Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 17.01.2002
Schwacher Abgang
Sächsische CDU in Krise
DRESDEN. Es hätte ein so schöner Abschied werden können: Der hochverdiente Ministerpräsident tritt nach langer Amtszeit höchst freiwillig zurück. Regierung und Regierte sind bestürzt und in Trauervereint, Opposition und Presse winden ihm Kränze für die Nachwelt, sein Platz in den Geschichtsbüchern ist erhaben, der Ruf untadelig. Die Bestimmung des Nachfolgers überlässt er nach demokratischer Tradition Partei und Parlament.
Um diesen verdienten Abschied hat sich Kurt Biedenkopf selbst gebracht. Stattdessen hinterlässt er eine Partei und eine Regierungsfraktion, die von Spaltung bedroht sind und deren Spaltung er mit seinen gestrigen zürnenden Auftritten befördert hat. Die sächsische CDU ist in Gefahr, nach zwölf Jahren absoluter Mehrheit ihre Regierungsfähigkeit zu verlieren. Das Absurde daran: Es gibt dafür keine politischen Gründe, es tobt kein Streit um Inhalte, Konzepte oder Richtung, es geht vor allem um Machtansprüche, Rechthaberei, persönliche Eitelkeiten und Verfehlungen.
Seinen unrühmliche Abgang hat der Ministerpräsident vor einem Jahr unbeabsichtigt eingeleitet. Damals konnte er die Wiederwahl des ihm ergebenen Fraktionschefs nur mit dem Versprechen erzwingen, Ende 2002 oder Anfang 2003 aus dem Amt zu scheiden. Damit war Biedenkopf das, was Amerikaner ganz unromantisch eine lahme Ente" nennen. Ein Regent, dessen Macht, Mandate zu erhalten, Wahlen zu gewinnen und Pfründen zu verteilen, ein Verfallsdatum trägt. Wenig später nannte er seinen hochverdienten Finanzminister und langjährigen Weggefährten Georg Milbradt einen miserablen Politiker und feuerte ihn kurz darauf.
Dieser Entscheidung haftete stets etwas Willkürliches an, weil jede inhaltliche Begründung fehlte. Es ging um persönliche Abneigung, weil Milbradt seine eigene Ambition erkennen ließ. Biedenkopf beerben zu wollen. Er hatte damit den an Allmacht grenzenden Anspruch des politischen Übervaters verletzt, bei der eigenen Nachfolge nicht nur den Zeitpunkt sondern auch die Person selbst zu bestimmen. Und dann besaß die undankbare Partei auch noch die Stirn, ausgerechnet diesen Milbradt zu ihrem Vorsitzenden zu wählen.
Als „einmaligen Vorgang" hat Biedenkopf dies gestern bezeichnet und damit seine Kränkung benannt. Einmalig ist allerdings auch, dass ein scheidender Ministerpräsident der Führung und Teilen seiner Partei vorwirft, parallel zur Opposition seinen Rücktritt betrieben zu haben. Einen Rücktritt, den er selbst angekündigt hat, dessen Vorverlegung in erster Linie eine Folge von Affären und Affärchen ist, in die er sich selbst verstrickt hat. In jedem westdeutschen Bundesland wäre ein Regierungschef schon über den Skandal um Billigmiete für das Gästehaus, um private Nutzung von Staatsbediensteten und über die, rechthaberischen Versuche, diesen. Skandal zu leugnen, gestolpert. Zusätzlicher Affärchen wie der Rabatte bei Ikea und Karstadt hätte es nicht bedurft, um einen Rücktritt aus Parteiräson zu erzwingen. Es waren wohl Loyalität und eine gehörige Portion Dankbarkeit der Partei, die Biedenkopf damals retteten.
Bei allem Verständnis für persönliche Verletzungen und Kränkungen, die der Ministerpräsident empfindet, zeugt sein zorniges Reden gegen Milbradt, Teile der Partei und' der Fraktion von einem verblüffenden Mangel an Souveränität und Weitsicht. Die sächsische Union hat er damit in eine schwere Krise gestürzt. Das verabredete geordnete Verfahren zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten kann so zu einer Schlammschlacht in der Union ausarten. An deren Ende könnten Neuwahlen und der Verlust der Macht für die CDU stehen. Unwahrscheinlich, dass Biedenkopf dies nicht gesehen hat. Aber um Milbradt zu verhindern, ist ihm offenbar jedes Mittel recht.
(Peter Christ)