Karl Nolle, MdL
DOKUMENTATION - Sächs. Datenschutzbeauftragter Dr. Giesen, 15.01.2002
Bericht über eine Aktenkontrolle in der Sächsischen Staatskanzlei und über den Verlust von Aktenteilen
Bericht des Datenschutzbeauftragen Dr. Giesen
Sächsischer Landtag
3. Wahlperiode
DRUCKSACHE 3/5710
Unterrichtung
durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragten
Titel
Bericht über eine Aktenkontrolle in der Sächsischen Staatskanzlei und über den Verlust von Aktenteilen
Eingegangen am: 10.01.2002
Ausgegeben am: 15.01.2002
DER SÄCHSISCHE DATENSCHUTZBEAUFTRAGTE
Sächsischer Landtag
Herrn Präsident Erich Iltgen, MdL
Dresden, 10. Januar 2002
Az: 0-0550.2.2-6/12
Telefon: Durchwahl 4935-400
Sehr geehrter Herr Präsident,
mit dem beigefügten Bericht wende ich mich gemäß § 27 Abs. 2 SächsDSG an den
Sächsischen Landtag.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Giesen
Bericht über eine Aktenkontrolle in der Sächsischen Staatskanzlei und über den Verlust von Aktenteilen
Ich habe im Dezember 2001 die Aktenaufbewahrung und -verwaltung in der Sächsischen Staatskanzlei, insbesondere die Aufbewahrung und Ablage von Unterlagen aus den Jahren 1990 bis 1995 zum Vorgang "Behördenzentrum Paunsdorf“ kontrolliert. Eine vollständige Vorlage der betreffenden Dokumente war der Staatskanzlei nicht möglich. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 Buchstabe b des Sächsischen Datenschutzgesetzes (SächsDSG) ist aber durch jede öffentliche Stelle im Freistaat Sachsen zu gewährleisten, dass Datenträger insbesondere nicht unbefugt verändert oder entfernt werden können und dass mindestens stichprobenweise festgestellt werden kann, an wen welche Daten übermittelt worden sind.
Die festgestellte Art der Aktenaufbewahrung und -verwaltung in der Sächsischen Staatskanzlei ist auch nicht geeignet, über den Verbleib oder die Vernichtung zugegangener - jetzt nicht mehr auffindbarer - Schriftstücke Aufschluss zu geben.
Dieser Verlust von Schriftstücken wiegt schwer.
Er hat im konkreten Fall weniger Einfluss auf die Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, als vielmehr darauf, dass das Parlament bei der lückenlosen und wahrheitsgemäßen Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes des 1. Untersuchungsausschusses der 3. Legislaturperiode behindert wird.
1. Aktenregistratur und -bearbeitung in der Sächsischen Staatskanzlei
Die Staatskanzlei hat keine zentrale Registratur. Aktenzeichen werden nur in den jeweiligen Arbeitseinheiten vergeben. Ein zentraler Überblick über die eingehende Post und über die in der Behörde vorhandenen Vorgänge und ihre Akten existiert daher nicht.
Seit Inkrafttreten des "Verwaltungshinweises zur Behandlung eingehenden Schriftgutes" vom 22. Oktober 1991 wird grundsätzlich (von persönlich adressierter bzw. Privatpost und anderen Ausnahmen abgesehen) in folgenden Schritten verfahren:
1. Registrierung des einsehenden Schriftguts im Posteingang (in Posteingangsbuch bzw. seit September 1992 im elektronischen Posterfassungsprogramm - 1992 zeitweise parallel) durch die zentrale Poststelle, die auch den Betreff verfasst.
2. Sortierung der Post (Betreff- und Inhaltskontrolle) sowie Zuordnung der Schriftstücke zu den einzelnen Organisationseinheiten der Staatskanzlei durch die Mitarbeiter der Poststelle; Übergabe durch die Poststelle per Boten an die nach Auffassung der Poststelle zuständigen Abteilungen bzw. Referate.
3. Dort Vergabe eines Aktenzeichens von der Sachbearbeiterin oder dem Referenten sowie Eintrag des Posteingangs in der Organisationseinheit (bzw. erstmalige Registrierung, falls diese von der Poststelle noch nicht vorgenommen wurde).
4. Innerhalb der Organisationseinheit wird das Schriftstück an den zuständigen Referenten weitergeleitet, von ihm zur Akte genommen und bis zum Abschluss der Bearbeitung des zugehörigen Vorgangs aufbewahrt; ggf. wird im Posteingang vermerkt, an wen es während der Bearbeitung zuständigkeitshalber zugeleitet wurde ("Bearbeitungsweg").
5. Wird der Vorgang abgeschlossen, wird er der hauseigenen zentralen Vorarchivierung übergeben; die Übergabe ist ebenfalls im Posteingang einzutragen. In der zentralen Vorarchivierung werden sämtliche Vorgänge "doppelgleisig" sowohl nach Posteingangs-Nummer als auch nach Aktenzeichen erfasst und aufbewahrt.
Diese Verfahrensweise bestätigte sich bei zwei von mir kontrollierten Organisationseinheiten. Erhebliche Abweichungen davon gab es jedoch beim Büro des Ministerpräsidenten, das ich ebenfalls kontrolliert habe.
Im Gegensatz zur sonst üblichen Regel werden Briefe, die - in großer Zahl - an den Ministerpräsidenten adressiert sind, in der Poststelle auch dann geöffnet, wenn der Name vor dem Amt steht. Wesentlich ist nur, dass das Amt des Ministerpräsidenten in der Adressierung genannt ist. Briefe mit derartigen Adressen werden in der Poststelle geöffnet, mit einem Posteingangsstempel und einer Posteingangsnummer versehen, sodann wird im elektronischen Posteingangssystem von den Bediensteten der Poststelle der "Betreff“ (also der kurzgefasste Inhalt) der Schreiben formuliert und vermerkt, sodann werden die Schreiben der jeweiligen Organisationseinheit der Staatskanzlei, z. B. dem Büro des Ministerpräsidenten, zugeleitet.
Ob die Mitarbeiter der Poststelle die notwendige Qualifikation und Verantwortlichkeit haben, aus Schreiben, die an den Ministerpräsidenten oder die Organisationseinheiten der Staatskanzlei gerichtet sind, den zutreffenden "Betreff", der dann (auf Dauer?) in der elektronischen Registratur vermerkt ist, herauszulesen und zu formulieren, konnte ich nicht
feststellen.
Lediglich Briefe, die mit besonderen Vermerken über ihren persönlichen Charakter versehen sind oder das Amt des Ministerpräsidenten unerwähnt lassen, werden ungeöffnet dem Büro des Ministerpräsidenten zugeleitet.
Diese an das Büro des Ministerpräsidenten von der Poststelle verschlossen und unregistriert weitergegebenen Posteingänge werden dort zunächst geöffnet, dann sofern es sich um offenkundig dienstliche Schreiben handelt - im Posterfassungsprogramm eingetragen und mit einem Eingangsstempel versehen, sodann der "Betreff“ formuliert und elektronisch vermerkt. Welche dieser Schreiben dem Ministerpräsidenten vorgelegt werden, entscheidet anschließend der persönliche Referent des Ministerpräsidenten, der bei Durchsicht des Posteingangs auch Schreiben zur eigenen Weiterbearbeitung aussortiert (wie z. B. Einladungen). Die vom persönlichen Referenten dazu bestimmten Eingänge werden dann gesammelt dem Ministerpräsidenten vorgelegt. Unzweifelhaft wirklich ganz persönliche Ministerpräsidenten-Post bleibt ungeöffnet und unregistriert und wird - dem Ministerpräsidenten ungeöffnet direkt vorgelegt. Dieser entscheidet dann selbst, welche Schreiben er als persönlich/privat einbehält und welche dienstlichen bzw. privat-dienstlichen Inhalts sind; letztgenannte Schreiben gibt er mit einem entsprechenden Vermerk, wie mit jedem Schreiben weiter zu verfahren sei, wieder an sein Büro heraus, das die Registrierung
verfügt, den Eingangsstempel aufdrückt und den Betreff im Posteingang speichert. Sodann wird diese Post wie vom Ministerpräsidenten vermerkt weiterverfügt.
Die Sachbearbeiterinnen im Büro vermerken den Ausgang entsprechend der Verfügung im elektronischen Posteingang und versenden das Schriftstück zusammen mit einem Deckblatt, auf dem der Adressat. die Posteingangsnummer sowie ggf. ein Termin zur Bearbeitung vermerkt sind, weiter. Auf diese Weise ist der weitere Bearbeitungsweg eines aus dem Büro des Ministerpräsidenten herausgegebenen Schreibens im elektronischen Posteingang auf dem Eingangsstempel sowie auf dem beigefügten Deckblatt vermerkt.
Im Büro des Ministerpräsidenten gibt es jedoch nur ein einziges pauschales Aktenzeichen. Fachspezifische Aktenzeichen vergibt das Büro des Ministerpräsidenten grundsätzlich nicht; mir wurde mitgeteilt, dies sei Aufgabe der einzelnen eventuell sodann mit dem Vorgang befassten Referate bzw. Fachministerien, so dass bei Ausgang eines Schreibens aus dem Büro des Ministerpräsidenten an die bearbeitende Einheit die einzelnen Schreiben nur die registrierte Posteingangsnummer aufweisen.
Schreiben des Ministerpräsidenten oder seines Büros nach außen werden nach der in der Staatskanzlei geltenden Schreibordnung grundsätzlich nicht mit Aktenzeichen oder einem Bearbeitervermerk versehen. Auf den Entwürfen dieser Schreiben wird nur der Bearbeitervermerk sowie eine Angabe über den Speicherort des Dokuments verzeichnet. Es sei damit beabsichtigt, heißt es, anhand der Entwürfe zurückverfolgen zu können, wer das Schreiben entworfen bzw. geschrieben hat und wo es gespeichert ist. Bei Vermerken, die der Ministerpräsident selbst diktiert, existiert allerdings kein besonderer Bearbeitervermerk, da der Ministerpräsident selbst "Bearbeiter" gewesen ist.
Von ausgehenden Schreiben des Ministerpräsidenten werden zwei Kopien angefertigt. Die erste Kopie wird seit 1990 als Tageskopie in den nach Datum sortierten Aktenordnern im Büro des Ministerpräsidenten abgelegt. Die zweite Kopie wird entweder zusammen mit dem Vorgang zum Verbleib zurück an das Fachreferat bzw. -ministerium geschickt, oder - sofern es sich um einen ausschließlich im Büro des Ministerpräsidenten bearbeiteten Vorgang handelt - in den "nach Alphabet geführten" Sachakten im Büro des Ministerpräsidenten abgelegt. Unklar bleibt jedoch, nach wessen Namen oder nach welchem Begriff die
alphabetische Zuordnung erfolgt. Die Jahrgänge der Tageskopien und der Sachakten bis 1999 befinden sich - mit Ausnahme einiger laufend bearbeiteter oder ständig wiederkehrender sach- oder personenbezogener Einzelvorgänge - in der zentralen Vorarchivierung.
Es ist im Ergebnis zwar, ein Suchsystem erkennbar, dieses ist jedoch so, ungenau - die Suchkriterien sind nicht sprechend -, dass es der Vorschrift des § 9 SächsDSG nicht genügt.
2. Dokumente im Zusammenhang mit dem Vorgang "Behördenzentrum Paunsdorf“
Im Rahmen meiner Kontrolle habe ich die Posteingänge aus den Jahren 1990 bis 1995 mit einem möglichen Bezug zum Vorgang "Behördenzentrum Paunsdorf“ - u. a. durch eine Recherche in der Postregistratur mit den Begriffen "Finanztreuhandgesellschaft", "Barth", "FTG" und "Paunsdorf“ im Betreff - überprüft. Von den insgesamt 39 ermittelten Schreiben wurden bei der Recherche in der Sächsischen Staatskanzlei folgende gefunden bzw. nicht gefunden:
Jahr
Briefdatum
Eingang
Tb.-Nr.
Vorhanden
Betreff
1992
26.05.
01.06.
3611
im Büro MP
Einladung zum ersten Spatenstich in Leipzig Paunsdorf
1992
12.06.
12.06.
4209
im Büro MP
Termin 20.7.92 vom Lyceum Alpinum in Zuoz bitte bestätigen
1992
26.06.
29.06.
5484
nicht vorhanden
Erinnerungsfotos vom "1. Baggerbiß" in Leipzig Paunsdorf
1992
02.09.
02.09.
9675
nicht vorhanden
Expose des Pressebüros Hansmann "Kommunikation für Sachsen" + Terminbest. F. 24.9.92
1992
19.10.
19.10.
13285
im Büro MP
nicht angegeben
1992
19.11.
20.11.
15628
nicht vorhanden
Bitte um Gesprächstermin zum Thema Bau der A 4 - anbei Kopie Brief der Universität Leipzig
1993
06.01.
Fax Hr. Barth an Privatadresse MP in Obersee, nicht im elektronischen Posteingang registriert, aber: Eingang lt. Eingangsstempel in MP-Büro am 15.01., vorhanden
1993
11.05.
27.05.
8482
nicht vorhanden
Grundstück für die CDU - Wormser Str./Ecke Spenerstraße
1993
29.06.
Schreiben FTG an MP in Dresden, nicht im elektronischen Posteingang registriert,
Anschreiben nicht vorhanden,
aber: die 2 Anlagen des Schreibens vorhanden
1993
06.09.
06.09.
13612
im Büro MP
Richtfest für das EKZ, in Leipzig-Paunsdorf v. 29.11. bis 2.12.93
1993
06.10.
08.10.
15542
vorhanden
Bau von Auto-Service-Parks in Sachsen - Schreiben der Kroschke GmbH v. 30.9.93
1993
02.12.
06.12.
18737
im SMF
Büro und Verwaltungszentrum Leipzig-Paunsdorf
1994
12.01.
13.01.
vorhanden
Übersendung eines Schreibens von Kroschke, ASP u. weitere 3 Anlagen
1994
21.01.
21.01.
1131
vorhanden
Übersendung Schrb. von Firma Kroschke - Mietangebot
1994
21.01.
24.01.
1228
vorhanden
Kopie der Regierungsbilanz der ehemaligen DDR - Übernahme Fr. Nickel
1994
28.02.
28.02.
3270
als Kopie vorhanden
Bezuschussung von Spaßbädern
1994
14.04.
15.04.
5713
vorhanden
Übersendung Zeitungsbericht aus dem Handelsblatt v. 13.4.94 - 1 Anlage
1994
(fehlt)
23.06.
9639
nicht vorh.(aber. Antw.)
Einkaufs- und Gewerbegebiet Leipzig-Paunsdorf (MP in Leipzig pers. überreicht)
1994
28.07.
28.07.
11411
UA Paunsdorf Terminplan für den 15.9.94 (Einkaufszentrum Paunsdorf)
1994
(fehlt)
24.08.
12840
nicht vorhanden
Einladung 15.9.94 Eröffnung Gewerbepark Paunsdorf
1994
31.08.
02.09.
13487
im Büro MP
Landemögl, für Hubschrauber - 1 Anlage
1994
07.09.
07.09.
13750
nicht vorhanden
Richtfest am 15.9.94
1994
13.09.
16.09.
14465
Fax vorh. (Tb-Nr. 14173/94) Original nicht vorhanden
Bitten um Unterstützung im Gewerbegebiet Leipzig-Paunsdorf
1994
(fehlt)
23.09.
14958
(ungeöffnet weitergeleitet an Ingrid Biedenkopf)
E-Nr. 046
1994
21.09.
23.09.
14995
(weitergeleitet an Büro Ingrid Biedenkopf)
Sonntag, 23.10.94, 11 Uhr Empfang an der Brühlschen Terrasse
1994
29.09.
04.10.
15508
im SMF
Parkplatzfrage und Erstellung einer Kantine – Dienstgebäude Paunsdorf
1994
28.10.
01.11.
16986
UA Paunsdorf
Ausstattung Landesbehördenhaus Leipzig Paunsdorf
1995
14.02.
15.02.
3384
nicht vorhanden
Unterbringung Oberschulamt in Leipzig Paunsdorf
1995
22.02.
21.02.
3886
im SMF
Büro- und Verwaltungszentrum Leipzig-Paunsdorf
1995
08.03.
13.03.
5400
nicht vorhanden
Einladung 7.4.95 zum 75. Geburtstag
1995
17.03.
22.03.
6184
im SMF
Uni Projekt Consult v. 23.2.95 – Oberschulamt Leipzig
1995
20.04.
27.04.
8975
UA Paunsdorf
Behördenstandort in Leipzig-Paunsdorf
1995
23.05.
24.05.
10926
UA Paunsdorf
Behördenzentrum Leipzig-Paunsdorf - Kultusbehörden
1995
06.06.
13.06.
12119
im SMF
Behördenstandort des FS Sachsen in Leipzig Paunsdorf- 1 Anlage
1995
22.06.
22.06.
12852
vorhanden (unter Tb-Nr. 12969/94)
Unterbringung Oberschulamt Leipzig
1995
22.06.
26.06.
12969
vorhanden
Unterbringung des Oberschulamtes Leipzig - anl. geh.
1995
02.07.
05.07.
13603
im SMI
Untersuchung der Diebstähle im Verwaltungsgebäude Leipzig-Paunsdorf
1995
27.07.
28.07.
14810
UA Paunsdorf
Kantine im Behördenzentrum Leipzig-Paunsdorf
1995
04.09.
04.09.
16696
vorhanden
Bau von Senioren-Pflegeheimen
1995
11.10.
19.10.
19212
vorhanden
Bau von Seniorenpflegeheimen in Sachsen > Barth-Baschke, 1 Anl.
1995
21.12.
28.12.
24170
vorhanden
Vorlage eines Konzeptes für Altenpflegeheimbau in Sachsen – Vorlage Anfang Januar 1996
Zwei Schreiben (5484/1992 und 14465/1994) sind ausweislich der Aktenlage - in einem Fall wegen der geringen Bedeutung, im anderen Fall, da das Fax in der Akte war - zur Vernichtung verfügt worden. Soweit nach Aussage der Staatskanzlei Terminangelegenheiten des Ministerpräsidenten betroffen sind (3611/1992; 4209/1992; 9675/1992; 15628/1992; 13612/1993, 11411/1994; 12840/1994; 13750/1994; 5400/1995), kann die Staatskanzlei nicht mehr im Einzelnen die Art der Ablage nachvollziehen, teilweise seien die Unterlagen wahrscheinlich wegen angeblich fehlender Bedeutung der Angelegenheit vernichtet worden.
3. Das Schreiben der Finanztreuhand-Gesellschaft vom 29. Juni 1993
Unter den Schreiben, die dem ersten Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages durch den Zeugen Heinz Barth zugeleitet wurden, befindet sich ein Schreiben vom 29. Juni 1993 der Geschäftsleitung der FTG an:
"Herrn Prof. Dr. Kurt H. Biedenkopf
Ministerpräsident des
Freistaates Sachsen
Archivstraße 1 0-8060 Dresden"
Dieser Brief ist nicht in der Posteingangsregistratur erfasst. Die Anschrift enthält zwar den Namen vor der Amtsfunktion; gemäß der oben geschilderten Verfahrensweise werden solche Briefe aber bereits in der Poststelle geöffnet und registriert.
Sollte der Brief jedoch in diesem Fall ausnahmsweise ungeöffnet von der Poststelle an das Büro des Ministerpräsidenten weitergeleitet worden sein, so gilt der Grundsatz: "Persönlich adressierte Post mit dienstlichem Inhalt wird nach Durchsicht durch den Ministerpräsidenten der Poststelle wieder zurückgegeben, registriert und in den Geschäftsgang geleitet oder direkt von dem jeweiligen Büro im Postsystem erfasst" (Nr. 2.5.2 der Dienstanweisung Nr. 1/93 "Post und Registratur" der Sächsischen Staatskanzlei vorn 21. Mai 1993). Beispiele in der vorliegenden Angelegenheit zeigen, dass der Ministerpräsident sein Verhalten an dieser Vorschrift orientierte: Das Fax der FTG vom 6. Januar 1993, adressiert an die Faxnummer im bayerischen Privathaus des Ministerpräsidenten (Aufstellung von möglichen Mietern und Mietflächen in Quadratmetern) wurde vom Ministerpräsidenten der Poststelle zugeleitet, dort registriert, abgestempelt und sodann den Akten zugeleitet. Auch ein Brief der FTG vom 27. September 1993 wurde von Köln in ein Hotel nach Bonn gebracht, dort dem Ministerpräsidenten übergeben und sodann von ihm zu, den Akten genommen (die Postregistrierung wurde in diesem Fall nicht durchgeführt).
Deshalb verdient es Aufmerksamkeit, dass der hier in Rede stehende Brief vom 29. Juni 1993, der als Vorlage für den Vermerk des Ministerpräsidenten an den damaligen Finanzminister diente, nicht über die Post registriert und nicht den Akten zugeleitet wurde.
Folgende Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen:
a) Das - Schreiben war in einem anders adressierten Umschlag verschlossen, der an den Ministerpräsidenten mit dem Vermerk "persönlich" oder "persönlich/vertraulich" o. ä. versehen war. Dies würde bedeuten, dass der Absender das Schreiben bewusst an der Postregistratur und den Akten "vorbei leiten" wollte. Es wäre dann aber immer noch die Pflicht des Ministerpräsidenten gewesen, entsprechend der oben genannten Postvorschrift den Brief nachträglich registrieren und den Akten beifügen zu lassen.
b) Der Brief war in der Post registriert, den Akten beigefügt, wurde aber später entfernt und die Eintragungen in der Postregistratur wurden durch andere Eintragungen "überschrieben". Meine Feststellungen haben dazu ergeben, dass es nicht möglich ist, eine Eintragung insgesamt zu löschen. Allerdings ist es technisch möglich, einzelne Felder (Absender, Betreff) zu verändern, also anders zu beschriften; die Bediensteten haben mir aber glaubhaft versichert, niemals so zu verfahren.
c) Der Brief wurde dem Ministerpräsidenten direkt übergeben; er hat es versäumt, den Brief registrieren und den Akten beifügen zu lassen.
Elektronische Spuren des Briefes oder Nachweise sonstiger Art sind in der Staatskanzlei nicht aufzufinden.
Unzweifelhaft hat der Ministerpräsident jedoch den Brief selbst bearbeitet, denn der Brief ist in seinem Büro und auf seine Veranlassung in weiten Passagen abgeschrieben worden und zum Gegenstand eines persönlichen Vermerks des Ministerpräsidenten an den damaligen Finanzminister gemacht worden. Es darf nicht übersehen werden, dass der Ministerpräsident in seinem Vermerk den Briefinhalt der FTG nicht nur inhaltlich übernimmt, sondern ihn ausdrücklich zitiert (S. 2, vorletzter Absatz).
Der Brief ist den Akten nicht beigefügt worden; er ist trotz (wie versichert wurde: sehr ausführlicher) Suche weder in der Staatskanzlei noch an anderer Stelle innerhalb der Staatsregierung zu finden. Auch die von mir kontrollierten persönlichen Handakten des Ministerpräsidenten enthalten den Brief nicht.
Dem Schreiben der FTG beigeheftet waren aber mehrere Anlagen, auf die in seinem Inhalt Bezug genommen wurde. Diese Anlagen wurden dem Entwurf des Vermerkes des
Ministerpräsidenten an den Finanzminister in den Akten der, Staatskanzlei zwar beigefügt, nicht jedoch dem an das SMF übersandten Originalvermerk. Das SMF hat die Anlagen erst viel später zur Kenntnis erhalten, als 1996 eine parlamentarische Anfrage zu beantworten war. Der zuständige Referatsleiter im SMF hat dazu auf meine Nachfrage erklärt: "Wir haben uns jahrelang gefragt, woher der Ministerpräsident die genauen Informationen für seine Interventionen hatte." Auf dem ersten Blatt dieser -Anlagen, einem Schreiben des Staatlichen Liegenschaftsamtes Leipzig vom 2. Juni 1993 an die FTG, sind folgende handschriftliche Notizen angebracht:
"zu AV MP an
Prof. Milbradt SMF“
Dieser Vermerk stammt nach Auskunft von Mitarbeitern der Staatskanzlei aus der Hand der damaligen (mittlerweile verstorbenen) Büroleiterin des Ministerpräsidenten und weist die Anlage einem bestimmten Vorgang (AV ...) zur internen Ablage zu.
Darunter befindet sich folgender Vermerk:
"Bürogebäude für
Behörden des
Freistaates
Investor: Barth "
Nach Auskunft der Mitarbeiter der Staatskanzlei wurde dieser Vermerk vom Ministerpräsidenten persönlich in eigener Handschrift angebracht.
Diese Vermerke sind nur unter dem Aspekt sinnvoll, dass ihre Verfasser die Anlagen zu dem (verschwundenen) Schreiben der FTG (eben ohne dieses Anschreiben) dennoch dem richtigen Vorgang aktenmäßig zuordnen wollten: Nur in dem Wissen, dass das Anschreiben fehlt, wurden die Vermerke auf der Anlage sinnvoll. Die Anlagen sollten jedenfalls ohne das Anschreiben in den Akten der Staatskanzlei zuordnungsfähig bleiben.
Ich stelle fest: Zum Zeitpunkt der Anbringung seines Vermerks war dem Ministerpräsidenten bewusst, dass:
a) die Anlagen vom Anschreiben getrennt waren
b) das Anschreiben nicht zum Vorgang genommen wird.
4. Bewertung
Nach § 9 Abs. 1 SächsDSG hat jede öffentliche Stelle "alle personellen, technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um eine den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechende Datenverarbeitung zu gewährleisten". Zu diesen Maßnahmen gehört auch eine geeignete Aktenordnung, die folgende Kriterien erfüllt:
- Akten müssen so registriert und aufbewahrt werden, dass sie zeitnah zur Verfügung stehen;
- Akten müssen vollständig sein und so geordnet werden, dass das Verwaltungshandeln in einer Angelegenheit adäquat nachvollzogen werden kann (die so genannte "sprechende Akte")
- Aktenteile dürfen nicht von den zu ihnen gehörenden Akten entfernt (oder gar vernichtet) werden; sie müssen jederzeit auffindbar sein.
Die Aktenordnung der Staatskanzlei erfüllt diese Kriterien derzeit nicht. Nach wie vor fehlt ein zentraler Überblick über die vorhandenen Akten. Ferner erschwert bzw. verhindert die ausschließliche Suchfähigkeit über die Posteingangsnummer das Auffinden von Akten und die Zusammenstellung von Vorgängen.
Einige Schriftstücke waren nicht auffindbar, deshalb lässt sich ihr Inhalt nicht ermitteln. Ob sie "wichtig" oder Gegenstand des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses waren, bleibt offen.
Die festgestellten Mängel betreffen die Jahre 1992 bis 1995; die Zeit danach habe ich nicht kontrolliert. Den Kontrollzeitraum kann ich entgegen der Meinung der Staatskanzlei nicht mehr den Anfangsjahren zurechnen, zumal das System der Aktenverwaltung derzeit immer noch dasselbe ist.
Dr. Giesen