Karl Nolle, MdL

Die Welt, 17.01.2002

Biedenkopf rechnet mit CDU ab

Der scheidende sächsische Ministerpräsident sieht sich als Opfer von Intrigen
 
DRESDEN. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat den 18. April als Datum seines Rücktrittes genannt - und dabei zugleich einen Eklat verursacht. Bei der Nennung des Termins richtete er heftige Vorwürfe gegen seinen potenziellen Nachfolger, CDU-Landeschef Georg Milbradt. Dem früheren Finanzminister warf Biedenkopf indirekt vor, nach seiner Entlassung vor einem Jahr gegen den Ministerpräsidenten intrigiert zu haben. Auch gegen die sächsische Union zog der scheidende Regierungschef vom Leder. Auf ihrem Parteitag im September hatte die CDU Milbradt mit großer Mehrheit zu ihrem neuen Vorsitzenden gekürt. Dies sei "ein in Deutschland einmaliger Vorgang", beklagte Biedenkopf, der seiner Partei vorhielt, "parallel zur Opposition im Landtag den Rücktritt des Ministerpräsidenten betrieben zu haben".

Der derart demontierte Parteichef Milbradt wollte seinerseits keine Kritik am Regierungschef äußern und lobte vielmehr Biedenkopfs Verdienste während der letzten elf Jahre. Seine Arbeit habe zu den erfolgreichsten Kapiteln der deutschen Wiedervereinigung gehört. Zugleich kündigte der 56-Jährige seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten an. Obwohl es bisher keinen anderen Bewerber gibt, dürften Milbradts Chancen nach den gestrigen Ereignissen aber nicht besser geworden sein. Mit der neuerlichen Polarisierung droht nun vielmehr eine Spaltung der sächsischen Union.

Der frühere Innenminister Heinz Eggert wertete Biedenkopfs Auftritt als "bittere Kleinkariertheit". Ähnlich war die Reaktion der Opposition. PDS-Chef Peter Porsch sprach von "einem verkrampften und verbiesterten Abgang, der nicht mit den unbestreitbaren Verdiensten des Ministerpräsidenten korreliert". Angesichts des erbitterten Flügelkampfs in der Regierungspartei sei es fraglich, "ob die CDU im Landtag noch die Mehrheitsfraktion ist". SPD-Fraktionschef Thomas Jurk sieht die Sachsen-Union ebenfalls schwer beschädigt: "Biedenkopf hinterlässt verbrannte Erde und betreibt das Geschäft der Opposition." Anders als die PDS verlangt die SPD Neuwahlen. Das allerdings lehnen sowohl das Biedenkopf- wie auch das Milbradt-Lager ab. Gewählt wird regulär erst 2004.

Parteichef Milbradt kündigte einen baldigen Sonderparteitag an. Dieser soll nach einem seit längerem verabredeten Verfahren der Landtagsfraktion eine Empfehlung für die Biedenkopf-Nachfolge aussprechen. "Jeder kann kandidieren, schließlich belebt Konkurrenz das Geschäft", sagte Milbradt.

Erwartet wird, dass Fraktionschef Fritz Hähle, ein enger Biedenkopf-Vertrauter, womöglich noch mit einem eigenen Personalvorschlag aufwartet. Doch bislang sind sämtliche Versuche gescheitert, einen Milbradt-Verhinderungskandidaten aufzubauen. Dass CDU-Bundeschefin Angela Merkel in Dresden antritt, nannte Biedenkopf "eine zulässige, aber wenig realistische Spekulation".

Größte Herausforderung für den Nachfolger: Er muss eine der umfangreichsten Kabinettsumbildungen bewältigen, die es jemals in einer laufenden Legislatur gegeben hat. Bis zu sechs Ministerposten sind neu zu besetzen - und das bei einem deutlichen Mangel an qualifiziertem politischem Personal.

Aus dem Amt scheiden werden aller Voraussicht nach Kajo Schommer (Wirtschaft), Hans Geisler (Soziales), Manfred Kolbe (Justiz) und Hans Joachim Meyer (Wissenschaft). Auch der Verbleib von Klaus Hardraht (Inneres) und Thomas de Maizière (Finanzen) gilt als ungewiss. Eine zusätzliche Vakanz entsteht in der Staatskanzlei: Für ihren Chef Georg Brüggen muss ein Nachfolger gefunden werden.
(Sven Heitkamp und Uwe Müller)