Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 17.01.2002
"Ein rabenschwarzer Tag"
Biedenkopf-Attacke gegen CDU-Landeschef Milbradt sorgt bei vielen Unionsabgeordneten für Unverständnis
DRESDEN. Ganze 20 Minuten und Kurt Biedenkopf hatte vor der CDU-Landtagsfraktion ein Fazit über seine elf Jahre als Regierungschef gezogen. Der Lohn war verhaltener Beifall. Eine Aussprache fand erst gar nicht statt. Die Bekanntgabe des Rücktrittstermins lockte keinen der Abgeordneten aus der Reserve. Anders war das bei Biedenkopfs persönlicher Erklärung, die der Regierungschef später vor der Presse fast wortgleich wiederholen sollte. Die war mit scharfen Angriffen gegen CDU-Landeschef Georg Milbradt und Generalsekretär Herrmann Winkler gespickt, denen Biedenkopf Intrigen gegen seine Person vorwarf. Doch eine Reaktion der Gescholtenen blieb aus. Milbradt dankte Biedenkopf dafür demonstrativ für dessen Arbeit und bemerkte trocken, "Kritik sei angesichts der Würde des historischen Tages unangemessen". 20 Minuten - und schon ging es weiter in der Tagesordnung.
Die Angst vor dem wütenden Wähler wächst
In der 76-köpfigen CDU-Fraktion, die in drei Monaten einen neuen Ministerpräsidenten wählen muss, lösten die offenen Feindseligkeiten zwischen dem Noch-Premier und seinem potenziellen Nachfolger später heftige Diskussionen aus. "Das sind doch kleinkarierte Angriffe auf Milbradt. Bei Biedenkopfs Handeln steckt eine Menge Irrrationalität drin", wetterte Heinz Eggert als Erster los. Den Grund dafür glaubt er auch zu kennen. "Biedenkopf ist mit seinem Vorhaben gescheitert, Milbradt zu verhindern und aus dem Spiel zunehmen." Ernste Mienen auch bei vielen seiner Kollegen. "Ein rabenschwarzer Tag. Der Ministerpräsident hatte stets erklärt, er wolle Gräben zuschütten. Mit seinen heutigen Äußerungen hat er das Gegenteil getan. Die Gräben sind tiefer geworden", meinte der Leipziger Uwe Albrecht. "Ich finde es auch nicht gut, dass Biedenkopf diese Diskussion ins Rollen gebracht hat, auch wenn es aus seiner Sicht verständlich scheint. Für die Entwicklung Sachsens ist das schlecht", so Lars Rohwer aus Dresden, der sich mit einem Kopfschütteln in Vermutungen rettete. "Biedenkopf hat das alles offenbar noch nicht verdaut."
Offener Widerspruch kam von Christine Weber, eine der drei sächsischen CDU-Landesvize. "Ich kann keinesfalls bestätigen, das Teile des Landesvorstandes gegen den Ministerpräsidenten intrigiert haben." Genau das hatte Biedenkopf Minuten zuvor behauptet. Ihre Abgeordnetenkollegin Kerstin Nicolaus ahnte, was nun kommt. "Der Fraktion und der Partei stehen spannende Zeiten und eine riesengroße Anspannung bevor." Fast flehend drängte sie darauf, dass nach der Entscheidung über Biedenkopfs Nachfolger Geschlossenheit wieder oberste Priorität haben müsse. "Sonst treffen die Wähler in Zukunft eine für uns schmerzhafte Entscheidung."
Für eine Abgeordnete aus Freiberg war das Maß dagegen voll. Wütend über Biedenkopf kam ihr das Wort "Parteiausschluss" über die Lippen. Mit scharfer Zunge reagierte der Datenschutzbeauftragte auf den Eklat. "Auch mit Plateau-Sohlen hat Biedenkopf kein Niveau. Man kann doch nicht zum Scheidungstermin gehen und dabei seine Frau beschimpfen", so Thomas Giesen, der mit dem Regierungschef häufig über Kreuz lag. "Biedenkopf ist besoffen von der Macht, er ist ein eitler Fatzke. Ich spreche hier als normales, wütendes CDU-Mitglied. Mit meinem Amt hat das nichts zu tun." Regierungssprecher Michael Sagurna reagierte gereizt. "Sie verstehen nichts von Politik."
(Gunnar Saft)