Karl Nolle, MdL
DNN, 17.01.2002
Vor dem Abschied gräbt Biedenkopf das Kriegsbeil aus
„König Kurt" verlässt den Thron - Sachsens Regierungschef zürnt über gewetzte Messer in den eigenen Reihen
DRESDEN. Die Hände auf dem Tisch gefaltet, sanftes Lächeln, staatsmännischer Tonfall: Kurt Biedenkopf, der sonst immer frei spricht, verlas wörtlich eine Erklärung, die nach elfeinhalb Jahren an der Spitze des Freistaates sein politisches Aus besiegelt. Am 17. April ist sein letzter Arbeitstag als Ministerpräsident.
Doch der äußere Eindruck täuschte, denn der fast 72-jährige, dienstälteste Regierungschef Ostdeutschlands entzündete zum Abschied keineswegs die Friedenspfeife. Aus dem Köcher zog er Giftpfeile, die direkt auf CDU-Chef Georg Milbradt und seine Truppenteile in der Sachsen-Union zielten. Die Parteiführung habe Intrigen geschmiedet und, parallel zur Opposition, seinen Rücktritt betrieben, attackiert der Ministerpräsident die eigenen Reihen. Nein, er könne Teilen der sächsischen Union für das vergangene Jahr nicht danken. Seine politische Entscheidung vor einem Jahr, Milbradt als Finanzminister zu entlassen, sei "nicht nur von ihm selbst, sondern auch von weiteren Funktionsträgern der Partei bekämpft" worden. Die Delegierten hätten ihm zudem auf dem Wahlparteitag in Glauchau im September zu verstehen gegeben, „dass sie nicht bereit waren, die Gründe für meine Personalentscheidung zu respektieren", ärgerte sich der Regierungschef. Dass ein Parteitag einen geschassten Minister zum Vorsitzenden wähle, sei "ein einmaliger Vorgang". Mit den Affären um das Paunsdorf-Center, die Schevenstraße und Ikea habe es im übrigen nichts zu tun, wenn er jetzt zur Mitte der Wahlperiode zurücktrete, behauptete er. Offenkundig versucht Biedenkopf mit der weiteren Polarisierung der gespaltenen Sachsen-Union um jeden Preis zu verhindern, dass der frühere Kassenwart ihn im April im Amt beerbt. Tatsächlich könnte nach den schweren Vorwürfen Milbradts Stern weiter sinken. Ob er auf dem geplanten Sonderparteitag und schließlich in der CDU-Landtagsfraktion die nötigen Stimmen für seine gestern bekräftigte Kandidatur erhält, ist alles andere als sicher.
Sicher schien vielmehr, dass die Union nach Biedenkopfs Angriffen vor neuerlichen Flügelkämpfen steht. Allein, es gibt bislang keine Gegenkandidaten. Dass sich die Minister Stanislaw Tillich (Europa) oder Thomas de Maiziere (Finanzen) doch noch zu diesem Schritt durchringen, gilt als unwahrscheinlich. Auch eine Kandidatur von CDU-Bundeschefin Angela Merkel wird eher belächelt, als ernsthaft diskutiert. Milbradt tut indes so, als erwarte er die kommenden entscheidenden Wochengelassen: „Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir sind eine demokratische Partei."
Der 56-Jährige, der den Rücktrittstermin auch erst am Vormittag in der Fraktionssitzung erfahren hatte, vermied es indes nach wie vor, öffentlich Kritik an Biedenkopf zu äußern. Dass sei nicht der Stil, mit dem man Probleme löse. Nur Biedenkopfs Vorwurf, ihn zum Rücktritt aufgefordert zu haben, lässt er nicht auf sich sitzen: „Es ist meine Pflicht als Parteivorsitzender, ihm eine Einschätzung der Lage zu geben." Er habe diesen Rat im Übrigen vertraulich erteilt. Wie tief die Gräben sind, offenbarte auch die gestrige Regie: Erst traten Biedenkopf und sein Fraktionschef Fritz Hähle gemeinsam vor die Presse, dann hatte Milbradt allein seinen Auftritt. Begegnet sind sich die einstigen Duzfreunde nur in der Fraktion, wo der potenzielle Nachfolger den scheidenden Amtschef für seine Verdienste um den Aufbau Sachsens und die Wiedervereinigung lobte.
In der CDU sorgte Biedenkopfs Kampfansage teilweise für Entsetzen. Von "blindwütigem Um-sich-schlagen" war die Rede. Ex-Innenminister Heinz Eggert warf Biedenkopf „bittere Kleinkariertheit" und "öffentliche Irreführung vor". Der Leipziger Abgeordnete Volker Schimpff erklärte als Vertreter des konservativen Parteiflügels: „Die Fraktion will endlich zur Sacharbeit zurückkehren und braucht die Geschlossenheit der Partei. Mit Lanzenritten gegen die demokratisch gewählte Parteiführung erreicht man das Gegenteil."
Ob Biedenkopf nach dem Rücktritt sein Abgeordnetenmandat behält und in Sachsen wohnen bleibt, will er erst "zu einem späteren Zeitpunkt" entscheiden. Zunächst wolle er frei von den Pflichten seines Amtes den Bundestagswahlkampf unterstützen. Dass er dabei zusammen mit der von ihm attackierten Parteiführung auftritt, halten viele aber für ausgeschlossen.
(Sven Heitkamp)