Karl Nolle, MdL
Neues Deutschland, 17.01.2002
Zum Schluss herrschte Schweigen
Biedenkopf ist »beratungsresistent« und droht, Sachsens CDU zu spalten
Biedenkopfs Rücktritt als Ende allen Leidens - diese Hoffnung ist jetzt der Angst vor einem Schisma gewichen.
DRESDEN. Vier Wochen werde der Rauswurf seines Finanzministers die Öffentlichkeit beschäftigen, prognostizierte Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) vor einem Jahr, dann werde das Thema erledigt sein. Selten hat der 71-Jährige so geirrt. Zwölf Monate nach seinem Verdikt, Georg Milbradt sei ein »miserabler Politiker«, ist dieser nicht nur Chef der Landespartei. Er galt bisher auch als aussichtsreichster Kandidat dafür, Biedenkopf am 18. April im Amt zu folgen.
Ob er die notwendigen 61 Stimmen in der 76 Mitglieder zählenden CDU-Fraktion bekommt, ist nach den gestrigen, unerwartet erbitterten Attacken Biedenkopfs aber fraglich. Der Parteivorsitzende habe »nicht die Gemeinsamkeit« gesucht, sondern gemeinsame Sache mit der Opposition betrieben, so Biedenkopfs Vorwurf.
Die Dolchstoßlegende wurde durch Watschen für die Basis ergänzt, die ein seltsames Demokratieverständnis offenbaren. Dass ein von einem Ministerpräsidenten entlassener Minister zum Parteivorsitzenden gekürt werde, sei ein in der Bundesrepublik »einmaliger Vorgang«.
Seit der Wahl Milbradts herrscht zwischen den beiden Granden der Sachsen-CDU eisiges Schweigen. Er habe den Rücktrittstermin »geahnt«, sagte Milbradt gestern - konsultiert wurde er nicht. Das letzte Gespräch fand am 13. Dezember statt. Milbradt hatte Biedenkopf damals auf dem Höhepunkt der Ikea-Affäre unter vier Augen den Rücktritt nahe gelegt. Die gestern dargebotenen, konträren Versionen illustrieren den tiefen Riss.
Biedenkopf erachtete das Ansinnen als skandalös - zumal es vom potenziellen Nachfolger kam. Milbradt pocht auf seine Pflicht als Parteichef, in Krisen auch Ratschläge zu äußern: »Es ist grotesk, dass ich wegen der möglichen Kandidatur keine eigene Meinung mehr haben soll.«
Wie viele alternde Politiker vor ihm ist Biedenkopf nicht mehr gewillt zurückzustecken.
Beratungsresistent geworden, riskiert er dabei auch die Spaltung der Partei. Das Wort von der »verbrannten Erde« macht die Runde. Viele Beobachter fühlen sich an die Umstände von Biedenkopfs Abgang in Nordrhein-Westfalen erinnert, von dessen Folgen sich die Union über Jahre nicht erholte.
Dagegen bemüht sich Milbradt fast zwanghaft wenig Angriffspunkte zu bieten. Er habe »in zwölf Monaten kein böses Wort über den Ministerpräsidenten verloren« und gedenke das weiter so zu halten, sagte er gestern. Gleichzeitig beharrte er auf dem Vorrecht der Partei, einen Nachfolger vorzuschlagen. Das meint Zuversicht, dass dem Votum gefolgt werde: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fraktion in einen parteifreundlichen und einen parteifeindlichen Flügel zerfällt.«
Gänzlich undenkbar ist ein Schisma indes nicht mehr - nicht nur, weil Biedenkopf und einige seiner Getreuen in der Fraktion ein Mandat halten, sondern auch, weil andere Abgeordnete mit dem Ex-Finanzminister noch offene Rechnungen haben. Auch der Rücktritts-Vorschlag vom Dezember hat Milbradt nicht gerade Sympathien eingetragen. Und schließlich ist offen, wie stark ihm die jüngsten Schuldzuweisungen Biedenkopfs im Zusammenhang mit der Paunsdorf-Mietaffäre schaden.
Mindestens bis zum 18. April wird der Machtkampf in der sächsischen Union weitergehen.
(Hendrik Lasch)