Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 02.02.2002
Hof-Staat und Küchenkabinett: Buch über Biedenkopf
Dresdner Journalist untersucht die Machtverhältnisse am Thron des scheidenden sächsischen Ministerpräsidenten / Und Nolle druckt das Werk
DRESDEN. Nein, es solle kein Porträt von Kurt Biedenkopf sein, auch keine Nacherzählung der Politik des scheidenden Ministerpräsidenten in Sachsen. Michael Bartsch, seit 89 als engagierter Journalist in Dresden aktiv und zuweilen auch Autor unserer Zeitung, hat sein gestern vorgestelltes Buch daher "Das System Biedenkopf" genannt. Untertitel: "Der Hof-Staat und seine braven Untertanen. Oder: Wie in Sachsen die Demokratie auf den Hund kam."
Bartsch geht der Frage nach, wie weit mit dem "Hofe" von König Kurt und "Landesmutter" Ingrid das politische System wieder zu feudalen Zeiten zurückzukehren droht. Die These vom schleichenden Verlust der Volkssouveränität sei dabei nicht allein auf die vergangenen zehn Jahre und auf Sachsen beschränkt, betonte der Autor. Vielmehr könne das System Biedenkopf exemplarisch "für den Zustand unserer Demokratie" stehen, schreibt Bartsch.
Gedruckt hat das Buch pikanterweise der SPD-Landtagsabgeordnete und Dresdner Druckereibesitzer Karl Nolle, der Biedenkopf seit einem Jahr mit stets neuen Angriffen in der Mietaffäre und im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss unter Druck setzt.
Detailreich arbeitet sich der 49-jährige Bartsch in seiner kritischen Analyse durch elf Jahre Landespolitik, von der Wahl des ersten Parlamentes 1990 bis zum Ikea-Rabatt Ende 2001. Der Journalist recherchierte die zuweilen eklatanten Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit: den schriftlich niedergelegten Zielen des weitsichtigen Regierungschefs und ihrer tatsächlichen Umsetzung; dem theoretischen Demokratiebekenntnis und der realen höfischen Amtsführung. Er erinnert dabei an ein Wort Walter Ulbrichts aus dem Jahr 1945: "Es soll demokratisch aussehen. Aber wir müssen alles in der Hand haben." Dabei untersucht der gelernte Ingenieur Bartsch auch die "sonderbare Identität" der "unbesiegbaren" Sachsen. Das neue Wir-Gefühl, der Sachsen-Kult im geschichtsträchtigen Musterländle, sei ein kalkulierter strategischer Faktor im Machtgefüge des "Systems Biedenkopf". Dazu zitiert Bartsch eine ironische Schlagzeile aus der russischen Iswestija von 1991: "Von Sachsen lernen heißt siegen lernen."
Ludwig Erhard hat einst ähnlich bissig formuliert: "Der liebe Gott weiß alles - aber Kurt Biedenkopf weiß alles besser." Ein eigenes Kapitel widmet Bartsch der "Küchenratsvorsitzenden der Regierungs-WG", Ingrid Biedenkopf, die "in allen Töpfen rührte" und als "erste Ehrenamtlerin im Lande" dank des "königlich-sächsischen Kummerkasten" oft in Regierungsangelegenheiten hineintelefonierte. Offen bleibe jedoch, so Bartsch, ob Sachsen mit dem Rücktritt des 72-Jährigen vor einem Systemwechsel oder nur vor einem Figurenaustausch stehe.
(von Sven Heitkamp)
Michael Bartsch: Das System Biedenkopf, 236 Seiten, edition ost, 12,90 Euro