dem Etikett "unrealistisch" jede Initiative der Genossen im Dresdner Parlament verhindern. Allein mit ihren 14 Abgeordneten kann die SPD im CDU-dominierten Landtag nichts durchsetzen. Die Selbstauflösung des Landtags, die einer Neuwahl vorausgehen müsste, kann sogar nur durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden. Die Fraktion zielte deshalb mehr auf ein politisches Achtungszeichen. Jurk hatte seinen Vorstoß sauber eingeleitet. Passgenau vor Biedenkopfs Rückzug präsentierte er am Freitag eine Umfrage mit eindeutigem Ergebnis: 74 Prozent der Sachsen wollen Neuwahlen, wenn "König Kurt" das Zepter weiter reicht. Hinzu kommt eine weitere Hiobsbotschaft für die Union: Nach einem Stimmungstest würden derzeit nur noch 43 Prozent der Sachsen für CDU votieren, sie hat damit ihre absolute Mehrheit eingebüßt (DNN berichtete).
Constanze Krehl kann sich darüber wenig freuen. Gestern trat sie den moderaten Rückzug an, betonte, in einem zentralen Punkt herrsche Einvernehmen zwischen ihr und Jurk: "Wir beide wollen keinen Streit", vor allem aber sei der Zwist "bedauerlich". Morgen wolle sie das Thema in der Fraktion mit den Abgeordneten klären.
Dahinter steht eine einfache Befürchtung: Im Frühjahr muss die SPD ihre Landesliste für die Bundestagswahl in Sack und Tüten bringen - enorme Probleme inklusive. Denn von den bislang 13 SPD-Tickets in Berlin fallen zwei allein schon deshalb weg, weil die Zahl der Wahlkreise schrumpft; hinzu kommt ein Sinken in der Wählergunst. "Es gibt ein Hauen und Stechen bei der Aufstellung", meinte ein Dresdner SPD-Politiker gestern, und Krehl müsse das managen. "Zwist" sei da wenig hilfreich.
(Jürgen Kochinke)