Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 07.02.2002
Nachfolge-Debatte sorgt für Unruhe auch bei Nachbarn
Anhalter verunsichert / Ministerin unter Druck
Dresden/Magdeburg. Zuweilen machen Zufälle Politik: Am 17. April hat Kurt Biedenkopf (CDU) seinen letzten Auftritt als Regierungschef in Sachsen, lediglich vier Tage später wählen die Bürger in Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Dazwischen, so der Plan in Dresden, soll der Biedenkopf-Nachfolger von den Abgeordneten bestimmt werden. Allein diese zeitliche Enge ist für die CDU-Wahlkämpfer in Magdeburg Grund genug, Richtung Dresden zu schauen - mit Sorgenfalten allerdings.
Allen voran Wolfgang Böhmer: Er werde zwar "keinen Einfluss auf interne Personalentscheidungen" der Parteifreunde im Sächsischen ausüben, sagte Sachsen-Anhalts CDU-Partei- und -Fraktionschef gestern unserer Zeitung, die Sachsen-Union aber sollte ihrer "Verantwortung" gerecht werden.
Das ist moderat formuliert, aber eine Haltung mit Hintersinn. Denn noch immer ist unklar, ob der bisher einzige Kandidat in Sachsen, CDU-Landeschef Georg Milbradt, mehrheitsfähig ist; 61 Stimmen braucht er im Parlament, doch offen ist, ob er diese aus den Reihen der eigenen Fraktion auch erhalten wird. Ein Durchreichen ohne Gegenkandidat aber hätte Folgen: Weitere Querelen in Sachsen könnten den Wahlkampf in Magdeburg erschweren. Entsprechend lautet die Mahnung von Böhmer: "Wir gehen davon aus, dass der Landesverband Sachsen ein Entscheidungsverfahren wählt, das keine negativen Auswirkungen auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat."
Davon ist die Sachsen-Union zurzeit weit entfernt, wie ein Blick in den Kreisverband Mittleres Erzgebirge demonstriert. Keine Geringere als Gleichstellungsministerin Christine Weber ist dort CDU-Kreisvorsitzende, jetzt trat sie entnervt zurück. Grund waren Querelen mit dem CDU-Nachbarkreisverband Freiberg. Dabei ging es um die Nominierung eines gemeinsamen Kandidaten für die Bundestagswahl. Die Erzgebirger wollten Günther Schneider, die Freiberger lieber Veronika Bellmann - und Weber stand irgendwo dazwischen. Schließlich setzte sich Bellmann durch, was die Erzgebirger offensichtlich Weber übel nahmen. Der Kreisvorstand jedenfalls forderte ihren Rücktritt vom Vorsitz, am Montag meldete Weber Vollzug. Mit landespolitischer Pointe:Die Ministerin gilt als verbriefte Milbradt-Anhängerin, Bellmann, die Kandidatin und Noch-Landtagsabgeordnete, auch. Die Verwerfungen im Erzgebirge dürften den Stand von Milbradt in der Fraktion nicht verbessert haben.
Dafür gab es gestern an anderer Stelle Klarheit. CDU-Fraktionschef Fritz Hähle will auch unter einem möglichen Regierungschef Milbradt seinen Job behalten. Vor allem aber will er im Vorfeld moderieren, um die Querelen klein zu halten: Zwar habe er sich "eine andere Lösung" als Milbradt gewünscht, sagte er gestern in Dresden, aber es gebe eine "normative Kraft des Faktischen". Sollte sich die CDU auf ihrem Parteitag Anfang März für Milbradt aussprechen, müssten sich beide Seiten bewegen: die Skeptiker in der Fraktion, aber auch Milbradt, der diese von sich zu überzeugen habe. Zu diesem "Willensbildungsprozess" gebe es keine Alternative, so Hähle. Schließlich könne "man keine reine Negativ-Kampagne fahren".
(von Jürgen Kochinke)