Karl Nolle, MdL

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17.01.2002

Biedenkopfs Rücktritt wider Willen

Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) tritt früher ab, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Und er geht im Zorn auf seine Partei.
 
DRESDEN. Es sollte ein feierlicher 16. Januar werden. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, so war seit einer Woche geplant, würde an diesem Dienstag seinen Rücktrittstermin verkünden. Freundliche Würdigungen waren in der Union für diesen Termin zurechtgelegt worden – voller Lob und Anerkennung für die beispiellose Karriere des inzwischen 72-jährigen Politikers.

Doch dann kommt alles anders. Biedenkopf verdirbt sich diesen vielleicht letzten großen Auftritt selbst. Die Erklärung, am 18. April aus dem Amt scheiden zu wollen, ergänzt er zunächst mit zaghafter innerparteilicher Kritik. Dann gipfelt sie in einer Anklage gegen den sächsischen CDU-Landesvorsitzenden Georg Milbradt. Biedenkopfs Gesicht ist gerötet, der Ministerpräsident versucht, freundlich und gelassen zu erscheinen – doch innerlich muss es in ihm brodeln. Die Führung der Landes-CDU, sagt er, habe in den vergangenen zwei Wochen den Rücktritt des Regierungschefs betrieben. Der Vorsitzende und der Generalsekretär der Partei hätten „dauerhaft die Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit zerstört“. Dann werden die Schuldzuweisungen immer konkreter, die Journalisten erleben ein Scherbengericht. Biedenkopf vermutet Milbradt hinter „Intrigen“. Milbradt, vom Ministerpräsidenten vor einem Jahr als Finanzminister entlassen, wurde im September zum Landesvorsitzenden der CDU gewählt und gilt nun als Favorit für das Amt des Regierungschefs. Biedenkopf aber, so wird deutlich, hat sich damit immer noch nicht abgefunden. Vor der Presse zieht er nach Kräften über den von ihm als Widersacher ausgemachten Parteifreund her.

Kurz vor Weihnachten, als die so genannte Ikea-Affäre auf dem Höhepunkt war, habe Milbradt, sagt Biedenkopf, seinen Rücktritt verlangt. „Das ist ein einmaliger Vorgang“, empört er sich. Dass es sich um einen vertraulichen Rat in einem Gespräch unter vier Augen gehandelt hat, wie Milbradt später erläutert, verschweigt Biedenkopf – er breitet den Vorgang im Einzelnen aus, um dem Anwärter auf die Nachfolge zu schaden. Biedenkopf und der mit ihm erschienene Fraktionsvorsitzende im Landtag, Fritz Hähle, werden gefragt, ob sie denn überhaupt noch mit Milbradt redeten. „Fragen Sie ihn doch, ob er mit uns spricht“, kontert Hähle.

Das Wort von der „Dolchstoßlegende“ macht auf einmal die Runde in der Pressekonferenz – eine Reminiszenz an das Ende des Ersten Weltkriegs, als die militärische Führung in Deutschland die Schuld für ihre Niederlage auf den mangelnden Rückhalt in der Heimat schieben wollte. Glaubt Biedenkopf jetzt, nur deshalb geschwächt zu sein und abtreten zu müssen, weil ihm Milbradt und die eigene Partei nicht mehr in allen Fragen kritiklos folgen wollen? Sein Abgang – er nennt es „Rückgabe des Amtes an den Landtag“ – ist ein Rücktritt wider Willen.

Durch die freundliche Fassade Biedenkopfs schimmert immer mehr Verbitterung, je länger die Pressekonferenz dauert. 1990, so sagt der Ministerpräsident, habe ihm die CDU freie Hand in Personalentscheidungen gelassen – als „Geschäftsgrundlage“. Einmalig in Deutschland sei es dann gewesen, dass ein Parteitag einen von ihm, dem Regierungschef, entlassenen Minister zum Landesvorsitzenden wählte. Gleichwohl habe er die Parteitagsentscheidung „akzeptiert“, fügt Biedenkopf hinzu.

Diese Aussage weckt in der Pressekonferenz Zweifel am Demokratieverständnis des bislang in freundlichem Sinn „König Kurt“ genannten Politikers. Was wäre denn gewesen, wenn der Regierungschef die Personalentscheidung der CDU nicht akzeptiert hätte? Heinz Eggert, früherer Innenminister, ist nach eigenen Worten „erschrocken“, als er dieses Zitat hört. „Mich entsetzt die Geringschätzung der Partei in dieser Ansprache.“

Biedenkopf aber macht unverdrossen weiter, gibt nach seiner Erklärung noch jede Menge Interviews und genießt es sichtlich, auf die Frage nach Milbradts Chancen in der CDU-Fraktion bei der Nominierung des Nachfolgers mit „Weiß ich nicht“ zu antworten. „Zu diesem Zeitpunkt“, betont der noch amtierende Regierungschef, wolle er nicht in die Nachfolgedebatte eingreifen. Das klingt wie eine Drohung. Voller Stolz zitiert Biedenkopf dann noch das Ergebnis der neuesten Meinungsumfrage: 87 Prozent der sächsischen CDU-Mitglieder sind demnach weiterhin mit seiner Arbeit zufrieden und 64 Prozent aller Sachsen ebenfalls. Kaum hat Biedenkopf dies gesagt, da fällt im Saal das Wort „Dolchstoßlegende“ ein zweites Mal.

Eine halbe Stunde später reagiert Milbradt auf die Rede des Regierungschefs, die ihn offensichtlich überrascht hat. Der CDU-Landesvorsitzende hatte wohl mit der Kampfansage Biedenkopfs nicht gerechnet, will sich davon aber nicht irritieren lassen. Erst einmal singt er ein Loblied auf Biedenkopfs „großen persönlichen Einsatz in den vergangenen elf Jahren“. Die Kritik des Ministerpräsidenten an ihm wolle er nicht kommentieren, dies sei „nicht der richtige Tag dafür“. Wie in den vergangenen zwölf Monate wolle er auch künftig „kein böses Wort über Biedenkopf verlieren“.

Allerdings geht Milbradt, der am Dienstag offiziell seine Bewerbung für die Biedenkopf-Nachfolge erklärt hat, an einer Stelle dann doch auf die Aussagen des Ministerpräsidenten ein – ohne allerdings dessen Namen zu nennen. Er sagt: „Wenn sich Einzelne oder Gruppen Sonderrechte oder Vetorechte in der CDU herausnehmen wollen, gefährden sie die Regierungsfähigkeit.“ Ein Recht, als Ministerpräsident auf einem bestimmten Fraktions- oder Parteivorsitzenden zu bestehen, gebe es jedenfalls nicht.

In der sächsischen CDU werden die nächsten Wochen nun mit Spannung erwartet. Voraussichtlich im März wird ein Landesparteitag der Christdemokraten eine Empfehlung für die Besetzung des Ministerpräsidentenamtes geben. Sie dürfte, trotz der Attacken Biedenkopfs, zugunsten von Milbradt ausfallen. Danach muss dann die Landtagsfraktion einen Kandidaten nominieren, und dort sind die Milbradt- Gegner nach wie vor stark.

Nach Biedenkopfs Meinung „muss die Fraktion nicht unbedingt der Empfehlung der Partei folgen“. Eggert dagegen sieht das völlig anders: „Wenn sich die CDU in dieser Frage spaltet, können wir gleich Neuwahlen ausschreiben. Aber dann ist die sichere CDU-Mehrheit in Sachsen wohl ein für alle Mal Vergangenheit.“
(Klaus Wallbaum)